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EU-Lebensmittelhilfe bald vor dem Aus

Seit dem Winter 1986/87 half die Europäische Union den Ärmsten in vielen Mitgliedsstaaten tatkräftig: Sie genehmigte die Verteilung der Agrarüberschüsse als Lebensmittelhilfe. Jetzt soll das Programm nur noch bis Ende 2013 weiter bestehen. Für viele Bedürftige in Frankreich wäre das eine Katastrophe.

Von Suzanne Krause | 23.10.2012
    Ein Videoclip soll die Bürger Europas wachrütteln. Er zeigt junge Leute in einer Würstchenbude und in einem Restaurant. Sie sind vergnügt, sie verzehren scheinbar eine Mahlzeit – jedoch sind die Pappteller leer. Und so wird es nach Ansicht der großen französischen Sozialvereine 18 Millionen Europäern gehen, wenn die EU-Lebensmittelhilfe abgeschafft wird.

    Allein vier Millionen Menschen, die auf die europäische Lebensmittelhilfe angewiesen sind, leben in Frankreich. Julien Laupêtre, Präsident der Hilfsorganisation Secours populaire français, zitiert einige Stimmen bedürftiger Mitbürger.

    Sandrine aus dem Périgeux sagt: Ich bin zu 80 Prozent behindert und der Secours populaire hilft mir, zu überleben. Ohne dessen Lebensmittelpakete bliebe mir nur, zu verhungern. Ein Zwanzigjähriger aus Paris schreibt: Ich habe nicht alle Tage was zu essen. Ich fürchte mich vor der Zukunft.

    Auch Laupêtres Kampagnenmitstreiter, vom französischen Roten Kreuz, über den Hilfsverein Restaus du Coeur bis zum Verband der Lebensmittelbanken kennen solche Beispiele zuhauf.

    Für die deutsche Haltung haben sie kaum Verständnis. Für die Forderung der Bundesregierung, das EU-Hilfsprogramm komplett abzuschaffen. In Deutschland sei die Lage insofern anders, als dort die Kirchen viele Suppenküchen unterhielten. Finanziert auch dank der – in Frankreich unbekannten- Kirchensteuer, sagt Julien Laupêtre. Doch die Bundesregierung sieht die Bedürftigenhilfe als Aufgabe der Nationalstaaten und nicht als Aufgabe der EU. Und vor allem will sie diese nicht aus dem Agrarfonds finanzieren.

    Nicht nur die französischen Sozialvereine protestieren dagegen, auch der frühere Präsident Nicolas Sarkozy sprach von einer Katastrophe und handelte eine Galgenfrist aus, die Ende 2013 ausläuft.

    Doch Julien Laupêtre vom Secours populaire und seine Kollegen lassen nicht locker. Sie wollen ein neues EU-Programm, integriert im Sozialfonds, das Bedürftige weiterhin mit Lebensmitteln versorgt. Alain Seugé steht den Lebensmittelbanken in Frankreich vor und ist ebenso Vizepräsident der europäischen Lebensmittelbanken. Er warnt vor weitreichenden Folgen nicht nur in Frankreich.

    In Polen beispielsweise stammen 80 Prozent des Essens, das an Bedürftige verteilt wird, aus der europäischen Lebensmittelhilfe. Wenn dieses Programm nun ausläuft, bedeutet das nicht nur, dass es kaum noch etwas zu verteilen gibt. Sondern ebenso auch das Ende für das Netzwerk der Hilfsvereine, die in Polen die Suppenküchen organisieren.

    Kampagnenpartner haben die französischen Sozialvereine schon in Italien, Spanien und Polen gefunden. Auch in Deutschland werden Verbündete gesucht. Vereine wie "Die Tafel" konnten bislang nicht vom EU-Hilfsprogramm profitieren, da Deutschland noch nie Gelder aus dem Fonds abgerufen hat. Vor einigen Tagen waren jedoch Vertreter großer deutscher Hilfsvereine auf Parisbesuch. Empfangen wurde die Delegation unter anderem von Julien Laupêtre, Präsident des Hilfsvereins Secours populaire français:

    "Die deutsche Regierung ist Wortführer der Bewegung gegen eine europäische Lebensmittelhilfe. Deshalb wollten wir deutschen Sozialeinrichtungen eine Botschaft vermitteln: Wenn auch sie Zugang zu einem europäischen Hilfsprogramm hätten, könnten sie weitaus mehr für ihre Bedürftigen tun. Das war ein Argument, das sie aufhorchen ließ. Wir hoffen, dass es uns nun gelingt, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen."