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Verkehrspolitiker Wittke
"Wir brauchen mehr Pläne für Fahrradtrassen"

Der Verkehrsexperte der Unionsfraktion, Oliver Wittke, hat die Pläne der Bundesregierung für neue Fahrradschnellwege begrüßt. Zum ersten Mal bekenne sich der Bund damit zu seiner Verantwortung, sagte Wittke im Deutschlandfunk. Kritik, dass die von der Regierung zugesagten Millionen zu wenig seien, wies der CDU-Politiker zurück.

Oliver Wittke im Gespräch mit Dirk Müller | 05.04.2017
    Ein Fahrradfahrer nutzt in Berlin eine Busspur auf dem Kurfürstendamm
    "Viele Kolleginnen und Kollegen fahren mittlerweile Rad. Ich selbst auch", sagt CDU-Verkehrsexperte Oliver Wittke (imago stock&people / Stefan Zeitz)
    Die Bundesregierung will den Bau von Radschnellwegen mit 25 Millionen Euro unterstützen. Weitere Millionen sind für pendlerfreundliche Unternehmen vorgesehen. Damit könnten allerdings gerade einmal 30 bis 40 Kilometer Radweg gebaut werden.
    Doch selbst wenn man mehr Geld hätte, könne man es in diesem Jahr nicht nutzen, weil es zu wenig Pläne für Fahrradtrassen gebe, so Wittker.
    Neben solchen Plänen brauche man auch Gesetzesänderungen. Beispielsweise müsse man Elektrofahrrädern bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde erlauben, Fahrradwege zu benutzen.

    Das Interview in voller Länge.
    Dirk Müller: Wir kennen die jüngsten Zahlen seit diesem Wochenende. Die Pendler haben wieder zugeschlagen. Immer mehr Autos sind unterwegs von zuhause zur Arbeit. Spitzenreiter sind München, Frankfurt, Hamburg, Berlin und dann Köln. Damit verbunden Verkehrschaos, Luftverschmutzung, Verspätung, Stress, Aggression bis hin zu Depression, warnen Mediziner. Eine Lösung könnte sein, den Verkehr wieder auf die Schiene zu verlagern. Daran glauben inzwischen aber nur noch die wenigsten, dass das funktioniert. Oder doch wieder zurück auf die Straße; wie denn das? – auf extra Straßen und extra Wegen für Fahrräder. Radautobahnen sagen dazu die Experten oder Schnelltrassen für Biker, ohne Ampeln und ohne Kreuzungen. Die Niederländer kommen diesem Konzept in vielen Bereichen schon recht nahe, doch in Deutschland ist das ganze schwierig. Alles nur Kosmetik, kritisieren alternative Verkehrsverbände.
    Mitten in diese Diskussion platzt nun die Bundesregierung hinein und verkündet: mehr Geld für diese Radschnellwege. 25 Millionen Euro soll es zusätzlich geben, 25 Millionen. Und die Umweltministerin hat gestern noch einmal nachgelegt: sieben Millionen mehr für pendlerfreundliche Unternehmen, sieben Millionen.
    Am Telefon ist nun der CDU-Politiker Oliver Wittke, Mitglied im Bundestags-Verkehrsausschuss, vormals Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
    Oliver Wittke: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: 25 Millionen, sieben Millionen – wieviel Nullen haben wir vergessen?
    Wittke: Na ja, es ist ein erster Schritt. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, aber immerhin ist ein Anfang gemacht. Zum ersten Mal bekennt sich der Bund auch zu seiner Verantwortung. Nicht nur die Kommunen, nicht nur die Länder werden in mehr Radverkehr investieren, sondern der Bund nennt zum ersten Mal eine wesentliche Zahl, und ich finde, das ist ein Fortschritt.
    Müller: Weil Hans-Christian Ströbele der einzige Politiker ist im Bund, der Rad fährt?
    Wittke: Nein, leider nicht oder Gott sei Dank nicht. Viele Kolleginnen und Kollegen fahren mittlerweile Rad. Ich selbst gehöre auch zu denen. Meine Wohnung ist zwei Kilometer vom Reichstag entfernt und da ist das intelligenteste Verkehrsmittel das Fahrrad. Das kann man nicht mit dem Auto machen, das kann man nicht mit dem ÖPNV machen und zum Laufen ist es ein bisschen zu weit.
    Müller: Aber dennoch hat das jetzt so lange gedauert. Sie sagen, das ist ein erster Schritt. Wir haben 2017, nicht 1965.
    Wittke: Das ist wahr. Aber wir haben auch erst jetzt die ersten Pläne für Radschnellwege vorliegen. Der erste entsteht gerade im größten deutschen Ballungsraum, nämlich im Ruhrgebiet. Die ersten Kilometer sind fertiggestellt. Und das Schöne ist: Er wird massiv angenommen. Er hat heute schon täglich tausende von Pendlern, die diesen neuen attraktiven Radweg nutzen. Er führt kreuzungsfrei, er führt komfortabel durch das Ruhrgebiet, das ist ein Fortschritt. Dass der Bund das jetzt fördert, ist gut.
    Müller: Herr Wittke, wenn wir das noch einmal versuchen zu übertragen. Ist ein bisschen schwierig mit der Rechnung. Ich habe gesagt, 25 Millionen, sieben Millionen, das sind 32 Millionen zusammengerechnet. Wenn wir das dann richtig umgesetzt haben, dann sind das 30 oder 40 Kilometer Radweg. Ist das so?
    Wittke: Das ist richtig, denn ein Kilometer Radweg kostet rund eine Million Euro, je nachdem wo er gebaut wird und wie er gebaut wird, ob Brücken dabei sind oder nicht. Aber was wir jetzt brauchen, sind Pläne. Ein Radweg kann auch nicht von heute auf morgen gebaut werden, jedenfalls nicht ein komfortabler, ein durchgängiger Radweg, wie der Radschnellweg es sein soll. Und wir müssen auch noch Gesetze anpassen. Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass Pedelecs Radwege benutzen dürfen. Das ist zurzeit nach der Straßenverkehrsordnung nicht möglich. Das heißt, auch Elektrofahrräder, die schneller als 25 km/h fahren, müssen Radwege benutzen dürfen.
    600.000 neue Elektrofahrräder
    Müller: Schneller als 25, gibt es dann dementsprechend eine maximale Begrenzung der Geschwindigkeit?
    Wittke: Die gibt es im Moment noch nicht. Auch da müssen wir drüber reden, dass wir die bei 50, wäre ich dafür, abriegeln. Aber wichtig ist, dass diese Technologie viel mehr Menschen aufs Rad bringt. Wir haben alleine im letzten Jahr über 600.000 neue Elektrofahrräder verkauft in Deutschland. Millionen Elektrofahrräder sind mittlerweile unterwegs, und zwar nicht als Freizeitgeräte, nicht als Sportgeräte, sondern als gleichwertige Verkehrsmittel. Auch das ist eine Entwicklung, die dafür sorgen wird, dass wir mehr Radwege brauchen, und darum ist es gut, dass der Bund dafür jetzt mehr Geld gibt.
    Müller: Der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrradclub sagt, wir brauchen mindestens das Zehnfache, um da einigermaßen effektiv einzusteigen. Aber ich frage jetzt noch mal nach bei der Geschwindigkeit. Ich habe Sie richtig verstanden, Sie sagen, mit 50 Kilometern kann man schon über diese Fahrradwege fahren. Da werden ja diejenigen, die ihre eigene Muskelkraft ausschließlich benutzen, ein bisschen Schwierigkeiten bekommen.
    Wittke: Na ja, sie werden beide diesen Radweg sich teilen müssen. Aber wo wir für sorgen müssen ist, dass beispielsweise nicht auch noch Inliner und Fußgänger auf diesen Radwegen unterwegs sind, und darum brauchen wir nicht nur die Radwege, sondern wir müssen parallel dafür für andere Verkehrsteilnehmer, für Fußgänger und beispielsweise für Inliner ebenfalls eine neue Infrastruktur schaffen, weil ansonsten die Verkehre sich mischen und wir dann zu großen Problemen kommen. Da ist viel zu tun. Das ist schön gesagt, jetzt müssen wir mal schnell Radschnellwege bauen. Aber ganz so einfach ist es doch nicht. Und ich bin sicher: Selbst wenn wir im nächsten Jahr mehr Geld zur Verfügung stellen, oder in diesem Jahr mehr Geld zur Verfügung stellen würden als 25 Millionen, wir würden sie nicht verbaut bekommen, weil es zu wenig Pläne gibt, wo Radschnellwege entstehen können.
    Revolution durch Elektromobilität auf dem Fahhrad
    Müller: Ich weiß, wir hatten auch vor einigen Monaten schon einmal darüber gesprochen, Herr Wittke. Sie haben sich immer dafür eingesetzt. Aber ist es so, dass tatsächlich die gesamte Regierungspolitik, auch die Oppositionspolitik, dass auf der Bundesebene das ganze Thema immer ein bisschen ausgespart wurde? War das zu unangenehm, weil die Autoindustrie gesagt hat, jetzt lasst mal die Finger davon?
    Wittke: Das Thema ist noch nicht bei allen angekommen. Das ist wohl wahr. Und viele haben noch nicht verstanden, dass das Fahrrad tatsächlich Autoverkehr und im Übrigen auch ÖPNV entlasten und ersetzen kann.
    Müller: Wer ist das denn, der das noch nicht verstanden hat? Können Sie das irgendwie konkreter benennen?
    Wittke: Das sind Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht – ich sage es mal ganz vorsichtig – den neuen Trend der Zeit nicht mitbekommen haben. Die Elektromobilität auf dem Fahrrad hat eine Revolution verursacht. Das ist ein riesen Quantensprung, den wir hinbekommen. Mittlerweile fahren auch Anzugträger auf dem Fahrrad. Das ist nicht mehr was für Leute, die sich morgens ihre Biker-Klamotten anziehen, sondern das ist etwas für Menschen, die ganz normal zur Arbeit kommen wollen. Darum ist es eine echte Alternative. Nur die Infrastruktur muss dem jetzt folgen und das ist das Problem, dass wir da noch nicht so weit sind. Die Technik des Fahrrades ist mittlerweile weiter als die Infrastruktur.
    Ballungszentren müssen besser werden
    Müller: Reden wir noch einmal über eine Vergleichszahl. Der Radverkehr stagniert in den vergangenen Jahren bei rund zwölf Prozent, haben wir jedenfalls gestern aus den Statistiken herausgelesen, obwohl Sie ja sagen, gerade der E-Bike-Bereich ist revolutionär gewachsen in den vergangenen Jahren. Bei uns zwölf Prozent, bei den Niederländern fast 30 Prozent. Was können wir lernen von den Niederländern?
    Wittke: Zuerst einmal würde ich nicht von Stagnation sprechen, sondern weil insgesamt der Verkehr zugenommen hat und der Radverkehr seinen Anteil gehalten hat, ist natürlich in absoluten Zahlen der Radverkehr deutlich angestiegen. Und zweitens: Die Niederländer haben eine ganz andere Tradition. Wenn Sie beispielsweise bei uns ins Münsterland gehen, wenn Sie in die Stadt Münster gehen, wenn Sie nach Freiburg gehen, werden Sie dort wesentlich mehr Radverkehr haben als beispielsweise in Berlin oder im Ruhrgebiet. Da müssen die großen Ballungszentren noch deutlich besser werden.
    Müller: Haben wir zu wenig Platz? Haben wir zu wenig Raum dafür, das gestalten zu können?
    Wittke: Es ist klar, dass es an der einen oder anderen Stelle auch zu Konflikten kommen wird, denn gerade im Ballungsraum kann man nicht beliebig Verkehrsinfrastruktur bauen. Das heißt, wir müssen auch andere Infrastruktur vielleicht umwidmen und nutzen. Da eignen sich insbesondere ausgelassene Bahntrassen. In Wuppertal beispielsweise gibt es die Nordbahn-Trasse, ein Radweg, der sich über 30 Kilometer durch Wuppertal schlängelt und der eine hohe Attraktivität hat, so dass bei Immobilienverkäufen es mittlerweile ein Faktor ist, ob man in der Nähe dieses Radweges wohnt oder nicht.
    Den ÖPNV attraktiver machen
    Müller: Aber Bahntrassen hat ja jetzt nicht jeder zur Verfügung, die stillgelegt sind. Das heißt, gibt es da eine sogenannte Vorrangplanung demnächst? Werden Sie sich dafür einsetzen?
    Wittke: Ich glaube, wir brauchen ein Miteinander. Es ist jetzt auch nicht so, als wäre das Fahrrad die einzige Lösung. Wir müssen den ÖPNV attraktiver machen. Wir müssen eine engere Taktung hinbekommen, dort wo es die heute noch nicht gibt. Und wir müssen auch den Autofahrern ermöglichen, weiterhin mit dem Auto den Arbeitsplatz zu erreichen. Dazu gehören beispielsweise Care-Sharing-Modelle, da gehören beispielsweise Park-and-Ride-Parkplätze und anderes zu. Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um den Pendlern zu helfen, um dem gestiegenen Bedürfnis an Mobilität gerecht zu werden.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Verkehrspolitiker Oliver Wittke. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben, und viel Spaß auf dem Fahrrad.
    Wittke: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.