Zehn Jahre nach der Finanzkrise

"Die Zukunft liegt im Osten"

Li Keqiang, Ministerpräsident der Volksrepublik China, und Kanzlerin Angela Merkel
Li Keqiang, Ministerpräsident der Volksrepublik China, und Kanzlerin Angela Merkel im Juli 2018 in Berlin. © picture alliance/dpa/Foto: Fabrizio Bensch
Folker Hellmeyer im Gespräch mit Katrin Heise  · 18.08.2018
Zehn Jahre nach der Lehmann-Pleite blickt der Anlageberater Folker Hellmeyer mit Zuversicht auf die Finanzmärkte. Es sei vor allem gut, dass sich die Weltwirtschaft von der Führungsrolle der USA abgekoppelt habe. Die Musik spiele zukünftig in asiatischen Ländern wie China.
Zehn Jahre nach der Finanzkrise sagt der Anlageberater Folker Hellmeyer, er sehe 83 Prozent der Weltwirtschaft in einem sicheren Fahrwasser. Das gelte vor allem für die Eurozone mit ihrer Reformpolitik, aber auch für das Projekt Seidenstraße, "One Belt, One Road", das von China ausgehe. "Ich habe meine Sorgen, das betone ich noch mal, bezüglich USA und UK, denn im Endeffekt haben diese Länder nichts anderes gemacht, als das Geschäftsmodell nach einer kurzen Konsolidierung bis 2010, das zur Krise 2008/2009 führte, zu wiederholen", sagte Hellmeyer im Deutschlandfunk Kultur. "Das ist riskant." Dennoch sehe er auf absehbare Zeit keine drastischen Unfallgefahren.

Falscher Fokus auf die USA

Es sei gut, dass sich die Weltwirtschaft von der Führungsrolle der US-Wirtschaft abgekoppelt habe. Früher habe diese die Weltwirtschaft zu stark dominiert. "Für uns ist wichtiger in Europa, was in China, im asiatischen Raum passiert, als das, was in den USA passiert", sagte der Analyst. Leider werde das in der deutschen und europäischen Politik noch nicht ausreichend verstanden. "Die Zukunft liegt im Osten, dort spielt die Musik", sagte Hellmeyer. "Wir haben immer noch einen Fokus auf die USA, so als wären wir im Jahr 1990 oder 1995." Das sei längst vorbei. "Das ist so, als würden Sie Auto fahren und nur in den Rückspiegel schauen. Das ist für zukunftsorientierte Politik nicht zielführend", sagte er. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: Was haben wir daraus gelernt, wie sicher ist die Finanzwirtschaft aktuell? In unserer Serie in dieser Woche zeigte sich beispielsweise bei Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der zeigte sich überzeugt, dass die Finanzmärkte deutlich stabiler sind als damals, als vor zehn Jahren.
Optimistisch ist er trotzdem nicht. Fehler würden derzeit von der Politik gemacht, problematisch seien die nationalen Abgrenzungstendenzen. Einer, der wissen muss, wie sicher der Markt ist, damit er seine Kunden über die Risiken beraten kann, ist Folker Hellmeyer. Folker Hellmeyer war lange Jahre Chefanalyst bei der Bremer Landesbank. Seit diesem Jahr leitet er eine Fondsboutique. Das heißt, er analysiert und vertreibt Anlageprodukte. Ich grüße Sie, Herr Hellmeyer!
Die Skyline des Londoner Finanzzentrums "The City" - gesehen von der Tate Modern. 
Der Brexit gefährdet auch die Entwicklung des Londoner Finanzzentrums "The City".© dpa
Folker Hellmeyer: Einen wunderschönen guten Tag!
Heise: Stimmen Sie Herrn Fratzscher zu? Wie sicher sind die Finanzmärkte derzeit im Vergleich zu 2008?
Hellmeyer: Die Finanzmärkte sind deutlich sicherer, da stimme ich absolut zu. Wir können das einmal darauf zurückführen, dass die Banken, das Finanzgewerbe heute viel größere Eigenkapitalpositionen hat, als das bei der letzten Krise der Fall war. Und ein zweiter Aspekt ist wichtig, wir sind derzeit, wenn wir auf die Aktienmärkte schauen, beispielsweise nicht mit Überbewertungen oder sportlichen Bewertungen in Breite und Tiefe konfrontiert, sondern in einem historischen Kontext sogar mit einer unsportlichen, unambitionierten, unter dem Durchschnitt liegenden Bewertung.
Heise: Das heißt, die Blase tut sich nicht auf, wenn ich das übersetze, ja?
Hellmeyer: Genau so. Es gibt im Moment an den Aktienmärkten keine Blase. Gleichwohl gibt es genügend Problemzonen, die wir geopolitisch, handelspolitisch in der Weltwirtschaft haben, aber die nicht das Zeug dazu haben meines Erachtens, hier auf Sicht der nächsten zwei, drei Jahre einen massiven Unfall zu kreieren.

Sorge wegen der Entwicklung in den USA

Heise: An was denken Sie da? Türkei beispielsweise?
Hellmeyer: Die Türkei spielt hier durchaus eine Rolle, wobei sie für die Weltwirtschaft nicht entscheidend ist. Aber sie könnte für Europa aufgrund der Verwebung finanzieller Interessen auch hier im Bankensektor für Unruhe sorgen. Aber nicht für ein krisenhaftes Szenario. Dafür sind die Volumina zu überschaubar. Für mich ist entscheidender eigentlich die Auseinandersetzung zwischen den USA und der Europäischen Union in Handelsfragen, und auch USA und China. Bei einer massiven Eskalation könnten wir hier durchaus bezüglich des weltwirtschaftlichen Wachstums Einbußen um bis zu 0,5 Prozent sehen. Aber auch das wäre noch kein Drama. Das wäre immer noch solides Wachstum für die Weltwirtschaft.
Heise: Sie haben China genannt. Da hört man ja immer wieder, dass die Unternehmen massiv verschuldet sind. Wird das mal irgendwann ein Problem werden?
Hellmeyer: Das kann ein Problem werden. Natürlich haben wir jetzt in China, in einem aufstrebenden Land mittlerweile Verschuldungsrelationen, die mit westlichen Werten vergleichbar sind. Aber das möchte ich hier betonen, sie sind jetzt mit westlichen Werten vergleichbar, und deswegen akzeptiere ich nicht, dass man hier Krisenszenarien heraufbeschwört, zumal es eben auch kein absolut freier Markt ist, so wie wir es bei uns kennen. Die staatliche Steuerung wird dort funktionieren, um im Zweifelsfall Dominoeffekte aus einer solchen Krise zu unterbinden. Das wussten wir auch schon bei der Krise 2008/2009, wo China eine wesentliche Rolle für die Stabilisierung der globalen Wirtschaft gespielt hat.
Sie sehen eine US-amerikanische Flagge vor der Börse in New York City
Vor allem die Entwicklung in den USA sei bedenklich, sagt der Anlageberater Folker Hellmeyer © imago stock&people
Heise: Und da setzen Sie auch wieder drauf. Sie haben aber auch noch die USA genannt, und da weiß man, dass sehr viel über Kredit finanziert wird.
Hellmeyer: Ich sehe in der Tat die US-Wirtschaft als Achillesferse. Im Moment wird sie wieder abgefeiert, weil das Wachstum um drei Prozent ist. Aber das ist nicht die entscheidende Größe, das Wachstum, sondern wir müssen die Qualität des Wachstums hinterfragen. Und wir laufen in diesem Jahr auf Haushaltsdefizite in Prozent der Wirtschaftsleistung von sechs Prozent zu. Das ist enorm hoch.
Wir haben die höchste Konsumverschuldung in der Geschichte der USA, bei sehr lockeren Kreditvergabestandards. Wir haben die höchste Unternehmensverschuldung. Anders ausgedrückt, der Aufschwung der USA in den letzten acht Jahren war maßgeblich kreditgetrieben, und der kommt jetzt an ein Zyklusende. Und von daher gehen Konjunkturrisiken in meinen Augen, wenn, von den USA aus.
Übrigens, die Eurozone steht da ganz anders da. Wir haben maßgeblich wiederkehrende Einkommen als Grundlage der wirtschaftlichen Expansion des wirtschaftlichen Wachstums. Das ist die beste Qualität, die Wachstum haben kann. Das heißt, der qualitative Hintergrund in Europa unterscheidet sich massiv positiv von denen der USA und übrigens auch des Vereinigten Königreichs, die auch den amerikanischen Weg maßgeblich gegangen sind.

Solidarität im Wirtschaftraum ist wichtig

Heise: Also, Sie haben jetzt überall so kleine Punkte angemerkt, aber sagen immer wieder und betonen immer wieder, das ist kein großes Risiko. Wenn ich jetzt noch mal auf Herrn Fratzscher und dessen Antwort zurückgreifen darf, da gab es ja einen zweiten Teil, und der bezog sich auf die Politik, also die politischen Risiken. Das Abschotten der Länder, das In-den-Vordergrund-stellen des Nationalinteresses, weil der Finanzmarkt ja nun mal nicht an Grenzen Halt macht. Was sagen Sie dazu?
Hellmeyer: Ich bin auch besorgt darüber, dass diese Tendenzen hin zur Nationalstaatlichkeit wieder in den Vordergrund rücken. Gerade diese letzte Krise hat doch eins bewiesen: Dass die Solidarität innerhalb eines Wirtschaftsraums, wie wir ihn in der Eurozone haben, eben Länder vor dem absoluten Kollaps bewahrt. Natürlich braucht man dafür auf der anderen Seite auch Reformen, die schmerzhaft sind. Fakt ist, dass wir heute in dieser Welt, die sich so dramatisch verändert hat, auch eben, wir nennen das "Politics of Scale", also Politik von Größe brauchen.
Industrieanlagen stehen am 16.02.2017 in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) auf dem Werksgelände des Chemiekonzerns BASF.
Großkonzerne wie BASF sind heute global tätig © picture-alliance / Uwe Anspach
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. BASF war 1990, als die sportliche Globalisierung begann, ein deutsches Unternehmen mit maßgeblich deutschen Produktionsstätten und wenigen im Ausland. Heute ist BASF – und das gilt für alle Großunternehmen, die global unterwegs sind – ein Unternehmen, das in Deutschland ansässig ist, das mehr Produktionsstätten im Ausland hat als in Deutschland.
Und wer glaubt, diese Arbeitsplätze, die mit diesem Konzern zusammenhängen, halten zu können, wenn man zurückgeht zu nationalstaatlichen Lösungen, also zu den Lösungen des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert, der wird sich massiv irren, der wird diesen Kapitalstock, die damit verbunden Jobs, die damit verbundene wirtschaftliche Stabilität, die wichtig ist für die gesellschaftspolitische Stabilität, am Ende aufs Spiel setzen. Und hier müssen wir Europa stärker integrieren perspektivisch. Wenn wir es nicht machen, werden wir das, was heute für uns alltäglich ist an Wohlstand, an Prosperität, an Stabilität Stück für Stück zur Disposition stellen.

Blick auf die Risiken

Heise: Wenn wir jetzt noch mal an den Ausgang unseres Gesprächs zurückgehen, zehn Jahre nach der Finanzkrise, sind Sie dann nun eigentlich ruhig, oder werden Sie zunehmend unruhig?
Hellmeyer: Ich habe ein gespaltenes Verhältnis. Ich sehe 83 Prozent der Weltwirtschaft in einem sicheren Fahrwasser. Das gilt für die Eurozone mit der Reformpolitik, es gilt für die Projekte Seidenstraße, "One Belt, One Road", die von China ausgehen. Ich habe meine Sorgen, das betone ich noch mal, bezüglich USA und UK, denn im Endeffekt haben diese Länder nichts anderes gemacht, als das Geschäftsmodell nach einer kurzen Konsolidierung bis 2010, das zur Krise 2008/2009 führte, zu wiederholen. Das ist riskant.
Der YXE Güterzug startet vom Containerterminal in Yiwu/ China.
Zwischen dem chinesischen Yiwu und dem spanischen Madrid verkehrt seit November 2014 der YXE Güterzug über die "Neue Seidenstraße".© picture alliance / dpa/ Lv Bin
Aber ich sehe auf absehbare Zeit Richtung 2019 keine drastischen Unfallgefahren. Und das Gute ist, dass sich die Weltwirtschaft abgekoppelt hat von der Führungsrolle der US-Wirtschaft. Früher hat die US-Wirtschaft die Weltwirtschaft dominiert. Für uns ist wichtiger in Europa, was in China, im asiatischen Raum passiert, als das, was in den USA passiert.
Und diese Lernkurve ist leider noch nicht ausgeprägt, auch nicht in der deutschen Politik, auch nicht in der europäischen Politik. Die Zukunft liegt im Osten, dort spielt die Musik. Wir haben immer noch einen Fokus auf die USA, so als wären wir im Jahr 1990 oder 1995. Das ist vorbei. Das ist so, als würden Sie Auto fahren und nur in den Rückspiegel schauen. Das ist für zukunftsorientierte Politik nicht zielführend.
Heise: Sagt Folker Hellmeyer, Finanzmarktanalyst, in unserer Serie "Zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise". Danke, Herr Hellmeyer!
Hellmeyer: Es ist mir eine Freude!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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