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EU-Förderprogramm für Kirgistan
"20 Prozent der Kinder sehen keine Schule von innen"

Kirgistan hat schon zweimal den letzten Platz beim Pisa-Test belegt. Gründe dafür sind veraltete Bücher, Lehrermangel und fehlende Strukturen. Ein neues EU-Bildungsprogramm soll das ändern. Ziel sei es, Bildungskritirien festzulegen und dauerhaft die Jobperspektiven junger Kirgisen zu verbessern, sagte die Journalistin Birgit Wetzel im DLF.

Birgit Wetzel im Gespräch mit Sandra Pfister | 07.04.2017
    Leeres Klassenzimmer
    Viele Kinder in Kirgistan gehen nicht zur Schule, weil es keine Infrastruktur gibt. Zudem ist der Unterrichtsausfall sehr hoch. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Birgit Wetzel: Hallo, Frau Pfister!
    Sandra Pfister: Frau Wetzel, Sie sind oft in Kirgistan, Sie arbeiten dort für die EU gerade in einem Projekt mit, das Bildungsreformen unterstützt. Sie sehen vor Ort, was da schief läuft. Was berührt Sie besonders?
    Wetzel: Besonders berührt mich eigentlich die große Freundlichkeit der Menschen, obwohl eben noch nicht alles so wirklich so ist, wie man es sich wünschen würde. Der Zusammenhalt der Leute ist sehr groß, sie sind sehr fleißig, sie versuchen, ihre Situation zu verbessern. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn eben Korruption vielfach vorhanden ist und auch überall, wenn ein Land sehr arm ist, wenn Bildungsstrukturen zusammengebrochen sind, wenn überhaupt die ganze Infrastruktur seit Jahren Not leidet.
    Pfister: Kirgistan hat bei Pisa zweimal den allerletzten Platz belegt, wirklich den allerletzten. Woran liegt es denn, dass dieses Bildungssystem so schlecht dasteht?
    Wetzel: Dieser letzte Platz beim Pisa-Test war tatsächlich ein Riesenschock für das Land, für das Bildungsministerium. Ursprünglich, also zu Zeiten, als es die Sowjetunion noch gab, waren die Strukturen durchaus intakt, es gab eine gute Bildung für alle.
    Nachdem aber die Sowjetunion zusammengebrochen war, sind auch die Strukturen insbesondere in den Ländern, die ein Stückchen weiter weg sind von Moskau, völlig zusammengebrochen. Die Kirgisen haben dann mit vielen Problemen zu kämpfen gehabt, unter anderem damit, dass es in diesem doch recht kleinen Land von fünfeinhalb Millionen Leuten sehr viele unterschiedliche Nationalitäten gibt, viele unterschiedliche Sprachen. Kirgisisch zum Beispiel, die Sprache von Kirgistan, ist zwar sehr verbreitet, aber es gibt durchaus sehr viele andere Sprachen in dem Land, zum Beispiel eine große Gruppe von Leuten, die Russisch sprechen, viele Usbeken, aber auch viele Tadschiken. Es gibt viele kleine Probleme, die insgesamt die Entwicklung sehr schwierig machen.
    Pfister: Wie versuchen Sie denn in Ihrem Projekt konkret, die Situation zu verbessern?
    Wetzel: Das EU-Projekt, das jetzt angelaufen ist in Kirgistan, ist das Zweite, und zwar läuft das an in enger Abstimmung mit dem Bildungsministerium in Kirgistan, das sich Dinge gewünscht hat. Und zwar wünschen die sich, dass man erst einmal Maßstäbe aufstellt, zum Beispiel, was soll ein Kind in einer bestimmten Klassenstufe können. Welche Fremdsprachen sollen gelernt werden, welche Sprache wird überhaupt in den Büchern sein. Auch das ist eine noch nicht ganz abschließend geklärte Frage. Viele Bücher, die jetzt noch benutzt werden, kommen noch aus Zeiten der Sowjetunion. Da muss man sich mal vorstellen, das ist fast 30 Jahre her, das sind uralte Bücher.
    "Der Weg bis zur nächsten Schule ist weit"
    Pfister: Also das ist sehr basic, was da im Moment überhaupt von Ihnen angepackt wird?
    Wetzel: Das ist sehr basic, aber auch basic ist wichtig, wenn man bedenkt, dass zurzeit fast 20 Prozent oder bis zu 20 Prozent der Kinder überhaupt keine Schule von drinnen sehen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Infrastruktur eben sehr kaputt ist, dass sehr viele Straßen nicht befahrbar sind. Das Land hat zu 80 Prozent Berge, die zwischen 1.500 und 7.000 Meter hoch sind. Der Weg bis zur nächsten Schule ist da weit.
    "Das neue Projekt will Pilotschulen in allen Teilen des Landes aufstellen"
    Pfister: Also es sind schon mal die geografischen Bedingungen, denn es kommt noch hinzu, oft werden die schlechtesten Schüler, die schlechtesten Absolventen Lehrer und Hochschuldozenten, und das liegt auch daran, dass sie einfach so wahnsinnig schlecht bezahlt werden, und dann sind sie wieder anfällig für Korruption. Wie lässt sich denn da substanziell was verändern, solange so wenig Geld dann auch im System ist?
    Wetzel: Es wird etwas getan für die Lehrerausbildung, da fängt es also schon mal an. Es wird an den Schulen etwas getan zum Beispiel dafür, dass es wieder frisches Wasser gibt, dass es wieder Toiletten gibt, die funktionieren. Auch das sind Dinge, die dort nicht mehr funktionieren.
    Es gibt sehr viele Lehrer, die schon sehr alt sind, die eigentlich vielleicht auch lieber im Ruhestand wären. Da es aber zu wenig Lehrer gibt, unterrichten die weiter. Das heißt, da müssen überall Maßstäbe aufgestellt werden.
    Das neue Projekt jetzt will Pilotschulen in allen Teilen des Landes aufstellen. Das werden acht unterschiedliche Pilotschulen sein. Die werden dann rundherum so ausgestattet, dass ein Unterricht mit den dann aufgestellten Maßstäben wirklich stattfinden kann, dass auch alle Kinder die Möglichkeit haben, diese Schulen zu besuchen, die in dem Umkreis sorgen, dass Lehrer unterrichten, die wirklich befähigt sind und die auch dann ausreichend bezahlt werden. Aber das Ganze ist ein langer Prozess.
    Mehr Arbeitsplätze in Kirgistan erforderlich
    Pfister: Es mag sich zynisch anhören, wenn ich das frage, aber gesetzt den Fall, es gibt irgendwann mal bessere Bildung, aber es gibt keine Jobs für die jungen Leute – bleiben die dann nicht erst recht frustriert?
    Wetzel: Ich glaube, die Dinge hängen da sehr eng zusammen, und zwar eine bessere Bildung soll eben auch dafür sorgen, dass die Leute, die mit der Schule fertig sind, im Lande einen Arbeitsplatz finden. Wenn Sie sich überlegen, dass die Hälfte der jetzt arbeitenden Bevölkerung regelmäßig nach Russland fahren muss, um dort zu arbeiten, dann gibt es ein großes Potenzial, das zu verbessern.
    Die Hoffnung ist, dass mit zuverlässigen, besseren Schulabschlüssen die Leute auch mehr Arbeitsplätze im Lande finden, möglicherweise auch über Firmen, die dann nach Kirgistan gehen, weil sie wissen, dass es dort fähige junge Leute gibt, die Arbeitsplätze besetzen können.
    Pfister: Das sagt die Journalistin Birgit Wetzel. Sie arbeitet in einem Bildungsprojekt der EU mit in Kirgistan, und sie sagt, Bildung kann dort echte Terrorprävention sein. Danke, Frau Wetzel!
    Wetzel: Danke, Frau Pfister!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *Anmerkung der Redaktin: In der Sendung "Campus und Karriere" wurde aus Zeitgründen eine kürzere Fassung des Interviews gesendet. An dieser Stelle finden Sie das vollständige Interview zum Nachlesen.