Dienstag, 19. März 2024

Archiv

EU-Minigipfel
Was für Angela Merkel auf dem Spiel steht

Im Asylstreit mit der CSU steht Bundeskanzlerin Angela Merkel eine stressige Woche bevor. Auf der Agenda sind unter anderem ein Koalitions-Krisentreffen, ein EU-Gipfel und eine Entscheidung der CSU über einen etwaigen Alleingang des Bundesinnenministers Horst Seehofer.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 24.06.2018
    Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben parallel Pressekonferenzen abgehalten.
    Liegen gerade asylpolitisch über Kreuz: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seine Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (dpa / AFP / Combo: Deutschlandradio)
    Die deutsche Nationalmannschaft meistert gerade mit Ach und Krach die Vorrunde bei der WM, während die Kanzlerin kurz vor dem politischen "Endspiel" stehe – so deuten es manche Auguren im Berliner Regierungsviertel. Andererseits ist Angela Merkel für ihre Nervenstärke bekannt. Doch die Flüchtlingspolitik bleibt die Achillesferse der Kanzlerin:
    "Migration ist vielleicht im Augenblick unsere größte Herausforderung. Und es geht um den Zusammenhalt dieser Europäischen Union. Aus ureigenem Interesse gilt es die großen Fragen der Flüchtlings- und Migrationspolitik gemeinsam zu lösen, und es würde nicht gut sein, wenn das jeder zu Lasten des anderen täte."
    Generalkritik aus der Opposition
    So Merkel vor wenigen Tagen in Berlin. Kurz vor dem EU-Sondertreffen in Brüssel zeichnet sich jedoch keine Einigung in der Sache ab. Die Opposition nutzt das für eine Generalkritik an der Kanzlerin. Gegenüber unserem Hauptstadtstudio sagt FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff:
    "Bundeskanzlerin Merkel hat über viele Jahre zusammen mit ihren Innenministern gemeinsame Entscheidungen zur Asyl- und Migrationspolitik in Europa verschleppt. Jetzt fällt ihr die CSU in den Rücken, und auch ihre europäischen Parteifreunde wie Viktor Orban kommen gar nicht erst zu diesem Treffen. Man muss ihr zwar Glück wünschen, dass sie etwas zuwege bringt, aber es ist mehr als zweifelhaft, ob das wirklich gelingen kann."
    Die CSU beharrt unterdessen auf ihrer Forderung, künftig Asylbewerber an der deutsch-österreichischen Grenze abzuweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden.
    Verfassungsrechtler: Seehofer wäre nicht im Recht
    "Leider hat Horst Seehofer nach meiner Überzeugung in diesem Fall nicht Recht", urteilt im Interview der Woche des Deutschlandfunk der Verfassungsrechtler Daniel Thym, "denn an der deutschen Grenze gelten seit vielen Jahren die Dublin-Regeln. Und die Dublin-Regeln sehen vor, dass man ein Asylverfahren durchführen muss, dass dann in der Überstellung in einen anderen Staat münden kann. Aber eine einfache Zurückweisung erlauben sie nicht."
    Im Gegenteil, die Dublin-Regeln sehen nach Ansicht des Juristen sogar ausdrücklich vor, dass Deutschland handelt:
    "Wenn die Überstellung scheitert nach dem vorgesehenen Verfahren, dann muss Deutschland nach Artikel 29 Absatz 1 der Dublin-3-Verordnung das Asylverfahren übernehmen. Und dass das so ist, das bestätigte auch der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen aus dem vergangenen Jahr."
    Seehofer droht weiter mit Alleingang
    Dennoch droht Innenminister Horst Seehofer, im Alleingang die Zurückweisung von Flüchtlingen anzuordnen und damit die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin in Frage zu stellen.
    Müsste Merkel ihren Minister in diesem Fall entlassen? Ja, sagt Wolfgang Schäuble. "Aus der Würde ihres Amtes heraus" habe sie "keine andere Wahl", so warnt der Bundestagspräsident im "Tagesspiegel."
    Auch der Koalitionspartner SPD ist höchst alarmiert: "Wehret hier den Anfängen. Horst Seehofer und Söder sind auf dem Weg zum deutschen Brexit. Nichts Geringeres ist das. Und das ist das Ende von Europa. Und davor warne ich", so Parteichefin Andrea Nahles gestern in Bochum.
    Koalitionsausschuss, EU-Gipfel, CSU-Tagung
    Am Dienstag tagt nun erstmals wieder der Koalitions-Ausschuss – eine Art Krisengremium. CDU und CSU müssen dann ein klares Bekenntnis zum Koalitionsvertrag ablegen, so fordert Andrea Nahles heute in der "Bild am Sonntag." CSU-Chef Seehofer hält sich bislang allerdings bedeckt:
    "Nächsten Dienstag ist die Tagesordnung vereinbart, dass wir über die Migration sprechen. Das war ja der Antrag der SPD. Und es ist mein Antrag, dass wir über Europa und die Erklärung von Meseberg reden."
    Angela Merkel steht nun vor einem politischen Spießrutenlauf: Nach dem Koalitionsausschuss und einem schwierigen Treffen mit ihrer gespaltenen Bundestagsfraktion folgt der EU-Gipfel in Brüssel. Danach will die CSU kommendes Wochenende entscheiden, ob sie Zurückweisungen an der Grenze anordnet.
    Auch in München weiß allerdings niemand, ob ein Zusammenbruch der Bundesregierung der CSU bei der Landtagswahl im Herbst nützen oder schaden würde.