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Streit über Dieselfahrzeuge
"Ohne Flexibilität für die Industrie wird es nicht funktionieren"

Der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul hat davor gewarnt, in der Diskussion um die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen die Automobilindustrie an den Pranger zu stellen. Die Politik müsse lernen, dass man Technik "nicht von heute auf morgen" umschalten könne, sagte Reul im DLF.

Herbert Reul im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.04.2017
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.
    Der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul warb im DLF dafür, bei der Umrüstung von Diesel-Fahrzeugen realistisch die Dauer der technischen Verfahren und die Kosten für die Industrie einzuschätzen. (dpa / Michael Kappeler)
    Einfach zu sagen, "die böse Automobilindustrie", damit sei niemandem geholfen, sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Autos seien zu einem Zeitpunkt zugelassen worden, als ein im Labor gemessener Grenzwert gegolten habe. Erst ab Herbst müsse auf der Straße gemessen werden. Das sei wesentlich komplizierter, und die Umstellung der Technik brauche Zeit, argumentierte Reul.
    Die Verkehrsminister von Bund und Ländern beraten ab heute in Hamburg zwei Tage lang über die Umweltverträglichkeit von Diesel-Autos. Das Umweltbundesamt hatte diese Woche neue Daten veröffentlicht, wonach auch neue Diesel auf der Straße deutlich mehr umweltschädliche Stickoxide ausstoßen als bisher bekannt.

    Das Interview in voller Länge:

    Jasper Barenberg: Selbst die neuesten, modernsten Dieselmodelle stoßen viel mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als sie sollten, zum Teil sechsmal so viel wie auf dem Papier steht. Die Norm erfüllen sie nur bei schönem Wetter und im Labor. Das hat das Bundesumweltamt gemessen.
    Umweltministerin Barbara Hendricks verlangt wie gehört von ihrem Kabinettskollegen Alexander Dobrindt, endlich etwas dagegen zu tun. Im Raum steht auch der Vorwurf, der CSU-Politiker sperre sich in Brüssel dagegen, in Europa strengere Regeln zu verabreden.
    Am Telefon ist Herbert Reul, der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Reul.
    Herbert Reul: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Wir haben vorher Gefahren gar nicht wahrgenommen"
    Barenberg: Nehmen wir mal an, Herr Reul, Ihr Nachbar überlegt, ein neues Auto zu kaufen. Können Sie dann noch zu einem Diesel raten?
    Reul: Das muss jeder selber entscheiden. Ich habe einen.
    Barenberg: Er kauft damit ja immerhin ein Auto, das Umwelt und Menschen viel mehr schädigt als bisher gedacht.
    Reul: Es ist ja manchmal so. Je genauer wir messen, je weiter die Technik geht, je mehr wir auch die Ansprüche verändern, desto gefährlicher wirkt es auf uns oder ist es. Wir haben vorher Gefahren gar nicht wahrgenommen, weil wir sie gar nicht gewusst haben oder weil wir nicht so genau gemessen haben.
    Wir haben zum Beispiel bei den Automobilen ewig akzeptiert, dass die Werte, für uns kritisch sind, gewertet werden in Laborsituationen. Das haben wir jetzt geändert und genau an der Stelle sind wir jetzt. Das heißt, es fahren Autos, die haben auch eine Zulassung, die sind genehmigt, die sind auch ordnungsgemäß genehmigt, weil sie sich nach den Kriterien richten, die bis dahin galten.
    Jetzt gibt es - ab Herbst übrigens, jetzt noch nicht, sondern ab Herbst – einen neuen Wert und jetzt müssen die Autos im Betrieb gemessen werden, was ja viel komplizierter ist. Ich meine, ob Sie in der Stadt fahren, ob Sie einen Berg rauffahren, ob Sie Autobahn fahren, ob Sie langsam fahren, das sind ja ganz andere Werte. Das ist doch vollkommen klar. Jetzt wird es kompliziert.
    "Die Autos, die jetzt fahren, sind zugelassen worden nach altem Recht"
    Barenberg: Die Umweltverbände wissen aber schon seit Jahren, Herr Reul, dass in Deutschland Millionen Dieselautos herumfahren, deren Schadstoffnormen nur auf dem Papier erfüllt werden. Warum ist das für Sie eine Überraschung?
    Reul: Nein, nicht auf dem Papier. Das finde ich nicht ganz korrekt, auf dem Papier. Was heißt auf dem Papier – weil wir als Politiker, weil die Gesellschaft, weil der Staat diese Maßnahmen vorgeschrieben haben. Wir haben gesagt, dieser Wert im Labor gilt – Punkt! Und zwar damals übrigens auch mit nicht nur dummen Argumenten, weil man gesagt hat, dann ist die Vergleichbarkeit gegeben.
    Wenn ein Auto unterwegs ist – ich habe es ja eben gesagt -, gibt es ganz unterschiedliche Fahrsituationen. Dann gibt es auch unterschiedliche Werte. Deswegen haben wir immer gesagt, der Laborwert ist der bessere. Jetzt ist aber verstanden worden – das hängt zusammen mit diesem ganzen VW-Problem -, dass die Realität total anders ist, weil Autos im Labor andere Werte ausstoßen, als wenn sie unterwegs sind. Deswegen ist das jetzt geändert worden. Das gilt aber erst ab demnächst.
    Die Autos, die jetzt fahren, sind aber Autos, die zugelassen worden sind nach altem Recht. Insofern finde ich es manchmal von der Politik auch unfair. Frau Hendricks muss ich sagen, das fällt mir schwer, das nachzuvollziehen. Natürlich kann man sich da moralisch entrüsten. Der Wert stimmt nicht, ja, aber die Autos sind zugelassen worden zu einem Zeitpunkt, als ein anderer Wert galt. Jetzt sagen Sie mir mal, wie man auf der Strecke die Autos, die alle schon in Betrieb sind, umrüstet. Da weiß Frau Hendricks wahrscheinlich auch keine Lösung; deswegen sagt sie, das muss der andere machen, der andere Minister.
    "Ich werbe nur dafür, dass man ein bisschen sensibler ist"
    Barenberg: Sie sagt ja, Nachrüsten ist jetzt erste Pflicht der Hersteller.
    Reul: Ja und wer bezahlt das? Das ist ja nicht einfach.
    Barenberg: Die Hersteller!
    Reul: Ja klar, das ist relativ einfach. Die Hersteller müssen alle Autos, die unterwegs sind und die sie auf den Markt gebracht haben, damals nach dem geltenden Recht, war alles in Ordnung, jetzt nachrüsten, weil die Politik einen neuen Wert macht. Kann man argumentieren, aber ich werbe ja nur dafür, dass man ein bisschen sensibler ist dafür zu sagen, erstens wie geht das, zweitens was kostet das, in welcher Schnelligkeit verlangt man das von der Industrie.
    Man kann immer hehre Ziele formulieren und die Realität aus dem Auge verlieren. Das Problem bei dem Ganzen ist: Es geht da um Technik und da kann man nicht nur träumen, sondern da ist die Realität da. Ich will nicht bestreiten, damit das klar ist, das ist ein Problem. Ich glaube nur, dass diese simplen Lösungen, einen an den Pranger stellen, die böse Automobilindustrie, und schon ist das Problem gelöst, so geht es auch nicht.
    "Tricksen, das war VW damals"
    Barenberg: Aber dann verraten Sie uns, welche Sanktionen bisher die Bundesregierung in Erwägung gezogen hat für die Hersteller, die tricksen und getäuscht haben.
    Reul: Langsam! Es gibt verschiedene. Die, die ich jetzt genannt habe und von denen wir eben geredet haben, die die alten Werte erfüllen und die jetzt bei den neuen, die im Herbst gelten, nicht mehr passen, da kann man ja noch nicht von tricksen reden. Tricksen, das war VW damals. Die haben Technik eingebaut, die die Werte, die schon galten, austricksten. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe und ich würde da gerne auch drauf Wert legen.
    Und das Zweite, um die Frage zu beantworten: Was die Bundesregierung macht oder nicht macht, da fragen Sie ja nun den Falschen. Ich bin Mitglied im Europäischen Parlament und nicht der deutschen Bundesregierung. Die Frage kann ich nicht beantworten.
    "Da muss man leider auch mit ein bisschen Zeit leben"
    Barenberg: Aber Sie kriegen mit, was in Brüssel diskutiert wird, und da steht ja der Vorwurf im Raum, dass Alexander Dobrindt da im Namen der Bundesregierung gewissermaßen auf der Bremse steht. Das stimmt nicht?
    Reul: Doch. Es ist immer so: Das ist bei der Autodebatte und der ganzen industriepolitischen Debatte immer so. Die einen erheben den Vorwurf und die anderen sagen, macht es mal ein bisschen realistischer und pragmatischer. Insofern gibt es welche, da haben Sie recht, die sagen, der steht auf der Bremse, und andere sagen, was soll der Mann denn jetzt klugerweise zu diesem Zeitpunkt wie machen und ist es überhaupt zumutbar.
    Ich meine, man kann natürlich sagen, alle Autos, die fahren, müssen übermorgen zum Stichtag XYZ mit den neuen Werten fahren. Die fahren aber alle. Das hieße, alle Autos – und das sind ja keine kleinen Mengen – müssen dann übermorgen umgerüstet werden. So einfach ist das nicht!
    Barenberg: Wie geht es denn?
    Reul: Ich glaube, dass das ein Prozess ist und dass die Politik lernen muss, dass man Technik nicht von heute auf morgen umschaltet, sondern dass das Zeit braucht, dass man da leider auch mit ein bisschen Zeit leben muss, es sei denn, es gibt nur eine politische Lösung, die ich nicht akzeptiere, man würde sagen, alle die Autos, die die Werte nicht erfüllen, dürfen nicht mehr fahren. Das ist die andere Antwort. Es gibt nur die zwei.
    "Ich würde mir einfach nur ein bisschen mehr Ehrlichkeit wünschen"
    Barenberg: Bei den Stickoxiden ist es ja so, dass der Grenzwert, der Höchstwert seit sieben Jahren gültig ist und dass fünf Jahre davor schon der angekündigt worden war. Da verstehe ich Ihr Argument nicht so ganz, dass wir Zeit brauchen, um den Übergang sicherzustellen.
    Reul: Nein, weil die Autos, die zugelassen werden, das ist immer der Zeitpunkt. Es ist ein bisschen kompliziert, ich gebe es zu. Die Autos, die zugelassen werden, müssen die Norm erfüllen. Dann kommen die auf den Markt und werden irgendwann verkauft. Dann kommen neue Autos und neue Modelle und die werden wieder zugelassen, und eigentlich können für die erst die Werte gelten, weil darauf kann sich die Industrie dann einstellen.
    Bei allen anderen haben die natürlich die alten Werte eingehalten, Ausnahme VW, klar, und Fiat und wo wir die Probleme hatten. Das ist ja wieder ein anderes Thema, aber das ist berechtigt, das Thema. Deswegen glaube ich, dass man dieses so schnell Hin- und Herschalten nicht kann und ich würde mir einfach nur ein bisschen mehr Ehrlichkeit wünschen.
    Da gibt es eine Menge an Problemen, da gibt es auch Vorwürfe an Teile der Automobilindustrie, zurecht, die sind überhaupt nicht akzeptabel. Es gibt auch, wie Sie richtig gesagt haben, einen Riesendruck auf den Problemen, weil es ist ein Wert, der zu hoch ist. Aber wir haben uns natürlich auf ein schwieriges Eis begeben, indem wir gesagt haben, wir werten jetzt die wahren Werte aus im Realitätsbetrieb, weil da werden noch viel fröhlichere Dinge auf uns zukommen, weil je nachdem wo der Wagen fährt, er wird andere Werte haben.
    "Wir brauchen für die Industrie eine Flexibilität"
    Barenberg: Diese realistischen Tests endlich im Straßenverkehr, dass es nicht nur im Labor gilt, sondern auch das, was in Wirklichkeit auf der Straße passiert, warum ist da jetzt auch wieder geplant dieser sogenannte Konformitätsfaktor, der nichts anderes heißt, als dass der Grenzwert auch in Zukunft um das Doppelte über dem realistischen Wert liegen kann? Was für einen Sinn macht das?
    Reul: Erstens haben Sie richtig darauf hingewiesen, dieses Umschalten des Messverfahrens ist ja von Europa ausgegangen. Das heißt, da sind wir auch ein bisschen stolz, dass wir das geschafft haben. Wir wissen allerdings, dass wir uns damit auch neue Probleme einhandeln.
    Zweitens: Wir brauchen für die Industrie, wenn sie sich auf solche Sachverhalte einstellen will, auch eine – na wie soll ich es nennen – Flexibilität, und das ist nicht einfach, weil Flexibilität birgt immer die Gefahr auch des Ausnutzens. Umgekehrt: Ohne, glaube ich, wird es nicht funktionieren.
    Barenberg: Aber was spricht dagegen zu sagen, Herr Reul, okay, wir haben verstanden, Grenzwerte im Labor sind anders als in der Wirklichkeit, jetzt machen wir Ernst und sagen, das, was auf dem Papier steht, soll auch auf der Straße umgesetzt werden, und zwar in einer kurzen Übergangsfrist, aber dann gilt auch der Wert auf dem Papier? Warum muss man dann noch dieses Zugeständnis machen?
    Reul: Damit bin ich ja einverstanden zu sagen, Werte, die gelten, sollen auch umgesetzt werden. Der Streit geht um die Frage, in welchem Zeitraum und bei welchen Automobilen, bei den neu zugelassenen oder eben bei denen, die auch schon herumfahren.
    "Man kann doch nicht Wunder an einem Tag vollbringen"
    Barenberg: Aber Werte um das Doppelte über dem Papierwert, das muss doch dann für die Zukunft ausgeschlossen werden. Oder sehen Sie das anders?
    Reul: Im Prinzip darf das nicht sein. Die Frage ist nur, welche Spielräume man geben muss, und das ist auch ein technisches Problem.
    Barenberg: Deutsche Ingenieure können das nicht leisten?
    Reul: Aber selbstverständlich können die viel leisten. Nur in welchen Zeiträumen? Man kann doch nicht Wunder an einem Tag vollbringen. Das sind ja Quantensprünge, die da erreicht werden müssen.
    Barenberg: Gut, dann lassen wir es dabei für den Moment. Herbert Reul war das, der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Reul: Ich bedanke mich auch. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.