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EU-Katastrophenschutz-Forum
Frust über chaotische Nepal-Hilfe

Hilfsorganisationen aus aller Welt beklagen den Ablauf der Hilfsaktionen in der Erdbebenregion in Nepal. Das äußerten sie auf einem Treffen des European Civil Protection Forums in Brüssel. Nicht nur die nepalesische Regierung habe demnach Fehler gemacht, auch einige Organisationen hätten sich nicht an die Regeln gehalten.

Mario Dobovisek im Gespräch mit Britta Fecke | 11.05.2015
    Menschen in Kathmandu/Nepal warten auf frisches Trinkwasser
    Menschen in Kathmandu/Nepal warten auf frisches Trinkwasser: Die Koordination der Hilfe verlief schwierig. (imago stock&people)
    Britta Fecke: Noch immer sind Bergdörfer in Nepal von der Außenwelt abgeschnitten und damit auch von jeglicher Hilfe: von Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Nahrungsmitteln. Zudem wächst die Gefahr von Epidemien, weil die Leichen ungeborgen in den Trümmern verwesen. Laut UN sind mindestens 3,5 Millionen Menschen dringend auf Nahrungsmittel angewiesen. Dass die Hilfsgüter, Zelte, Reis und Zucker nicht bei den Menschen ankommen, liegt neben dem unwegsamen Gelände und dem einsetzenden Monsun auch an der Regierung in Nepal, die tatsächlich noch immer alle Hilfslieferungen durch den Zoll schickt, vor dem sich die dringend benötigten Lebens- und Arzneimittel stapeln. Die letzte Landebahn in Kathmandu musste nun auch noch schließen, weil sie dem Gewicht der schweren Transportmaschinen nicht mehr standhält. Das Chaos bei der Koordination der Hilfslieferungen erinnert frappierend an die Missstände in Sri Lanka nach dem Tsunami vor gut zehn Jahren. Hat man seitdem nichts gelernt? Mein Kollege Mario Dobovisek war beim European Civil Protection Forum der EU-Kommission in Brüssel und auch dort ging es um den Einsatz nach dem schweren Erdbeben in Nepal. Herr, Dobovisek, wer trifft sich eigentlich bei diesem Forum?
    Mario Dobovisek: Es waren rund 700 Katastrophenschutz-Experten aus der ganzen Welt - vor allem aber aus Europa, Sie haben es gesagt, die Konferenz wurde organisiert von der EU-Kommission, die selber seit mehr als zehn Jahren einen Zusammenschluss, ein Netzwerk von Katastrophenschutz-Organisationen betreibt, mit einem Koordinierungszentrum in Brüssel, mit gemeinsamen Standards, Seminaren und Übungen, um effizienter Hilfe leisten zu können. Viele Experten also, die sich alle zwei bis drei Jahre auch auf einer großen Konferenz treffen, die in diesem Jahr eben ganz im Zeichen der Hilfe und Koordinierungs-Schwierigkeiten in Nepal stand.
    Nicht alle Rettungsteams haben sich koordinieren lassen
    Fecke: Es gab Kritik an der Koordinierung durch die nepalesische Regierung und die Internationale Gemeinschaft. Wie erklären sich die Katastrophenschutz-Experten in Brüssel diese Missstände?
    Dobovisek: Erst mal wurde sehr lebhaft darüber diskutiert, kann man sagen. Immer wieder war dabei Ärger und Frustration herauszuhören - vor allem über jene Hilfsorganisationen, die sich in Nepal nicht an die internationalen Spielregeln gehalten haben. Eine Szene drückt das vielleicht ganz gut aus: Da stand nämlich mitten in der Debatte im Plenum ein Experte vom finnischen Roten Kreuz auf und sagte, wir bedrucken ab sofort Westen mit den Worten: "Ich bin ein humanitärer Tourist" und diese Westen, so sagte der Finne weiter, wolle er dann im Einsatz an alle Hilfsorganisationen ausgeben, denen Spenden, nationale Interessen und das Bild in den Medien wichtiger seien, als die eigentliche Hilfe. Zuständig für die Koordinierung nach Katastrophen ist immer die Regierung des betroffenen Landes - gemeinsam mit den Vereinten Nationen, darunter auch EU-Experten. Doch zu viele Organisationen wollten sich in Nepal überhaupt nicht koordinieren lassen, meint Jesper Holmer Lund, der Chef aller UN-Nothilfekoordinatoren:
    "Wir wissen, dass sich zwar 76 Such- und Rettungs-Teams bei uns angemeldet haben. Aber nur 50 haben sich dann auch koordinieren lassen. Warum waren die anderen da und was haben sie gemacht? Wir wissen es einfach nicht."
    Viele Teams hätten sich zudem einfach ins Flugzeug gesetzt, obwohl die UN-Koordinatoren und die nepalesische Regierung längst weitere Hilfe abgelehnt oder andere angefordert hatten. Und so hat sozusagen die falsche Hilfe den ohnehin sehr kleinen Flughafen von Kathmandu einfach blockiert - und damit eben auch viel dringender benötigte Hilfe, die weiter draußen warten mussten. Ein Ärgernis für alle Organisationen, die sich an die Spielregeln halten; die immer erst kleine Erkundungs-Teams losschicken, um dann exakt auf die Anforderungen reagieren zu können und deshalb eben nicht als erste Helfer vor Ort im Rampenlicht stehen.
    THW: Unzuverlässige Organisationen erst gar nicht ins Land lassen
    Fecke: Welche Konsequenzen wollen denn die Katastrophenschutz-Experten daraus nun ziehen?
    Dobovisek: Die EU und die Vereinten Nationen reagieren sehr zurückhaltend. Es gebe keine Katastrophenschutz-Polizei, die das überwachen könnte, sagt Holmer Lund. Dennoch wolle man sich in den kommenden Wochen noch einmal genau ansehen, wie welche Rettungsteams in Nepal gearbeitet haben und dann entsprechend einen Dialog suchen. Albrecht Broemme, Präsident vom Technischen Hilfswerk aus Deutschland - eine Regierungsorganisation des Innenministeriums, geht da deutlich weiter:
    "Wenn ein Team nie sich solchen internationalen Regeln unterwirft, dann kann man nur sagen, die dürfen gar nicht erst ins Land reingelassen werden. Da müsste sich die Internationale Staatengemeinschaft einig sein. Übrigens hat es Japan so gemacht nach Fukushima. Die haben all diese selbst ernannten Gutmenschen wieder nach Hause geschickt."
    Den Frust kann man hier bei Albrecht Broemme deutlich spüren. Das THW hatte zum Beispiel keine Retter mehr nach Nepal geschickt, sondern zwei Trinkwasser-Aufbereitungs-Anlagen. Wenig spektakulär, aber dafür eben dringend benötigt. Und ohnehin - der für Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz zuständige EU-Kommissar, Christos Stylianides, sagt klar:
    "Also die Katastrophenvorsorge und die Vorbereitung sind am Ende immer besser und wichtiger als die Hilfe nach einer Katastrophe."
    Fecke: Warum hat es denn in Nepal mit der Vorsorge offensichtlich mal wieder nicht so gut funktioniert?
    Dobovisek: Es gab mehrere Expertenkommissionen von EU und Vereinten Nationen, die eine Fülle von Vorschlägen gemacht haben: von der Bauweise der Gebäude über die Information der Menschen bis hin zur Struktur der Feuerwehr. Doch von diesen Vorschlägen sei am Ende kaum einer umgesetzt worden. So sagt es Juha Auvinen, der Chef des ERCC, des Notfallabwehr-Zentrums der Europäischen Kommission:
    "Wir haben beraten", sagt Auvinen, "aber es ist natürlich schwierig, Druck auf eine souveräne Regierung auszuüben."
    Auch hier steckt wieder viel Frust drin. Darüber nämlich, dass die warnenden Rufer am Ende immer ziemlich einsame Rufer in der Wüste sind, auf die niemand hört. Die Regierung in Kathmandu spielt den Ball dagegen wieder zurück und sagt - ja, die Vorschläge waren alle samt gut und klar, aber in der Umsetzung hat uns die Internationale Gemeinschaft ziemlich allein gelassen.