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EU-Finanzplanung
"Die EU wird Farbe bekennen müssen"

Polen als auch Ungarn profitieren in hohem Maße von EU-Zahlungen, sagt der Politologe Josef Janning im Dlf. Er glaubt deswegen nicht, dass es sich die Länder leisten könnten, dauerhaft gegen die anderen Mitgliedsstaaten zu stellen. Verhandlungen auf europäischer Ebene seien zunehmend an nationalen Interessen orientiert.

Josef Janning im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.02.2018
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relation (Imago / Wolf P- Prange)
    Jörg Münchenberg: Theresa May ist bei den Beratungen über die künftige mittelfristige EU-Finanzplanung schon gar nicht mehr dabei. Kein Wunder, geht es doch gerade um die Zeit, wenn die Briten nicht mehr Mitglied in der EU sind. Doch mit einer schnellen Einigung ist nicht zu rechnen. Zum einen ist es das erste Mal, dass sich jetzt die 27 Staats- und Regierungschefs mit der drohenden Deckungslücke nach dem Brexit beschäftigen. Zum anderen ist Streit bei diesem Thema faktisch vorprogrammiert.
    Zugehört hat der Politologe Josef Janning vom European Council on Foreign Relations. Herr Janning, ich grüße Sie.
    Josef Janning: Guten Tag, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Herr Janning, der große Verteilungskampf in der EU für die Zeit nach dem Brexit ist eröffnet. Wie groß sehen Sie denn die Gefahr, dass dieser Streit die Spaltung in der EU zwischen Ost und West weiter vorantreibt?
    Janning: Zunächst einmal wird diese Form, die Frau Klein gerade beschrieben hat, zunächst einmal informell schon mal vorzutasten, wo die Positionen und Befindlichkeiten liegen, den Graben vertiefen. Aber gleichzeitig ist es auch eine Gelegenheit, für Politik und Öffentlichkeit zu erkennen, wo die Prioritäten, wo die Schwerpunkte für die einzelnen Staaten liegen. Insofern kann auch ein solcher Streit, ein solcher Dissens eine produktive Wirkung haben, denn er kommt vor der eigentlichen harten Verhandlungsrunde.
    Münchenberg: Nun hat die Kanzlerin ja gesagt oder vielmehr vorgeschlagen, die Mittel müssten künftig auch an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit oder zum Beispiel auch die Einhaltung der Flüchtlingsquote gekoppelt werden. Ist denn die Einhaltung von Prinzipien am Ende wichtiger als der Konsens in Europa?
    Janning: Nein, beides ist wichtig. Die Position der Bundeskanzlerin, die Sie beschrieben haben, markiert ja zunächst einmal die Ausgangsposition der deutschen Seite, und inwieweit das vertragsrechtlich umzusetzen ist, ist eine andere Frage.
    Höchst wahrscheinlich wird es im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Mittel für diese breiten Programme im Bereich Agrar und Struktur eher stagnieren oder sogar sinken werden, und dass die Zuweisungen für spezifische Programme steigen werden, weil in diesen spezifischen Programmen dann die Voraussetzungen und die Bedingungen präziser festgelegt werden müssen, die Mitgliedsstaaten zu erfüllen haben, wenn sie in den Genuss von Mitteln aus diesen Programmen kommen wollen. Das ist eigentlich der Weg, wie man von dieser mangelnden Konditionalität der Fonds wegkommen kann zu einer stärker an die volle Mitwirkung von Mitgliedsstaaten gekoppelten Politik in speziellen Bereichen.
    "Irgendwann wird die EU Farbe bekennen müssen"
    Münchenberg: Zum Beispiel Polen, aber auch Ungarn weigern sich ja beharrlich, zum Beispiel Flüchtlinge aufzunehmen. An dieser Haltung wird sich ja letztlich nichts ändern, was man aus diesen Ländern hört. Das heißt, irgendwann wird auch hier doch die EU klar Farbe bekennen müssen.
    Janning: Ja, irgendwann wird die EU Farbe bekennen müssen, und irgendwann, wenn der Druck unter den Regierungen groß wird, dann wird möglicherweise in diesem Bereich Migration, Flucht und Außengrenzschutz die EU eine neue Initiative sehen, die dann vielleicht nur von einem Teil der Mitgliedsstaaten getragen wird und die dann auch untereinander Solidarität teilen, Kosten teilen und damit auch nur diejenigen in den Genuss von Unterstützung kommen lassen, die sich daran beteiligen.
    Das heißt, das was sich die Ungarn vorstellen, dass man selber entscheidet, dass man solidarisch in dieser Frage ist, indem man den Grenzzaun baut, das wird es in diesem Maß dann nicht geben, sondern man wird sich dann am Gesamtpaket beteiligen müssen, oder man kann auf keine Unterstützung rechnen.
    Münchenberg: Aber ist das eine Bestrafung dann von Ungarn und Polen?
    Janning: Bestrafung im indirekten Sinne schon, weil sich dann die Leistungen der Integration zuspitzen werden auf diejenigen Staaten, die in vollem Umfang bereit sind, daran teilzunehmen. Das heißt, es entgehen Gewinne sozusagen. Es ist nicht so sehr eine direkte Bestrafung, aber eine entgangene Zuwendung.
    "Es wird sich schon die Frage stellen, ob man es sich leisten kann"
    Münchenberg: Herr Janning, was man aus Polen und Ungarn hört, da wird es dabei bleiben, dass man sagt, wir nehmen keine Flüchtlinge auf. Gleichzeitig laufen ja gegen Polen auch Rechtsstaatsverfahren. Da stellt sich ja schon die Frage: Haben diese beiden Länder überhaupt noch eine Zukunft in der EU?
    Janning: Ja, sie haben eine Zukunft in der EU, denn die EU kennt nicht die Möglichkeit, Staaten auszuweisen. Das heißt, auf Seiten der EU wird immer wieder der Versuch unternommen werden, diese Staaten in den weiten Konsens der EU-Mitglieder zurückzuholen, und ich glaube, dass dieser Versuch auch dadurch unterstützt werden wird, dass sowohl Polen als auch Ungarn in hohem Maße von den Leistungen, auch von den Finanzen der EU profitieren.
    Selbst wenn das künftig nicht mehr steigen sollte, ist es nach wie vor ein ganz erheblicher Beitrag. Das heißt, dort wird sich schon die Frage stellen, ob man es sich leisten kann, auf Dauer sich gegen den Konsens der EU und gegen die Anforderungen, die die anderen Mitgliedsstaaten stellen, zu stellen und zu richten.
    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite sieht man im Augenblick ja keinerlei Signale jetzt aus Warschau oder auch aus Ungarn, dass man bereit ist, auf die Einwände, die aus Brüssel kommen, zum Beispiel in Sachen Flüchtlingspolitik oder Rechtsstaatsverfahren, überhaupt nur einzugehen.
    Janning: Das ist richtig und das kennzeichnet ja den Basarstil der heutigen Europapolitik, dass eigentlich die Frage nach dem gemeinsamen Interesse und nach dem gemeinsamen Ertrag von Integration deutlich zurücksteht hinter der Frage, was bekommt man selbst raus.
    Die Verhandlungen auf europäischer Ebene sind ja seit einigen Jahren sehr viel schärfer, sehr viel kontroverser und sehr viel anhand kürzerfristiger nationaler Interessen orientiert. Das macht sich auch in diesem Feld und in dieser Situation bemerkbar und wird dazu führen, dass bis zum letzten Moment, wo dann Entscheidungen nötig werden aufgrund des Zeitablaufs, Kontroversen und Dissens die Debatte prägen werden.
    "Deutschland geht es darum, zu einer Neuausrichtung der Haushaltspolitik der EU beizutragen"
    Münchenberg: Herr Janning, noch mal auf diesen Punkt zurück, auf diesen Vorschlag, den die Kanzlerin gemacht hat, Neuausrichtung der Mittelvergabe, diese Verknüpfung zwischen Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Mittelvergabe. Da ist ja vollkommen unklar, ob das institutionell und rechtlich überhaupt so zu machen ist. Wird da nicht letztlich jetzt auch eine Erwartungshaltung geweckt, die politisch oder rechtlich auch gar nicht zu erfüllen ist?
    Janning: Ja. Ich halte es für eine wirklich offene Frage, ob das zu machen ist. Aus meiner Sicht ist dies in erster Linie ein politisches Argument, genauso wie die Bereitschaft, die sich im Koalitionsvertrag ausdrückt, mehr in die Kassen der EU zu zahlen, zunächst einmal ein politisches Instrument ist, den anderen Staaten deutlich zu machen, Deutschland geht es nicht in erster Linie darum, selbst Geld zu sparen, sondern geht es darum, zu einer Neuausrichtung der Haushaltspolitik und auch damit der Ausgabenstruktur der EU beizutragen.
    Dazu passt die Stellungnahme des niederländischen Ministerpräsidenten, der sich ja dieser Tage mit der Bundeskanzlerin in Berlin abgestimmt hat. Die Positionen, auch wenn sie leicht unterschiedlich aussehen - die Niederländer etwa zeigen keine Bereitschaft mehr zu zahlen -, sind in Wirklichkeit relativ kompatibel und dienen dazu, die Ausgangsposition hinreichend deutlich zu markieren, um Bewegungsspielraum in den Verhandlungen zu haben.
    Münchenberg: Trotzdem ist es doch naheliegend: Gerade aus Osteuropa wird sicherlich jetzt die osteuropäische Karte gespielt werden und da wird dann gesagt, der Westen will uns hier letztlich was aufoktroyieren.
    Janning: Ja, natürlich! Und das ist ein Problem der europäischen Integration, denn das wird die Verunsicherung auch in den Öffentlichkeiten vergrößern. Denn hier stehen sich zwei sehr unterschiedliche Interpretationen von dem, was die Europäische Union ist, gegenüber. Auf der einen Seite hat man in manchen Debatten in Ostmitteleuropa den Eindruck, Brüssel sei das neue Moskau.
    Auf der anderen Seite ist in der Darstellung etwa der deutschen Bundeskanzlerin die EU vor allen Dingen eine Werte- und Normengemeinschaft, wo keinerlei gewissermaßen nationale Interessen durchschlagen. Beide Positionen sind ihrerseits Interpretationen, die nicht die volle Breite dessen abdecken, was wir in der europäischen Realität erleben.
    Münchenberg: … sagt Josef Janning vom European Council on Foreign Relations. Herr Janning, besten Dank für das Gespräch.
    Janning: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.