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EU-Kommissar Oettinger
Der "Faktenstaubsauger" will sich das Neuland erobern

Mit Günther Oettinger soll ein Mann EU-Digitalkommissar werden, dem viele den Job nicht zutrauen. Im EU-Parlament stellte er sich den kritischen Fragen der Abgeordneten und musste sich dabei auch Spott von Satiriker Martin Sonneborn anhören.

Von Anne Raith | 30.09.2014
    Günther Oettinger mit ernstem Blick. Sein Gesicht wird halb verdeckt von einer Europa-Flagge.
    EU-Kommissar Günther Oettinger (Itar-Tass/Anton Novoderezhkin)
    In Raum JAN4Q2 des Europäischen Parlaments ist kein Durchkommen mehr. Im Halbrund sitzen die zuständigen Abgeordneten um das Rednerpult, dahinter drängen sich, dicht an dicht Journalisten, Lobbyisten und andere Beobachter. Wer einmal sitzt, steht nicht mehr auf. Und wer steht, wird lange stehen müssen – drei Stunden wird sich Günther Oettinger den Fragen der Abgeordneten stellen.
    "Ladies and Gentlemen, please sit down, take your seat."
    Um 18:30 Uhr eröffnen die beiden Vorsitzenden der federführenden Ausschüsse – den Ausschüssen für Industrie und Kultur - die Anhörung, dann hat Günther Oettinger das Wort:
    "Meine sehr verehrten Damen und Herren..."
    "Bereit, meine Vision für ein digitales Europa zu diskutieren", hatte er wenige Minuten vorher noch getwittert. Nun beginnt über dem 60-Jährigen eine Uhr zu laufen. 15 Minuten hat Oettinger ab jetzt, für seine Vision. Also geht es gleich ums große Ganze:
    "Europa gemeinsam, die Europäische Union, hat die Marktmacht noch immer, die Betriebsgröße, hat die finanziellen Möglichkeiten in dem von ihnen genehmigten Haushalt, um die Aufholjagd zu beginnen..."
    ...und um dabei den Anschluss nicht zu verlieren, an die USA zum Beispiel, gehe es vor allem um eines: Den Ausbau der Infrastruktur.
    "Wie erreichen wir, dass jeder Bürger und jedes Unternehmen das Internet nutzen kann. Entscheidend mit einem abgestimmten Ausbau unserer ICT-Infrastruktur, dem Breitband und mit ländlichen Räumen und der Integration aller Regionen und Standorte Europas in diese Infrastrukturplanung zu tun."
    Ein Mann, der sich schnell in Themen einarbeiten kann
    Es fallen die Schlagworte, die vom Digital-Kommissar erwartet werden. Industrie 4.0, Datensicherheit und Datenschutz, Urheberrecht und Copyright. Dann ist seine Zeit um.
    "The time is over, I'm sorry..." - "Besten Dank."
    Das Digitale sei Neuland für ihn, konnte man im Vorfeld immer wieder lesen – ebenso, dass er einer sei, der persönlich ziemlich viel ziemlich schnell abspeichern könne. Das sei sein Plus, sagt Rainer Wieland, stellvertretender Parlamentspräsident und wie Oettinger Christdemokrat:
    "Er ist enorm faktenstark. Was er einmal aufgenommen hat, vergisst er nicht. Ein regelrechter Faktenstaubsauger."
    Dann erhöht sich der Takt. Eine Minute fragen, zwei Minuten antworten, und das insgesamt 45 Mal.
    Wo brauchen wir mehr, wo weniger Europa? Wie steht es um die Sozialstandards in Start Ups? Wie steht er zur Reformierung des Urheberrechts? So lauten die griffigeren der Fragen und Oettinger antwortet.
    Ob der designierte Kommissar im deutschen Original ähnlich vage sei wie in der englischen Übersetzung, wird jemand eine halbe Stunde später per Twitter fragen. Doch Günther Oettinger lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht, als um 19:38 Uhr Satiriker Martin Sonneborn das Wort ergreift.
    "Herr Oettinger, werden Sie sich in Ihrer Funktion als Digitalkommissar für das Recht auf Vergessen im Internet einsetzen? Und wenn ja: Wie wollen Sie verhindern, das etwa folgende Informationen aus Versehen gelöscht werden: Ihre Ausführungen zur Nazi-Vergangenheit von Hans Filbinger, dass Sie mittelalterliche schwäbische Inkunabeln verhökern wollten – was ist das überhaupt? Und dass Sie Ihren Führerschein mit 1,4 Promille abgeben mussten."
    Im Oktober soll das EU-Parlament abstimmen
    Stoisch lauscht Oettinger seinen Fragen – und beantwortet sie, am Ende nicht unsouverän:
    "Wer in der Politik ist, muss sich mit Erfolgen und Misserfolgen lebenslang messen lassen."
    An Erfolgen und Misserfolgen kann sich Oettinger an diesem Abend noch nicht messen lassen – aber an dem Eindruck, den er in den vergangenen drei Stunden hinterlassen hat. Für die SPD-Abgeordnete Martina Werner bleibt da noch Luft nach oben:
    "Es ist natürlich ein umfassendes und breites Thema, da muss man natürlich schon eine Menge Wissen darüber haben, das hat er sich ja erst aneignen müssen, aber ich hätte mir bei einigen Dingen konkretere Ansagen gewünscht."
    Ein ähnliches Fazit zieht der Grüne Abgeordnete Jan-Philipp Albrecht:
    "Er hat sich bemüht, sich in die Themen rein zu finden, aber ob das für die Bewältigung der digitalen Revolution reicht, das bezweifele ich."
    Wie groß die Zweifel an den designierten Kommissaren am Ende sein werden, wird sich erst Ende Oktober zeigen, wenn das Parlament über das Gesamtpaket abstimmt.