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EU-Klimaschützerin kritisiert Gütesiegel für Biosprit

Kerstin Meyer vom europäischen Dachverband "Transport & Environment" hält nicht viel von den gestern vorgestellten EU-Gütesiegeln für die Biosprit-Produktion. Die Siegel ignorieren aus ihrer Sicht, dass der Biosprit-Anbau häufig die Lebensmittelherstellung in Regenwaldgebiete verdrängt.

Kerstin Meyer im Gespräch mit Jule Reimer | 20.07.2011
    Jule Reimer: Der Verkehrssektor macht den Klimaschützern die größten Sorgen. Bislang fahren Autos und Lasttransporter nun mal in der Regel mit Treibstoffen auf der Basis von Erdöl und eine flächendeckende Alternative dazu ist noch nicht in Sicht. Bis 2020 will die Europäische Union jedoch erreichen, dass zehn Prozent des Sprits aus Biomasse stammt, aus Soja oder Zuckerrohr zum Beispiel. Doch die Umweltwirkung des sogenannten Biosprits, der auch jetzt schon beigemischt wird, ist umstritten. Damit Verbraucher sicher sein können, dass sie beim Tanken von Biosprit tatsächlich etwas Gutes für die Umwelt tun, hat die EU-Kommission gestern gleich sieben Gütesiegel anerkannt. – Am Telefon in Brüssel bin ich mit Kerstin Meyer von Transport & Environment verbunden, einem EU-Dachverband, der den Klimaschutz im Verkehrssektor fördern will. Frau Meyer, die Bedingung für die Vergabe der Siegel war, dass pro Liter Biosprit 35 Prozent weniger CO2 freigesetzt werden, als dies bei normalem Benzin oder Diesel der Fall wäre. Ist also jetzt mit dem Siegelsystem gewährleistet, dass der Autoverkehr klimafreundlicher wird?

    Kerstin Meyer: Ja guten Tag. – Also der Autoverkehr wird damit noch nicht klimafreundlicher, denn diese Gütesiegel haben einen entscheidenden Nachteil. Sie ignorieren einen Großteil des Problems. Die Gütesiegel beschäftigen sich nämlich nur mit der direkten Herstellung von Biosprit und ignorieren die indirekten Effekte.

    Reimer: Welche sind das?

    Meyer: Die indirekten Effekte entstehen, wenn sie Biokraftstoff produzieren, dann dürfen sie das tatsächlich nicht da tun, wo Regenwald steht. Das bedeutet, sie bauen die Biokraftstoffe da an, wo früher Nahrungsmittel produziert wurden. Die Nahrungsmittelproduktion wird dann jedoch in andere Gebiete verlagert, und das sind dann häufig Regenwaldgebiete.

    Reimer: Jetzt sagt die EU-Kommission, dass diese Siegel aber garantieren, dass die Rohstoffe für den Biosprit keine Flächeneffekte haben.

    Meyer: Diese Nachhaltigkeitskriterien und diese Gütesiegel beschäftigen sich mit der Herstellung der Biokraftstoffe direkt. Sie beschäftigen sich aber nicht mit den Effekten, die der Anstieg des Biokraftstoffverbrauchs auf den Lebensmittelsektor hat. Das heißt, die Biokraftstoff-Problematik wird tatsächlich damit behandelt, aber das wichtige Problem ist eben, dass die Nahrungsmittelproduktion im Regenwald stattfindet, weil wir jetzt die Biokraftstoffe auf den Feldern anbauen, wo früher Nahrungsmittel wuchsen.

    Reimer: Das heißt, wir bräuchten ein entsprechendes Zertifizierungssystem auch für den Lebensmittelbereich?

    Meyer: Was wir wirklich bräuchten, wären effizientere Fahrzeuge, denn damit würden wir schlichtweg weniger Treibstoff verbrauchen und nicht versuchen, den bestehenden Treibstoff durch andere Treibstoffe zu ersetzen.

    Reimer: Was heißt Effizienz? Setzen Sie auf Elektromobilität?

    Meyer: Wir finden, dass die Grenzwerte für Spritverbrauch momentan der wichtigste Schritt sind, um effizientere Fahrzeuge zu bewirken, denn damit erreichen sie Effizienzverbesserungen direkt jetzt aktuell in der Fahrzeugflotte und nicht erst in 2020 oder so, wenn sie das ganze Problem der Tankstellen gelöst haben.

    Reimer: Das heißt, Sie setzen letztendlich weiter auf Erdöl oder Erdgas als Basis für den Verkehrssektor?

    Meyer: Für den Übergangszeitraum wird man da wahrscheinlich nicht drum herum kommen. Biokraftstoffe, so wie es momentan geregelt wird, können tatsächlich mehr CO2 verursachen als konventionelle Kraftstoffe. Statt 35 Prozent effizienter zu sein, wie Sie das eben gesagt haben, können sie bis zu 81 bis 167 Prozent schlechter sein durch die Regenwaldabholzung und durch die Nahrungsmittelproduktion. Das ist also definitiv nicht der richtige Weg.
    Langfristig ist es sicherlich eine gute Idee, in den Elektrobereich zu gehen, aber kurzfristig ist es wichtig, dass die CO2-Grenzwerte weiterhin bestehen bleiben und verschärft werden.

    Reimer: Vielen Dank! – Klimaschützer kritisieren die sieben, von der europäischen Kommission anerkannten Gütesiegel für Biosprit. Das war Kerstin Meyer von Transport & Environment in Brüssel.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.