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EU-Parlament
Brüssel will Livestream abschalten

Bei verleumderischen, rassistischen oder fremdenfeindlichen Äußerungen darf der Präsident des Europaparlaments den Livestream unterbrechen. Die internationale Pressevereinigung fordert, dass Journalisten zumindest Zugang zu den gelöschten Mitschnitten erhalten sollen.

Von Thomas Otto | 14.06.2017
    Der Europapolitiker Richard Corbett (Labour)
    Europapolitiker Richard Corbett glaubt, dass Löschungen zu mehr Aufmerksamkeit führen. (Deutschlandradio / Andreas Diel)
    Es war zuletzt ein polnischer, rechtsradikaler Abgeordneter, dessen sexistische Tiraden gegen Frauen im Plenum des EU-Parlaments zum hunderttausendfach geklickten Hit im Netz wurden. Bisher habe man nicht verhindern können, dass Abgeordnete das Parlament auf solche Weise missbrauchten, erklärt Richard Corbett - der für diese Überarbeitung der Geschäftsordnung zuständige Berichterstatter:
    "Was, wenn eine Gruppe Abgeordneter hereinkommt und abscheuliche Dinge ruft, wie ‚schickt alle Juden in Gaskammern‘ oder ‚verjagt alle Muslime aus Europa‘? Mit dem Ziel, dass das übertragen wird und man es sich immer wieder ansehen kann. Das Parlament hätte das geschehen lassen müssen. Man hätte es nicht unterbrechen können."
    Livestream könnte bei Verleumdungen unterbrochen werden
    Mit der im Dezember geänderten Geschäftsordnung kann der Parlamentspräsident nun umgehend reagieren und die live-Übertragung unterbrechen. Es gehe dabei nicht um Reden einzelner Abgeordneter, sondern um Aktionen ganzer Gruppen, betont Corbett. In der Geschäftsordnung des Parlaments heißt es dazu nun:
    "Der Präsident kann im Fall verleumderischer, rassistischer oder fremdenfeindlicher Äußerungen oder Verhaltensweisen durch ein Mitglied beschließen, die Direktübertragung der Sitzung zu unterbrechen. Der Präsident kann die Entfernung von den Teilen einer Rede eines Mitglieds aus den audiovisuellen Aufzeichnungen der Sitzung anordnen, die verleumderische, rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen enthalten."
    Tom Weingärtner hält davon nichts. Der deutsche Journalist ist Vorsitzender der Internationalen Pressevereinigung in Brüssel:
    "Das Parlament ist im Prinzip ein öffentlicher Raum, das muss für alle verfügbar sein."
    Vor allem ärgert ihn aber, wie das Parlament mit den neuen Regeln umgeht:
    "Also erstens Mal haben sie uns nicht gesagt, was sie machen wollen. Und dann haben sie es uns auch hinterher nicht mal gesagt. Sondern wir haben das dann erst aus der Zeitung erfahren. Das ist natürlich nicht so die richtige Art, mit den Journalisten hier umzugehen. Wir reden regelmäßig mit dem Parlament. Und wir erwarten natürlich von denen, wenn sie so etwas Gravierendes beschließen, dass sie es uns wenigstens mitteilen."
    Sollen Löschungen für Journalisten sichtbar sein?
    Weingärtner versucht nun, mit dem Parlament über die Anwendung der neuen Regeln zu verhandeln. Journalisten sollten Zugang zu gelöschten Mitschnitten erhalten. Wie sonst sollten sie eine Entscheidung zum Löschen nachvollziehen und überprüfen können? Das Ganze müsse wenigstens so transparent wie möglich umgesetzt werden. Nichts dürfe aus dem Sitzungsprotokoll gestrichen werden. Vor allem müsse im Nachhinein kenntlich gemacht werden, dass etwas gelöscht wurde, fordert Weingärtner.
    Richard Corbett glaubt, dass solch eine Löschung gar nicht geheim gehalten werden könnte:
    "Würde man davon Gebrauch machen, wäre das kein Geheimnis. Viel eher würde das viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen."
    Es gehe nicht um Zensur, sondern um den Missbrauch des Parlaments für die eigene Publicity. Ähnliche Regelungen gäbe es auch in anderen Ländern, zum Beispiel im Vereinigten Königreich. Im deutschen Bundestag hingegen ist nicht vorgesehen, Übertragungen zu unterbrechen oder Videos zu löschen, bestätigt die Bundestagsverwaltung.
    Filme können trotzdem ins Netz gelangen
    Letztendlich könne das Ganze eh von den Abgeordneten leicht umgangen werden, wendet der Journalist Tom Weingärtner ein:
    "Wenn die UKIPs da kommen mit ihren Plakaten und irgendeine Nummer abziehen, dann können sie ja auch selber eine Kamera mitbringen. Dann filmen sie es halt selber. Dann kann der Präsident sich auf den Kopf stellen – Dann können die das immer noch ins Netz stellen."
    Was die EU-kritische UKIP-Partei im Parlament unter Nigel Farage auch schon häufiger genau so getan hat.