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EU-Füchtlingspolitik
"Das geht doch so nicht weiter"

Die Ankunft Tausender Flüchtlinge, die über Ungarn nach Deutschland kommen, sind für den Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl ein "neuer Höhepunkt im Chaos der Flüchtlingsströme". Das Dublin-Abkommen existiere nur noch auf dem Papier und müsse erneuert werden, sagte der CSU-Politiker im DLF. Vor allem gehe es darum, die EU-Außengrenzen zu sichern.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.09.2015
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Das Dubliner Abkommen, das seit 2003 vorschreibt, dass in Europa der Staat für einen Asylantrag zuständig ist in dem ein Asylsuchender zuerst die Europäische Union betrete, habe jahrelang funktioniert, so Uhl im Deutschlandfunk. Inzwischen gelte es nur noch auf dem Papier, deshalb brauche es eine neue Übereinkunft der europäischen Staats- und Regierungschefs, die kläre: "Wie gehen wir mit der Völkerwanderung um". Diese Frage stelle sich vor allem mit Blick auf die EU-Außengrenzen. "Ich glaube, dass wir nicht darum herumkommen, die EU-Außengrenzen wieder dem Recht zu übergeben", so Uhl.
    Ob man die Grenzen, wie in Ungarn geschehen, mit einem Zaun sichere, sei eine "sekundäre Frage". Die Europäische Union habe sich bei dem Thema bisher "weggeduckt", kritisierte der CSU-Innenexperte.
    Deutschland müsse seine aktuelle Botschaft mit Blick auf die Flüchtlingsströme nachbessern. Zu sagen "Wir schaffen das" sei missinterpretierbar, Ungarn habe dies bereits getan. Es sei falsch zu sagen, "alle, die in irgendeiner Notlage sind, sollen nach Europa kommen. Das darf nicht unsere Politik sein."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Hans-Peter Uhl ist CSU-Politiker, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags und auch langjähriger innenpolitischer Experte der Unionsbundestagsfraktion. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Uhl!
    Hans-Peter Uhl: Grüß Sie Gott!
    Heckmann: Herr Uhl, der österreichische Bundeskanzler, Werner Faymann, der hat gesagt, die Entscheidung, die Flüchtlinge die Grenze überschreiten zu lassen, sei aufgrund der aktuellen Notlage an der Grenze und in Abstimmung mit Bundeskanzlerin Merkel getroffen worden. War diese Zustimmung richtig?
    Uhl: Wenn eine Notlage sich so zuspitzt wie diese am gestrigen Tag und in der Nacht, Menschen zu Hunderten bei strömendem Regen und Kälte auf freier Wildbahn sozusagen über Nacht zu lassen, dann muss man helfen. Ich halte diese Entscheidung für richtig, so sehr sie wiederum deutlich macht, dass das Chaos dieser Flüchtlingsströme einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
    Heckmann: Aber auf dieses Recht, dann die Grenze überschreiten zu dürfen, dürften sich in Zukunft auch andere Menschen berufen.
    Uhl: Genau das ist der Punkt. Ich werde jetzt gleich zum Münchener Hauptbahnhof fahren, das liegt auch in meinem Wahlkreis, um mir das anzuschauen, wie das Problem hier bewältigt wird. Ich bin mir sicher, die Sicherheitsbehörden, die Polizei und die sozialen Behörden werden das meistern heute wieder, aber die nächsten Tausende von Menschen sind ja schon auf dem Marsch zu uns. Es wird mit dieser Lösung von heute sich - wird es kein Bewenden haben. Jetzt geht es erst los.
    "EU-Außengrenzen wieder dem Recht übergeben"
    Heckmann: Die ungarische Regierung spricht ja von einer Ausnahme und hat angekündigt, in Zukunft werde man wieder die Menschen in Ungarn registrieren und dann auch unterbringen. Faktum ist aber, dass die Flüchtlinge das überhaupt nicht wollen, die wollen nicht in Ungarn bleiben, auch weil sie dort so schlecht behandelt werden. Warum sollte das bei denjenigen Flüchtlingen anders sein, die in Zukunft in Ungarn anstranden?
    Uhl: Die Flüchtlingsströme, das ist meine Erfahrung der letzten 20 Jahre, gehen immer den Weg des geringsten Widerstandes. Das ist mal über Ungarn, mal über andere Routen, mal über See, mal über Land. Das muss man wissen. Wenn man Signale aussendet und Botschaften, die ganz einfach sind - wir schaffen das! - dann klingt das gut und es ist auch schön, wenn man erlebt, wie gerade in München am Hauptbahnhof einfache, normale Bürger gekommen sind und geholfen haben, das ist schön, und wir werden diese Zahlen auch schaffen, nur, eine solche Botschaft ist natürlich missinterpretierbar. Der ungarische Regierungschef hat es gleich getan, und Flüchtlinge tun es auf ihre Weise und sagen alle, wir schicken sie weiter nach Deutschland, und wir wollen gleich nach Deutschland - diese Botschaft muss differenzierter, sie muss nachgebessert werden. Das heißt, wir schaffen es natürlich, diese geschundenen Menschen aus Syrien, aus dem Bürgerkrieg, dass wir denen helfen und sie aufnehmen. Aber wir schaffen es auch, dass wir Zehntausende von Menschen aus dem Westbalkan nach Hause bringen, in kürzester Zeit abschieben, auch das schaffen wir. Und das muss dazugesagt werden.
    Heckmann: Im Moment, Herr Uhl, sind die Dublin-Regeln ja praktisch außer Kraft gesetzt. Die Wahrheit ist allerdings auch, dass nicht nur Ungarn ja die Flüchtlinge passieren lässt, sondern auch Italien und Griechenland, das schon seit Monaten und Jahren. Muss man nicht sagen, Dublin ist von Anfang an gescheitert, und das ist auch ganz gut so? Sagt zum Beispiel Rebecca Harms, die Bündnisgrüne, heute früh im Deutschlandfunk, denn Dublin sei im Prinzip nur der Versuch gewesen der Kernländer, der reichen Länder innerhalb der Europäischen Union, sich die Flüchtlinge vom Hals zu schaffen.
    Uhl: Das ist natürlich völlig falsch, was Frau Harms sagt. Das ist grüne Ideologie auf dem Gebiet.
    Heckmann: Also da ist nichts dran?
    Uhl: Nein, Moment. Es ist völlig falsch, zu sagen, alle, die in irgendeiner Notlage sind, auch wirtschaftlicher Notlage sind, sollen nach Europa kommen können und am besten nach Deutschland. So wollen es viele Grüne. Das, mit Verlaub, darf niemals unsere Politik sein. Es gilt immer noch der Satz von Peter Scholl-Latour, "Wir können Kalkutta nicht retten, indem wir Kalkutta zu uns holen." Und das ist das Gegenteil von dem, was Frau Harms sagt. Jetzt aber zurück konkret zu Ihrer Frage, Dublin. Das Dublin-Übereinkommen war richtig und wichtig und hat jahrelang funktioniert. Jetzt steht es nur noch auf dem Papier und wird massenhaft täglich, tausendfach, gebrochen. Deswegen brauchen wir unverzüglich eine Übereinkunft der europäischen Staats- und Regierungschefs, wie gehen wir mit der Völkerwanderung um. Und da geht es vor allem um den Schutz der EU-Außengrenzen. Wir können nicht nur uns beschränken auf das Verteilen von Menschen, die diese Grenzen überwunden haben. Wir müssen auch Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen zum Schutz der EU-Außengrenzen.
    Heckmann: Das heißt, Sie glauben im Ernst, dass die Regeln von Dublin wieder in Kraft gesetzt werden in Zukunft?
    Uhl: Ich glaube im Ernst, dass sie natürlich nicht in Kraft gesetzt werden, aber ich glaube, dass wir gar nicht darum herum kommen, die EU-Außengrenzen wieder dem Recht zu übergeben. Das heißt, nicht Kriminelle, Menschenhändler entscheiden zu lassen, wer zu uns ins Land kommen darf, sondern dass die Staaten der EU und die gesamte Europäische Union mit ihren Sicherheitsbehörden diese Entscheidung trifft, wer darf rein, und wer darf nicht rein.
    "Ungarn betreibt auf dem Gebiet eine sehr zweifelhafte Politik"
    Heckmann: Um damit auch die EU-Außengrenze mit weiteren Zäunen und höheren Zäunen zu umgeben.
    Uhl: Ob das ein Zaun ist, ist eine sekundäre Frage. Maßnahmen, die die Außengrenzen sichern, sind zu ergreifen. Wenn Sie ein Haus bauen auf einem Grundstück, dann bauen Sie einen Zaun mit einem Gartentor. Sie wollen eine gute Nachbarschaft haben, das heißt, das Gartentor öffnen, wenn es nötig ist, also wenn Sie eine gemeinsame Veranstaltung machen, aber auch schließen können. Das ist das Wesen des Zauns, das ist eine friedliche Maßnahme einer guten Nachbarschaft, und das gilt auch für die ganze Europäische Union.
    Heckmann: Und das gilt auch für die Grenze, die Ungarn in den letzten Tagen und Wochen und Monaten ausgebaut hat im Osten?
    Uhl: Ungarn betreibt auf dem Gebiet eine sehr zweifelhafte Politik. Ob dieser Zaun in der Form nötig war, will ich dahingestellt sein lassen, aber dass wir die EU-Außengrenze sichern und der ungarische Regierungschef gesagt hat, die ist nicht mehr sicher, das muss man auch akzeptieren. Und dass er dann zu Maßnahmen greift, die im Einzelfall zu überprüfen sind, das ist selbstverständlich. Aber so, wie die Europäische Union sich bisher weggeduckt hat bei diesem Thema, so geht es nicht weiter.
    Heckmann: Herr Uhl, am Sonntag trifft der Koalitionsausschuss in Berlin zusammen, zentrales Thema auch hier die Flüchtlingssituation. Es heißt zwar mittlerweile, eine Änderung des Grundrechts auf Asyl stehe nicht zur Debatte, aber der Innenminister Thomas de Maizière, der hatte zuvor Änderungen am Asylrecht ins Spiel gebracht. So sollen die sicheren Herkunftsländer, diese sogenannten, nicht mehr per Gesetz definiert werden, sondern automatisch an Anerkennungsquoten gekoppelt werden. Ist diese Forderung eigentlich mittlerweile vom Tisch?
    Uhl: Es gibt ein ganzes Maßnahmenbündel. Er hat uns dieses diese Woche vorgetragen, das werden wir von der Wirksamkeit her prüfen. Selbstverständlich werden wir alle Pull-Faktoren abbauen müssen, das heißt, die Standards innerhalb Europas, wie geht man um, was Sozialleistungen anlangt, mit Flüchtlingen, müssen doch harmonisiert werden. Das geht doch so nicht weiter. Und wenn Menschen, die aus dem Westbalkan hierherkommen und innerhalb weniger Monate mehr verdienen als ein Polizist zu Hause, in Albanien zum Beispiel, dann ist das ein absurder Zustand. Das muss abgestellt werden.
    Heckmann: Aber meine Frage zielt ja konkret auf das Grundrecht auf Asyl und auf die Frage sicherer Herkunftsländer.
    Uhl: Wir werden mit Sicherheit das Grundrecht auf Asyl aufrechterhalten. Das heißt, wer politisch, rassisch, religiös verfolgt ist, bekommt bei uns Asyl - was denn sonst?
    Heckmann: Der innenpolitische Experte und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Uhl von der CSU war das, heute früh live im Deutschlandfunk. Herr Uhl, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Uhl: Ja, bitte schön, alles Gute! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.