Donnerstag, 28. März 2024

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EU-Gipfel
"Verletzung der Pressefreiheit nicht im Einklang mit der EU"

Nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen manövriert sich die Türkei zunehmend in eine Sackgasse. Die Übernahme der Zeitung 'Zaman' durch die türkische Regierung sei eine massive Verletzung des europäischen und internationalen Rechts und müsse bei dem EU-Sondergipfel angesprochen werden, sagte Röttgen im DLF.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Bettina Klein | 07.03.2016
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), im März vor einer Befragung im hessischen Landtag
    CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Klein: Herr Röttgen, beginnen wir gleich da. Kritiker formulieren es teils noch schärfer: Eine demütigende Ausgangslage. Die mächtigste Regierungschefin der EU begibt sich in einer so zentralen Frage wie der Flüchtlingspolitik in die Hand des türkischen Präsidenten. Verkauft die Bundesregierung, verkauft Europa da gerade einen Teil seiner/ihrer Seele?
    Röttgen: Nein, das tun wir nicht, und auch deshalb, weil es ganz unverantwortlich wäre, sind das Vorwürfe, die durch die Realität erfreulicherweise nicht gedeckt werden. Ich finde, die Regierung macht beides, wird auch nach meiner Einschätzung heute beides tun, zum einen zu konstruktiven Verabredungen mit der Türkei zu kommen. Es gibt ein großes Interesse in der Flüchtlingsfrage. Es gibt nebenbei weit darüber hinausgehend gemeinsame große auch geostrategische Interessen zwischen der EU und der Türkei und auf der anderen Seite die massive Verletzung von Pressefreiheit, von Rechtsstaatlichkeit anzusprechen und zu sagen, dass das mit europäischen Prinzipien, europäischen Werten unvereinbar ist und dass es ein sehr, sehr massiver, systematischer Vorgang ist, der die Türkei nicht nach Europa führt. Das muss jedem klar sein. Und ich glaube, beides wird getan und beides wird gesagt werden.
    Klein: Sie kritisieren das jetzt sehr offen, Herr Röttgen. Aber aus der Bundesregierung kam ja eigentlich gar nichts öffentlich. Da hieß es, man kommentiere das öffentlich nicht, und der Bundesinnenminister sagt, Deutschland soll sich nicht immer zum Schiedsrichter in Moralfragen aufspielen. Das Schweigen war doch schon mehr als deutlich, und da muss man sagen, da ist keinerlei Kritik gekommen.
    "Es geht um Fragen des Rechts, der Grundrechte der Pressefreiheit"
    Röttgen: Der Gipfel ist ja heute und ich glaube, dass es richtig ist, dass dann, wenn die Partner da sind, man es bei dieser Gelegenheit tut. Und darum gehe ich davon aus, dass das heute von der EU insgesamt - das ist ja ein europäisch-türkischer Gipfel - thematisiert, ausgesprochen wird. Der Sachverhalt ist so massiv, so offensichtlich, dass kein Mensch versuchen kann, ihn zu verschweigen oder zu beschweigen. Nebenbei geht es nicht um Moralfragen, sondern es geht um Fragen des Rechts, der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte der Pressefreiheit. Das ist ein massiver Vorgang und es ist ja schon der größte Teil der Presse unter staatliche Kontrolle gelangt in der Türkei. Jetzt wird gegen den auflagenstärksten Verlag vorgegangen, den man schon vorher eingeschüchtert, eingeschränkt hat. Man geht auch nicht einfach nur gegen ihn vor, sondern man übernimmt ihn gleich. Das ist ja noch mal auch eine Steigerung.
    Klein: Sie sagen, der Gipfel ist heute. Herr Röttgen, Entschuldigung. Aber das hätte ja niemanden daran gehindert, vielleicht schon vorher etwas so deutlich zu sagen, wie wir das gerade von Ihnen hören.
    Röttgen: Ja. Ich habe es auch schon vorher gesagt. Ich bin nicht Mitglied der Regierung, sondern Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Ich habe es publiziert, geschrieben und gesagt. Und ich glaube, dass das die Auffassung ist, die weithin geteilt wird im Parlament und in der deutschen Politik. Jetzt, finde ich, muss man auch diesen Tag mal abwarten und ihn nicht bewerten, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Ich glaube, dass es um die Identität der Europäischen Union als demokratische und Rechtsgemeinschaft geht, die hier angesprochen ist. Die Türkei ist nicht irgendein Land, sie ist ein großes Land in unserer Nachbarschaft, mit dem wir Beitrittsverhandlungen führen, und darum ist das selbstverständlich, liegt das in der Natur der Sache zu thematisieren. Es geht auch nicht um eine Schiedsrichterrolle, sondern um den Hinweis darauf, dass das massive Verletzungen des europäischen Rechts, aber übrigens auch des internationalen Rechts sind.
    "Ich gehe davon aus, dass es zu einer europäischen Entscheidung kommt"
    Klein: Wir verstehen das so: Aus strategischen Gründen hält man sich da auf Seiten der Bundesregierung etwas zurück. Auf der anderen Seite: Was gäbe es denn zu verlieren an Zusagen von der Türkei? Denn es gibt ja bereits einen Aktionsplan. Da sind schon bestimmte Dinge festgeschrieben. Oder eben doch noch nicht so festgeschrieben, dass man auch der Türkei da entgegenkommen muss, um das Land zur Kooperationswilligkeit zu bewegen?
    Röttgen: Noch mal: Der Tag kommt ja erst noch. Und zweitens muss man auch bei allem sehen: Natürlich haben wir ein Interesse der Kooperation in der Flüchtlingsfrage mit der Türkei, dass sie gegen Menschenhandel vorgeht, dass Flüchtlinge gut untergebracht werden, dass wir die Flüchtlingslage auch mit europäischem Geld besser ausstatten. Das ist ganz wichtig. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass die Türkei ein Interesse an der Kooperation mit Europa hat, und zwar ein ganz erhebliches Interesse prinzipieller Natur für die wirtschaftliche Entwicklung, für ihre internationale Position. Die Türkei hat sich ja neben der innerstaatlichen repressiven Entwicklung auch außenpolitisch nahezu in eine Sackgasse manövriert. Nicht nur das Verhältnis zu Russland ist auf dem Nullpunkt angekommen, sondern in der gesamten Nachbarschaft ist das eine, ich will nicht sagen isolierte, aber fast schon eine Sackgassensituation, in die sie sich manövriert hat. Die Türkei braucht also auch Partner und darum ist es ein wechselseitiges Interessenverhältnis, in dem man sich wechselseitig leisten kann, sich deutlich die Meinung zu sagen. Das sollten wir auch tun.
    Klein: Herr Röttgen, der Gipfel hat noch nicht angefangen, aber die Abschlusserklärung kursiert offensichtlich bereits schon. Ein wichtiger Punkt darin: Die Balkan-Route soll mehr oder weniger geschlossen werden. Das ist jetzt etwas anderes als eine Politik des herzlich Willkommens und der Offenheit hier. Ist das die Wende in der Flüchtlingspolitik, vor der ja einige warnen, die sich aber andere herbeigesehnt haben?
    Röttgen: Ich kenne den Text nicht und ich sehe das so nicht, jedenfalls nicht als deutsche Position und auch nicht als europäische Position. Es war und ist ja so, dass die Grenzschließungen auf der sogenannten Balkan-Route unabgestimmt erfolgt sind zwischen den betroffenen Ländern, auch nicht wirklich zwischen allen betroffenen Ländern. Griechenland ist ja auch davon betroffen, wo jetzt der Rückstau ankommt. Insofern ist es gerade nicht eine europäische Maßnahme und ich gehe davon aus, dass auch auf diesem Gipfel es nun zu einer europäischen Entscheidung und einer europäischen Entscheidung im Verhältnis zur Türkei kommt. Es kommt dann ja in rund zwei Wochen ein weiterer europäischer Gipfel. Die Wiederherstellung, muss man sagen, europäischer Einigkeit und Handlungsfähigkeit, das ist das, worum es entscheidend geht, und das ist auch die Position der Bundesregierung, von der ich ganz sicher ausgehe, dass sie heute nicht revidiert wird.
    "Ich glaube auch nicht, dass die Türkei die Lösung des Flüchtlingsthemas ist"
    Klein: Die Türkei fordert nun aber auch feste Kontingente, die jeweils die Flüchtlingszurücknahme angehen. Ist da damit zu rechnen, dass es dort eine Einigung geben wird heute?
    Röttgen: Das muss man sehen, wie es dazu kommt. Jedenfalls ist das Prinzip ja, dass die Europäische Union mit drei Milliarden Euro die Türkei unterstützt für Flüchtlingsprojekte, Unterbringung und darüber hinausgehende Perspektiven, die die Flüchtlinge erhalten sollen auf dem Gebiet der Türkei, und dafür soll der illegale Weg von Flüchtlingen, der gefährliche illegale Weg durch einen legalen Weg von der Türkei nach Europa ersetzt werden. Das ist das Projekt, dazu gibt es Verabredungen. Und wie Sie eben auch zitiert haben: Es geht, glaube ich, gar nicht nur so sehr um neue Verabredungen, sondern es geht darum, dass Verabredungen, die getroffen worden sind und heute getroffen werden, auch umgesetzt werden. Wir haben ein Umsetzungsthema viel mehr als ein Vereinbarungsthema nach meiner Einschätzung.
    Klein: Jeder zweite Gipfel wird im Augenblick als eine Art Schicksalsgipfel eingestuft. Das war in der Eurokrise auch schon nicht anders. In zehn Tagen gibt es schon wieder den nächsten Gipfel. Was ist das, was heute dabei herauskommen muss, dass man sagt, es ist nicht gescheitert, sondern wir sind da auf einem guten Weg, Ihrer Meinung nach?
    Röttgen: Dass man konkrete Vereinbarungen trifft, von denen auch die Türkei insbesondere glaubwürdig vermittelt, dass sie sie umsetzen wird. Und ich möchte Ihrer Einschätzung völlig Recht geben. Auch das wird nicht der Gipfel sein. Ich glaube auch nicht, dass die Türkei die Lösung des Flüchtlingsthemas ist, sondern wir müssen es in Europa lösen. Und dass es den Gipfel gibt, der auf einmal alles löst, das sind immer unrealistische übertriebene Erwartungen, sondern man muss sich ganz oft treffen, miteinander ringen, um zu einer Lösung zu kommen. Das ist ein Prozess, das Aufeinanderprallen von einer riesigen Region, die von Terror und Krieg und Not und Verzweiflung geprägt ist mit uns in Europa als einer Region von Hoffnung und Entwicklung, Freiheit und Wohlstand, und das löst einen Druck aus, mit dem wir es zu tun haben, eine neue historische Situation, auf die man eine Strukturantwort finden muss, und da ist leider kein Knopf vorhanden, auf den man drückt und alles wird gut. Man braucht dafür auch Zeit, so schwierig es ist.
    "Diesen Gipfel kurzfristig mit Erwartungen zu überfrachten, führt nur zu Enttäuschungen"
    Klein: Neue historische Situation, auf den Knopf drücken, die Wähler möglicherweise am kommenden Sonntag in drei Landtagswahlen, und man hat ja im Vorfeld auch gesagt, dieser Gipfel, von dem, was dabei herauskommt, wird eine Menge abhängen für das Wahlverhalten am kommenden Sonntag bei drei Landtagswahlen. Sie gehen davon aus, dass die Erfolge der AfD zum Beispiel mit dem, was heute beschlossen wird, gering gehalten werden können?
    Röttgen: Nein. Ich glaube, auch diesen Gipfel per se oder auch das Verhältnis Europas zur Türkei kurzfristig mit Erwartungen zu überfrachten, führt und kann nur zu Enttäuschungen führen. Ich glaube, dass wir eine realistische Perspektive brauchen, auch im Verhältnis zur Türkei. Wenn es gelingt, kleinere Schritte zu machen, Vertrauen wechselseitig wieder herzustellen, dann wäre das schon ein guter Einstieg, wenn etwas gelingt, verlässlich auch verwirklicht wird. Und ich glaube auch, dass ein gebotener Realismus gegenüber der Bevölkerung mehr bewirkt, dass Menschen auch Vertrauen wiedergewinnen können, als wenn wir Einzelereignisse hochhypen, die aber die Erwartungen nicht erfüllen können. Ich glaube, die Menschen vertragen es sehr gut, wenn man vernünftig und realistisch mit ihnen vorgeht und sagt, das ist ein schrittweiser Prozess.
    Klein: Und wir werden schauen, wieviel Vertrauen mit dem Gipfel heute zurückzugewinnen ist. - Das war heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, von der CDU. Danke Ihnen für das Interview, Herr Röttgen!
    Röttgen: Vielen Dank! Ich danke Ihnen sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.