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EU-Kommissionspräsident
Juncker für ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird in den nächsten Wochen ein Reformkonzept vorlegen, das auf ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten hinausläuft. Über die konkrete Ausgestaltung der Pläne aber gehen die Meinungen weit auseinander.

Von Jörg Münchenberg | 24.02.2017
    EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker steht neben einer Europa-Fahne-
    EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (AFP / Emmanuel Dunand)
    Es ist eine der zentralen Fragen, die derzeit in Brüssel heftig diskutiert werden: welche Konsequenzen muss die EU nach dem Austritt Großbritanniens für sich selbst ziehen? Wie soll es weitergehen mit der europäischen Integration? Bei der Beantwortung dieser Fragen will die EU-Kommission eine Führungsrolle einnehmen – und zumindest in Ansätzen hat jetzt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon einmal umrissen, wie die Zusammenarbeit in Europa in der Zukunft aussehen könnte:
    "Ich denke, die Zeit ist da, um aus Europa eine Gebilde mit verschiedenen Zirkeln zu machen, man muss sich einen Kontinent mit konzentrischen Kreisen vorstellen. Um das Zentrum Europas finden dann jene ihren Platz, die nicht alle Ambitionen teilen wollen."
    So Juncker in einer Rede gestern Abend bei einem Auftritt im belgischen Louvain-la-Neuve. Europa geht also nicht mehr gemeinsam, sondern getrennt voran, so der Vorschlag des Kommissionspräsidenten. Was das nun im Detail bedeuten wird, bleibt abzuwarten.
    Schnellere Fortschritte sollen möglich sein
    In einem sogenannten Weißbuch wird die Kommission in den nächsten Wochen, wie ein Sprecher heute Mittag präzisierte, einen Ideenkatalog vorlegen. Der soll dann später nach einem breiten Konsultationsprozess vor allem mit den Mitgliedstaaten in konkrete Reformvorschläge münden. Doch erst einmal geht es um die grundsätzliche Richtung, und die steht für Juncker fest:
    "Wollen wir zu 28 vorankommen - den 28. haben wir ja schon verloren - oder ist es nicht angezeigt, dass die, die schnellere Fortschritte möchten, dies umsetzen können, ohne die anderen zu behindern, indem wir eine strukturiertere, für alle offene Konstruktion schaffen? Wir könnten mit weniger Aufwand mehr erreichen."
    Es ist ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten, für das sich auch schon Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Kurzem ausgesprochen hat. Dabei wird dieses Prinzip schon jetzt angewandt – etwa mit der Eurozone oder auch dem Schengen-Raum. Nicht alle, sondern nur die Willigen machen mit. Dieser Ansatz könnte nun auf andere Politikfelder erweitert werden – etwa in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, bei der Migrations-, aber auch der Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik. Gestützt wird die verstärkte Zusammenarbeit einzelner EU-Staaten dabei ausdrücklich durch den Vertrag von Lissabon.
    Konkrete Ausgestaltung unklar
    Über die konkrete Ausgestaltung aber gehen die Meinungen weit auseinander. Das EU-Parlament hat sich jüngst für einen großen Integrationsschritt ausgesprochen. Angefangen von der Schaffung eines Euro-Finanzministers über einen eigenen Haushalt bis hin zu einer zweiten Parlamentskammer.
    Doch solche Vorschläge haben in Hochzeiten des Populismus und Euro-Skeptizismus kaum Aussichten auf Erfolg. Längst haben die Staats- und Regierungschefs der EU mit dem sogenannten Bratislava-Fahrplan einen pragmatischen Kurs verordnet. Und der heißt: Konzentration auf das Wesentliche – das sind die Bereiche Sicherheit, Kampf gegen den Terror und Migration.
    Die Debatte darüber wird jetzt an Fahrt gewinnen. Nicht nur wegen des Weißbuchs der EU-Kommission. Am 25. März wollen die 27 Staats- und Regierungschefs den 60. Jahrestag der Römischen Verträge mit einem Gipfeltreffen in Rom feiern – dabei soll es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der EU gehen.