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WM 2018
In Samara läuft die Uhr ab

Bis zum Beginn der Fußball-WM in Russland sind es nur noch zweieinhalb Monate. Die meisten Stadien sind fertig. Aber eines hinkt besonders deutlich dem Zeitplan hinterher. Es ist die Arena in Samara. Der Bau zieht sich. Die FIFA ist unzufrieden.

Von Thielko Grieß | 24.03.2018
    Blick von Außen auf das im Bau befindliche WM-Stadion im russischen Samara.
    Blick von Außen auf das im Bau befindliche WM-Stadion im russischen Samara. (Thielko Grieß / Deutschlandradio)
    Jeder Sitz muss mit mehreren Schrauben an einer Metallstange befestigt werden. Blaue, bequeme Sitze. Das hier, an der Längsgeraden des künftigen Spielfelds, sind teure Plätze.
    "Stuhl, Schraube, Schraubenmutter - alles da."
    Ein Arbeiter aus Usbekistan beugt sich über den Sitz, befestigt ihn. Eine Reihe weiter kauert ein weiterer Usbeke vor einem anderen Sitz, und so weiter. Gut 15 Arbeiter bohren und schrauben an diesem Teil der Tribüne. Sie haben hier vor fünf Monaten angefangen und wohnen gleich neben dem Stadion.
    14 bis 15 Stunden Arbeit - täglich
    "Ja, es geht. Zum Leben ist in den Quartieren alles vorhanden, schon gemütlich. Was zum Essen, eine Dusche, alles da. Hier im Stadion ist es kalt, aber wenn du arbeitest, wird dir sogar ein bisschen heiß."
    Sie berichten, täglich arbeiteten sie 14 bis 15 Stunden, die Mittagspause dauere eine Stunde. Als Monatslohn erhielten sie 40.000 Rubel, umgerechnet rund 570 Euro.
    Auf einem höher gelegenen Mittelgeschoss zwischen den Rängen prüfen behelmte Arbeiter ihre Kletterhaken. Sie sind Russen, keine Usbeken.
    "Die bringen eine Vorrichtung für die Soundanlage an. Das sind Industriekletterer, die im normalen Leben Sportler sind: Bergsteiger, Höhlenforscher. Schauen Sie, ihre teure und professionelle Ausrüstung: Die kostet etwa 1500 bis 2000 Dollar."
    Der Winter hat das WM-Stadion im russischen Samara fest im Griff. 
    Der Winter hat das WM-Stadion im russischen Samara fest im Griff. (Thielko Grieß / Deutschlandradio)
    "Wir haben noch kein Spielfeld"
    Andrej Samarin ist Ingenieur. Das Dach aus Glas und Stahl, das von außen wie ein kosmisches Objekt aussehen soll, sei schwierig zu errichten gewesen. Kosmisch deshalb, weil in Samara schon seit Sowjetzeiten Trägerraketen gefertigt wurden. Er sagt, die Arena sei nun so gut wie fertig.
    "Jetzt bleiben eher noch Reinigungsarbeiten: hier reinigen, dort putzen. Ah, jemand ist auf eine Fliese getreten! Schnell sauber machen."
    Das sieht Colin Smith anders, er ist FIFA-Wettbewerbsdirektor. Nach einem Rundgang im Stadion setzt er eine ernste Miene auf:
    "Sie haben gesagt, dass ich nicht glücklich aussehe. Ich meine, offensichtlich hätten wir mehr Fortschritt erwartet als dies. Das Wichtigste ist: Wir haben noch kein Spielfeld. Wir haben immer gesagt, dass in jedem Stadion der Fokus auf dem Spielfeld liegt. Das ist natürlich der wichtigste Teil: Er erlaubt den Teams, den besten Spielern der Welt, Höchstleistungen zu zeigen."
    Blick auf das unfertige Spielfeld im WM-Stadion im russischen Samara. 
    Blick auf das unfertige Spielfeld. (Thielko Grieß / Deutschlandradio)
    Die Uhr tickt, während die Kosten steigen
    Mehrfach betont er, nun müsse mehr getan werden. Dem Hinweis auf andauernden Frost in Samara entgegnet Smith: "Ich denke nicht, dass kaltes Wetter für Russland etwas Neues wäre."
    Die Zeit drängt: Denn nicht der Beginn der WM ist entscheidend, sondern der 28. April. In gut einem Monat soll das erste von drei Testspielen angepfiffen werden. Dort, wo dann Rasen sein soll, importiert aus Deutschland, wölbt sich jetzt noch eine Zeltkonstruktion, unter der ein Gebläse den Boden frostfrei hält. Aleksej Sorokin vom Organisationskomitee Russland 2018 hat den FIFA-Inspekteur begleitet. An Journalisten gewandt, meint er:
    "Ich würde Sie bitten, die Situation nicht unnötig zu dramatisieren. Das Stadion wird immer weiter gebaut. Die Frist zur Fertigstellung ist noch nicht abgelaufen. Es wird alles dafür getan, dass das Stadion rechtzeitig fertiggestellt wird, damit hier Testspiele durchgeführt werden können."
    Weil die Uhr also vernehmlich laut tickt, werden wohl wieder die Kosten steigen, meint Sergej Lejbgrad. Der gebürtige Samarer ist seit Jahrzehnten Fan des örtlichen Klubs Krylja Sowetow und betreibt zu dessen Geschichte sogar ein privates Museum. Er ist einer, der dem Bündnis zwischen FIFA und russischem Staat fern steht und der konstatiert: Die Samara Arena ist viel zu üppig geplant worden.
    Sergej Lejbgrad, seit Jahrzehnten Fan des ortsansässigen Vereins Krylja Sowetow
    Sergej Lejbgrad sieht die Arena sehr kritisch. (Thielko Grieß / Deutschlandradio )
    Dort arbeiten hauptsächlich Gastarbeiter aus Zentralasien, die alles machen
    "Es gab Probleme mit der Kuppel und die Befürchtung, dass sie einstürzt. Deswegen konnten die Bauarbeiten nicht zu Ende gebracht und das Fußballfeld nicht angelegt werden. Jetzt, in dieser Hetze, werden alle Kräfte zusammengezogen, dort arbeiten hauptsächlich Gastarbeiter aus Zentralasien, die alles machen. Wie einst bei Potjomkin. In Europa würden sie das nicht machen, aber hier geben sie dafür beliebig viel Geld aus."
    Die Baukosten werden zurzeit mit rund 260 Millionen Euro angegeben, doch endgültig ist diese Summe wohl nicht.