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EU-Gipfel
Politdrama oder Polittheater?

Beim EU-Gipfel verhandeln die Staats- und Regierungschefs stundenlang - auf ein Reformpaket für Großbritannien können sie sich dennoch nicht einigen. In London schaut man genau nach Brüssel: Für seine politischen Gegner führt der britische Premier David Cameron nur einen Scheinkampf.

Von Friedbert Meurer, London | 19.02.2016
    Großbritanniens Premier David Cameron (r.) verhandelt mit EU-Ratspräsident Donald Tusk (l) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (m.)
    Großbritanniens Premier David Cameron (r.) verhandelt mit EU-Ratspräsident Donald Tusk (l) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (m.) (picture alliance/dpa/Yves Herman )
    Immer noch kein Durchbruch in Brüssel, melden die Reporter der britischen Fernsehstationen in ihren Live-Schaltungen. Politdrama oder Polittheater - die Reporterin sieht auch Elemente von Letzterem am Werk. Daniel Hannan, Euro-Rebell von den Tories, winkt deswegen nur ab. "Ich kenne keinen einzigen Europaabgeordneten oder Eurokraten, der mir privat sagt, dass das ein fundamentaler Wandel sein soll. Die Eurokraten jauchzen doch vor Freude und klatschen sich ab und schlagen Rad, weil Cameron so wenig verlangt hat."
    Die Europa-Gegner auf der Insel sind nicht umzustimmen, gleich was der britische Premier in Brüssel aushandelt. UKIP-Chef Nigel Farage wird nicht müde, alle Änderungen - wenn sie denn kommen - als marginal abzukanzeln. "Ich möchte ein freundschaftliches Verhältnis zu den europäischen Ländern. Wir können das aber nicht haben als Mitglied dieser politischen Union." Ob er für irgendetwas Respekt habe, was David Cameron herauszuholen versuche, wird Farage gefragt. "Absolut nein."
    Umfragen zufolge haben sich zwei Drittel der Briten ihre Meinung über die EU-Mitgliedschaft gebildet, aber da sind die Unentschiedenen, die den Ausschlag geben werden. Sie will Cameron überzeugen mit einem Deal, der Großbritannien hilft - z.B. gegen zu viel Einwanderung. EU-Befürworter halten ihm dagegen vor, ein gefährliches Spiel zu betreiben.
    Sondersitzung erwartet
    "Die Wirkungen von alldem sind seismisch", warnt der frühere Labour-Chef und ehemalige EU-Kommissar Neil Kinnock. "Cameron setzt viel aufs Spiel, weil es nicht um die Details geht. Die Wahl beim Referendum ist: bleiben wir Mitglied oder treten wir aus? Also ob wir von der Klippe springen. Das ist von höchster Bedeutung für das Vereinigte Königreich."
    Der heutige Labour-Chef Jeremy Corbyn bekräftigt noch einmal, dass die größte Oppositionspartei für den Verbleib Großbritanniens kämpfen werde. "Cameron hat aus einem internen Zwist bei den Tories eine Angelegenheit von internationalen Ausmaßen gemacht. Er fliegt durch ganz Europa, damit er Unterstützung bekommt. Die anderen sind jedoch nicht gerade begierig, ihm zu helfen. Aber er wird eine Vereinbarung erhalten, die er als Sieg verkaufen kann."
    Wenn der Gipfel erfolgreich verläuft und eine Einigung zwischen Briten und EU besiegelt, will Cameron noch für heute Abend eine Sondersitzung des Kabinetts in London abhalten. Erwartet wird, dass er den 23. Juni als Termin für das Referendum ausruft. Unmittelbar danach beginnt der Wahlkampf in Großbritannien, für oder gegen einen Verbleib in der Europäischen Union.