Dienstag, 16. April 2024

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Euro-Erweiterungsdebatte
"Das ist Griechenland im Quadrat"

Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn hat im Dlf vor einem Euro-Beitritt Rumäniens und Bulgariens gewarnt. Dadurch entstünden wirtschaftliche Ungleichgewichte und noch mehr Schulden im Euroraum. Dabei hätte sich die Schuldenquoten fast aller Euroländer seit dem Fiskalpakt, den Bundeskanzlerin Merkel vor fünf Jahren ausgehandelt hatte, schon erhöht statt verringert.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Mario Dobovisek | 16.09.2017
    Der scheidenden Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, sitzt am 22.01.2016 im Senatssaal der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Bayern) an seinem Platz und verfolgt das Internationale Symposium zu seiner Verabschiedung.
    Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisiert die fehlenden Äußerungen der Parteien zu einem neuen Europa angesichts anstehender Reformen im Euroraum. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Mario Dobovisek: Und am Telefon begrüße ich Hans-Werner Sinn. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und leitete bis zum vergangenen Jahr das Ifo Wirtschaftsforschungsinstitut. Guten Morgen, Herr Sinn!
    Hans-Werner Sinn: Schönen guten Morgen!
    "Über temporäre Austritte aus dem Euro reden"
    Dobovisek: Wenn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, wie diese Woche in Strasbourg, sagt, der Euro sei dazu geschaffen, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein, also aller Mitgliedstaaten. Leidet er da an Realitätsverlust oder ist Juncker bloß ein Berufsoptimist, ein Visionär, den die EU bitternötig hat?
    Sinn: Na ja, erst mal ist das ja die Rechtslage, die er da ausspricht. Die Frage ist aber, wie schnell sollte die Eurogruppe erweitert werden. Da gibt es Konvergenzkriterien, die will er offenbar weicher interpretieren, und er will den Ländern Osteuropas durch finanzielle Anreize jetzt den Weg ebnen in den Euro. Das finde ich äußerst problematisch. Ich meine, wenn wir jetzt mal zurücküberlegen, was die letzten zehn Jahre passiert ist, dann wissen wir doch, der Euro ist viel zu groß, es sind viel zu viele Länder dabei, die damit gar nicht zurechtkommen. Man müsste jetzt eigentlich, wie der deutsche Finanzminister Schäuble das 2015 ja vorgesehen hatte, auch mal über die Möglichkeit temporärer Austritte aus dem Euro reden, um Länder wieder fit zu machen, statt sie im Euro zu lassen und dann zwangsläufig eine Transferunion bauen zu müssen, wo also die nördlichen Länder die südlichen dann finanzieren, um die fehlende Wettbewerbsfähigkeit auszu…
    "Jeder darf sich in erheblichem Spielraum Geld drucken"
    Dobovisek: Sie sehen also die Eurozone auf absehbarer Zeit eher verkleinern als vergrößern.
    Sinn: Ich glaube ja. Das ist im Moment angebracht, denn es sind die Länder in Südeuropa größtenteils in einer Situation, wo sie durch den Euro ja wegen der niedrigen Zinsen in eine inflationäre Kreditblase reinkamen vor 2008, und die Preise und Löhne sind relativ zu sehen, was für die Länder angemessen ist, im Himmel. Sie müssten eigentlich runter, können nicht runter – wären sie nicht im Euro, könnten sie abwerten. Jetzt will man also auch noch Rumänien, Bulgarien da reinholen. Halte ich für äußerst problematisch. Das ist Griechenland im Quadrat, denn Sie müssen bedenken, die Rumänen und Bulgaren haben bereits sehr viele Fremdwährungskredite in Euro aufgenommen und wollen die jetzt absichern, indem sie sich das Recht schaffen, Euros auch zu drucken, denn das ist ja das Wesentliche der Eurozone: Wir haben nationale Notenbanken. Jeder darf sich nach den Regeln der EU in erheblichem Spielraum Geld drucken, dass er sich nicht mehr leihen kann, und jetzt sitzt man auf diesen Eurokrediten und möchte also sie absichern, indem man Zugang zur Druckerpresse bekommt. Das finde ich äußerst problematisch, denn dadurch entstehen ja Kreditverhältnisse öffentlicher Art im Euroraum, die alle letztlich zulasten der stärkeren Länder, allen voran Deutschlands, gehen.
    "Strohfeuer mit immer mehr Schulden"
    Dobovisek: Jetzt sagen die Euro-Finanzminister gestern in Tallinn oder attestieren viel mehr Griechenland gute Fortschritte bei den Reformen, auch bei der Arbeitslosenquote und so weiter, und sagen ja sozusagen damit, der Euro sei gerettet. Das ist zumindest das, was an Botschaft mitschwingt. Liegen die Minister da falsch?
    Sinn: Das ist alles Propaganda. Sie müssen bedenken: Wir haben also im Euroraum völlig falsche relative Preise. Der Süden ist zu teuer, und jetzt versucht man das durch staatliche Verschuldung zu kompensieren. Purer Keynesianismus. Das sind Strohfeuer, die man hier anzündet, mit immer mehr Schulden. Die Schuldenquoten fast aller Euroländer haben sich seit dem Fiskalpakt, den Frau Merkel ja stolz im Jahre 2012 ausgehandelt hatte, erhöht statt zu verringern. Damals haben alle hoch und heilig versprechen müssen, dass sie die Schuldenquote Jahr um Jahr verringern, um ein Zwanzigstel des Abstandes zu 60 Prozent, und was ist passiert: Überall sind sie gestiegen, mit Ausnahme von drei Ländern – Irland, Malta und Deutschland –, aber alle anderen Länder haben ordentlich zugelegt. Wissen Sie, wir können immer mit einem Strohfeuer die Binnenwirtschaft ankurbeln. Nur das Problem wird ja nicht gelöst. Sie halten damit Lohnstrukturen und Preise aufrecht, die die Wettbewerbsfähigkeit unterminieren.
    "Den Italienern vergeht langsam die Lust am Euro"
    Dobovisek: Auch Italiens Wirtschaft liegt am Boden. Wir sprechen ja meist nur über Griechenland. Getragen wird sie noch von vielen kleinen Mittelständlern, vor allem im Norden des Landes. Die Banken kriseln auch, die Politik wirkt schwach. Ist Italien der nächste Wackelkandidat für den Euro?
    Sinn: Ja, eindeutig. Den Italienern vergeht langsam die Lust am Euro. Es gibt ja in Italien nur noch eine Partei, die sich vorbehaltlos hinter den Euro stellt – das ist die Partito Democratico. Die Partei von Berlusconi…
    Dobovisek: Die Sozialdemokraten.
    Sinn: Ja, vom Renzi. Und die von Berlusconi, die Forza Italia, hat ja schon über eine Parallelwährung geredet, die Lega Nord will eigentlich raus, die 'Cinque Stelle' will raus, die Fratelli d’Italia wollen raus. Also in Italien brodelt es unglaublich, und Italien wird ja nächstes Jahr wählen müssen.
    "Wir haben gelernt, dass wir zu offen waren"
    Dobovisek: Fällt Italien, fällt dann der Euro?
    Sinn: Nein. Das nicht. Ich hoffe auch nicht, dass Italien fällt, aber ich sage nur, die Stimmungslage ist angespannt. Italiens Industrieproduktion, also das verarbeitende Gewerbe, liegt noch um 22, 23 Prozent, 22, glaube ich, unter dem Niveau von 2007. Das muss man sich mal überlegen. Man kann zwar durch staatliches Schuldenmachen die Binnenwirtschaft so ein bisschen ankurbeln, Bautätigkeit, Restaurant und so weiter, aber was man nicht ankurbeln kann, ist das verarbeitende Gewerbe. Aber können wir noch mal zu Juncker zurückgehen: Was mich beim Juncker wirklich irritiert ist, dass er jetzt den Schengen-Raum ausdehnen will nach Rumänien und Bulgarien. Ich meine, was haben wir denn gelernt aus der Flüchtlingskrise: Wir haben gelernt, dass wir zu offen waren und die Grenzen nicht hinreichend gesichert haben. Dann hat man das einigermaßen in den Griff gekriegt dadurch, dass der Zaun bei Mazedonien gebaut wurde. Da waren ja die Ungaren dahinter, und der österreichische Minister Kurz, der ja jetzt auch zur Wahl steht, die haben das dann erreicht. Auch Ungarn hat durch den Zaun, der hier viel kritisiert wurde, nach Serbien, aber doch maßgeblich dazu beigetragen, Flüchtlingsströme abzublocken, und jetzt will Ungarn auch einen Zaun nach Rumänien bauen. Das ist natürlich manchen ein Dorn im Auge. Das ist auch nicht schön, wenn wir Zäune haben.
    "Der Weg führt überhaupt nicht nach Europa"
    Dobovisek: All das, Herr Sinn, kritisiert auch Ihr Ökonomiekollege Max Otte, der die Bundesregierung kritisiert, der vorwirft, sie schädige unser Land mit der Flüchtlingspolitik, die auch Sie gerade ansprechen, und der Eurorettung. Deshalb wolle er die AfD wählen. Bleibt die AfD am Ende die einzige politische Heimat in Deutschland derer, die im Euro, anders als Juncker, nicht die Zukunft Europas sehen?
    Sinn: Gott bewahre, nein. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein, aber es gibt in allen Parteien ja mittlerweile kritische und auch, würde ich sagen, vernünftige Stimmen, die sehen, dass das so nicht weitergeht. Wir können doch nicht einen Kurs, der sich als falsch erwiesen hat, mit dem allgemeinen Zugang zur Druckerpresse, mit dem leichten Geld und mit denn allzu offenen Grenzen, die man angeblich überhaupt nicht mehr schützen können, den können wir doch nicht fortsetzen, sondern hier muss eine Kurskorrektur sein, weil dieser Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben, überhaupt nicht nach Europa führt. Der führt irgendwo ins Chaos, aber jedenfalls nicht zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker Europas.
    "Parteien sollten sich mal im Wahlkampf äußern"
    Dobovisek: Aber warum spielt dann die von Ihnen auch noch so eindrücklich. noch bestehende Euro- und Schuldenkrise in der Europäischen Union jetzt im Wahlkampf, im deutschen, so gut wie keine Rolle?
    Sinn: Da fragen Sie mich was Leichteres. Es steht eine riesige Reform des Eurosystems an, die Franzosen drängeln und scharren mit den Hufen, Juncker hat es ja jetzt auch noch mal klargemacht, und in Deutschland redet man über alles mögliche, aber nicht über die Hauptsache. Ich verstehe das überhaupt nicht. Die Parteien sollten sich bitte mal im Wahlkampf äußern, wie sie sich das neue Europa vorstellen, wie sie aus dem ganzen Schlamassel rauskommen wollen, um dann zu sagen. um sich damit zu stellen für die Wahl. Stattdessen werden Nebenkriegsschauplätze eröffnet, völlig irrelevante Themen werden diskutiert, und die Hauptsache wird weggelassen. Was ist denn das für ein Wahlkampf!
    "Wir stolpern da in was rein"
    Dobovisek: Ein gefährlicher Wahlkampf?
    Sinn: So gesehen, ja. Wir stolpern da in was rein und wissen gar nicht, was die wollen, die wir wählen.
    Dobovisek: Und die AfD sind die Einzigen, die diesbezüglich Antworten präsentieren.
    Sinn: Das sagen Sie. Das stimmt ja nicht. Es gibt ja auch innerhalb der Parteien andere Stimmen. Nur die kommen nicht nach oben, und die Kommunikationsabteilungen drücken das runter. Das verstehe ich nicht. Es gibt in jeder Partei sehr vernünftige Leute.
    Dobovisek: Sagt der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn. Vielen Dank für das Interview!
    Sinn: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.