Freitag, 29. März 2024

Archiv

EU-Freizügigkeit
Kritik an der Zuwanderungsdebatte

Die Diskussion über Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien hält an: EU-Sozialkommissar Laszlo Andor warnt vor Hysterie, SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert mehr Sachlichkeit, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befürchtet Schäden für die Wirtschaft und Horst Seehofer wirft der SPD Heuchelei vor.

04.01.2014
    Rumänen warten vor einem Bus nach Deutschland und Belgien darauf, dass ihr Gepäck verladen wird.
    Rumänen warten vor einem Bus nach Deutschland und Belgien darauf, dass ihr Gepäck verladen wird. Seit 1. Januar 2014 gilt für sie die volle EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. (picture alliance / dpa/ Robert Ghement)
    Die Kritik am Ton, in dem die Diskussion um Armutseinwanderung nach Deutschland geführt wird, verstärkt sich. Es dürfe keine pauschale Diskriminierung von Rumänen und Bulgaren geben, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der "Bild"-Zeitung und mahnte mehr Sachlichkeit an. "Was wir nicht brauchen, sind Wahlkampf-Parolen. Davon wurden noch nie Zuwanderungsprobleme gelöst." Großstädten, die massive Probleme durch Zuwanderung hätten, müsse jedoch geholfen werden. Das ist beispielsweise in einigen Städten im Ruhrgebiet der Fall. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer indes sagte dem "Münchner Merkur", die SPD veranstalte ein "Empörungsritual", für das er kein Verständnis habe.
    Im Zentrum der Debatte um Armutszuwanderung nach Deutschland steht der mögliche Missbrauch von Sozialleistungen, den vor allem die CSU als Folge der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren befürchtet. Seit dem 1. Januar brauchen auch diese EU-Bürger kein Visum und keine Arbeitserlaubnis mehr, um sich in Deutschland niederlassen zu können. Die CSU warnt vor einer Überlastung der Sozialsysteme, wenn Einwanderer nach Deutschland kommen, "nur um Sozialleistungen zu kassieren", wie es beispielsweise Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Deutschlandfunk-Interview formulierte. Der CSU-Slogan "Wer betrügt, der fliegt" hatte bereits einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
    Vorboten der Europawahl im Mai
    EU-Sozialkommissar Laszlo Andor wies in der Zeitung "Die Welt" darauf hin, dass das EU-Recht bereits eine Reihe von Schutzklauseln gegen den Missbrauch von Sozialleistungen beinhalte. Neue Gesetze seien daher unnötig. Auch er betonte, man dürfe auf Zuwanderung nicht mit Hysterie reagieren. Eine Einschränkung der EU-Freizügigkeit lehnt Andor ab.
    EU-Sozialkommissar Laszlo Andor warnt vor einer sozialen Spaltung in Europa
    EU-Sozialkommissar Laszlo Andor warnt vor einer sozialen Spaltung in Europa (picture alliance / dpa /Olivier Hoslet)
    Die Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, erkennt in der Heftigkeit der Debatte Vorboten für den Wahlkampf vor den Europawahlen im Mai. Sie kritisierte populistische Töne, etwa von CDU-Europapolitiker Elmar Brok. In der "Neuen Presse" aus Hannover warf sie ihm Demagogie vor, weil er vorgeschlagen hatte, Fingerabdrücke von Zuwanderern zu nehmen, um Mehrfacheinreisen von Sozialbetrügern zu verhindern. "Das Schlimmste ist, dass durch diese völlig unzulässige Überzeichnung ein Problem für unlösbar erklärt wird, an das man konstruktiv herangehen muss", sagte sie. "Bund, Länder und Kommunen hätten sich längst darauf vorbereiten können. Einige Kommunen, etwa Duisburg und Bochum, haben das durchaus getan."
    Auswirkungen auf den Fachkräftemangel
    Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag meldet sich zu Wort: "Die Zuwanderung insgesamt darf nicht durch eine aufgeheizte politische Diskussion in ein schlechtes Licht gerückt werden", sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Angesichts der demografischen Entwicklung brauche Deutschland in den nächsten Jahren bis zu 1,5 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland. Diese trügen dazu bei, Wachstum zu sichern. Die Öffnung des EU-Arbeitsmarktes für Bulgaren und Rumänen verbessere die Situation insofern, als diese nun einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen dürften.
    Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)
    Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) (AP)
    Ausschuss soll Maßnahmen prüfen
    Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits gestern versucht, die Diskussion um die Zuwanderung zu versachlichen: Regierungssprecher Georg Streiter kündigte einen Ausschuss aus Staatssekretären an, der sich mit dem Thema beschäftigen soll. Die Arbeitsgruppe soll prüfen, "ob und welche operativen Maßnahmen die zuständigen Ressorts gegen den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen veranlassen können".