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EU-Gipfel in Bratislava
Ein Zeichen nach dem Brexit

Nach dem Gipfel in der Slowakei beschwören die 27 Staats- und Regierungschefs den Geist der EU. In der Flüchtlingspolitik gab es eine zarte Annäherung. Doch ob der neue Geist von Bratislava angesichts der Kritik etwa aus Ungarn wirklich tragen wird, bleibt abzuwarten.

Von Jörg Münchenberg | 17.09.2016
    Die EU-Staats- und Regierungschefs stehen in mehreren Reihen auf einem roten Teppich zum Gruppenfoto bereit, im Hintergrund die Burg von Bratislava
    Die EU-Staats- und Regierungschefs stehen in Bratislava zum Gruppenfoto bereit. (picture alliance / dpa / REUTERS POOL / Yves Herman)
    Konkrete Beschlüsse gab es nicht, aber die waren auf dem informellen Treffen auch gar nicht vorgesehen. Stattdessen wollten die 27 Staats- und Regierungschefs vor allem ein politisches Zeichen nach dem Brexit setzen. Ein Zeichen der Geschlossenheit, aber auch der Bürgernähe. Innere und äußere Sicherheit, ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen, eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik und der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit – so lauten die Arbeitsaufträge für die kommenden Monate. Bundeskanzlerin Angela Merkel:
    "Der Geist von Bratislava war ein Geist der Zusammenarbeit. Der Tatsache, dass alle davon überzeugt sind, dass wir ohne die europäische Einigung diese Ziele nicht werden erreichen können. Jedenfalls bei Weitem nicht so gut erreichen können wir das gemeinsam können. Und wir waren auch der Überzeugung, dass wir Kompromisse brauchen."
    Gerade beim strittigen Thema Flüchtlingspolitik gab es auf dem informellen Treffen erste Anzeichen für eine Annäherung mit den sogenannten Visegradstaaten. In einer gemeinsamen Erklärung von Polen, der Slowakei, Ungarn und Tschechien hieß es gestern, notwendig sei eine "flexible Solidarität". Keine festen Quoten also mehr für die Aufnahme von Flüchtlingen. Stattdessen solle jedes Mitgliedsland selbst entscheiden können, welchen Beitrag es zur Bewältigung der Flüchtlingspolitik leisten könne. Die Bundeskanzlerin signalisierte Gesprächsbereitschaft:
    "Der Wille zu Europa"
    "Europa ist immer darauf angewiesen, Kompromisse zu finden. Wir haben ja auch alle erlebt, dass Mehrheitsbeschlüsse in einer so sensiblen Frage bei einigen auf sehr großen Widerstand gestoßen sind. Und da muss man schauen, ob wir auf anderen Wege vorankommen."
    Zunächst müsse der Ansatz der Visegrad-Staaten weiter konkretisiert werden, hieß es in Bratislava. Das gilt auch für die Agenda, die jetzt auf den nächsten offiziellen Räten – dann also wieder zusammen mit Großbritannien – abgearbeitet werden sollen. Wobei die Überschriften feststehen: Ausbau des EU-Grenzschutzes, die bessere Vernetzung der Datenbanken, eine engere Zusammenarbeit der Geheimdienste beim Antiterrorkampf, der Aufbau eines EU-Ein- und Ausreiseregisters, der Aufbau eines EU-Militärhauptquartiers, die Umsetzung von gemeinsamen Rüstungsbeschaffungsprogrammen bis hin zu Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sowie die Umsetzung des digitalen Binnenmarktes.
    François Hollande: "Was man von Bratislava im Kopf behalten muss, ist der Wille zu Europa. Europa muss und kann vorankommen. Solange es klare Prioritäten gibt. Und wenn diese Grundsätze dem Willen der Europäer entsprechen. Verteidigung, Sicherheit, Wohlstand und natürlich die Zukunft der Jugendlichen."
    Orban verklärt Flüchtlingspolitik zur Frage der nationalen Identität
    So der französische Präsident François Hollande auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin. Auch als politisches Ausrufezeichen gedacht - Frankreich und Deutschland wollen bei der Umsetzung der Agenda eine Führungsrolle übernehmen. Das wiederum sorgte beim italienischen Ministerpräsidenten für Unmut. Die Beschlüsse zur Migration und zur Wirtschaft seien nicht ausreichend, erklärte Matteo Renzi wohl auch deshalb.
    Und auch der ungarische Amtskollege Viktor Orban nutzte die Gelegenheit, um zum Abschluss des informellen Treffens erneut die EU-Flüchtlingspolitik deutlich zu kritisieren. Um sie dann erneut zur Frage der nationalen Identität zu verklären. Und so bleibt abzuwarten, wie weit der neue Geist von Bratislava am Ende wirklich tragen wird.