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EU-Parlamentarier Karl-Heinz Florenz
Glyphosat: "Fünf Jahre, und dann ist Ende"

Der Europa-Politiker und Landwirt Karl-Heinz Florenz unterstützt die Fünfjahresfrist für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Man müsse der Industrie Zeit lassen, sie aber auch unter Handlungszwang setzen, um echte Alternativen zu entwickeln, sagte Florenz im Dlf.

Karl-Heinz Florenz im Gespräch mit Jule Reimer | 23.11.2017
    Ein Traktor fährt bei Göttingen (Niedersachsen) Ende März über ein Feld und bringt mittels einer gezogenen Anhängespritze zur Saatbettbereinigung Glykosphat aus (undatierte Aufnahme). Glyphosat kommt in der Regel als Nacherntebehandlung bzw. vor der Aussaat zum Einsatz. Das Pestizid dient zur Unkrautbekämpfung in der Landwirtschaft. (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und der vollständigen Nennung der Quelle) - Foto: Steven Lüdtke/Forum Moderne Landwirtschaft/dpa
    Ein Traktor fährt bei Göttingen (Niedersachsen) über ein Feld und bringt Glyphosat aus. (Steven Lüdtke/Forum Moderne Landwirtschaft/dpa)
    Jule Reimer: In Brüssel werden am Montag die EU-Mitgliedsstaaten in einem Berufungsausschuss erneut darüber abstimmen, ob die Zulassung des Pestizids Glyphosat um weitere fünf Jahre – so der derzeitige Informationsstand – verlängert wird. Bisher gab es nie eine klare Mehrheit. Wenn diese wieder nicht zustande kommt, muss die EU-Kommission entscheiden. Deutschland enthielt sich bisher immer der Stimme wegen Unstimmigkeiten zwischen Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium. Das EU-Parlament wiederum hatte sich zuvor mehrheitlich für eine fünfjährige Verlängerung unter strengen Auflagen ausgesprochen, und danach sollte die Zulassung für Glyphosat auf jeden Fall auslaufen.
    Vor dieser Sendung fragte ich den christdemokratischen Europaparlamentarier und Landwirt Karl-Heinz Florenz, ob er mit dieser Parlamentsempfehlung gut leben kann.
    Karl-Heinz Florenz: Erst einmal: Ich bin ja selbst Landwirt und ich könnte damit leben. Ich unterstütze diese fünf Jahre aus dem einfachen Grunde, weil die Kommission und das Parlament jetzt endlich mal hingeht und der Industrie klare Vorgaben gibt und sagt, in fünf Jahren ist Ende und dann müssen sie ein Alternativprodukt haben. Das ist ja das Problem: Wenn Sie morgen das Produkt aus dem Markt nehmen würden, dann gibt es keine Alternativen. Es gibt da zwar von meinen grünen Freunden hier ein paar romantische Erklärungen, wie man denn Unkraut abhackt, aber echte Alternativen, die gibt es im Moment nicht. Echte Alternativen für Landwirte, die gibt es nicht.
    Karl-Heinz Florenz (CDU), Mitglied des EU-Parlaments und Mitglied im Ausschuss Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
    Karl-Heinz Florenz (CDU), Mitglied des EU-Parlaments und Mitglied im Ausschuss Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (AFP)
    Ich freue mich übrigens auch, dass hier unser Ausschuss, mein Ausschuss auch sehr deutlich Regeln aufgestellt hat für die Anwendung von Glyphosat. Wir wollen keine großflächigen Ernteprodukte mehr bespritzen. Das ist nicht nötig. Das werden meine Kollegen in Holstein anders sehen, aber …
    Reimer: Vor der Ernte, damit die Frucht trocken geerntet werden kann.
    Florenz: Ja, genau. Meine Familie bewirtschaftet unseren Hof seit gut 250 Jahren. Das haben wir nie nötig gehabt und das ist auch heute nicht nötig. Da kann man sich drauf einstellen. Das Totspritzen von Gerste oder Weizen mag ja einen gewissen Sinn haben, aber es ist keine gravierende Sache, und deswegen war ich mit dabei, das zu verbieten.
    Reimer: Dann kommen wir doch mal zu der Frage nach den Alternativen, denn eigentlich gibt ja die Europäische Union den Mitgliedsstaaten bereits seit 2009 mit der Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden vor, dass beim Anbau und beim Schutz der Ernte vor Schädlingen auch mehr nach Alternativen zu den chemischen Verfahren und Methoden gesucht werden muss. In Frankreich gibt es tatsächlich ein groß angelegtes Programm mit mal besseren, mal schlechteren Ergebnissen. Tut Deutschland hier genug, oder könnte hier mehr getan werden?
    Florenz: Das Stichwort heißt ja integrierter Pflanzenschutz.
    "Pflanzenschutzmittel dürfen in Zukunft keine Grundwassergängigkeit mehr haben"
    Reimer: Was heißt das?
    Florenz: Integrierter Pflanzenschutz heißt, Sie werden erst mal alle technischen Maßnahmen ergreifen, um Ungräser von Ihren Feldern fern zu halten oder sie nicht keimen zu lassen. Wenn Sie Ihren Acker abgeerntet haben, dann sollte man da mit einem Grubber drüberfahren und die Ernterückstände einarbeiten in den Boden und die Keimlinge, was aufgekeimt ist, zerstören. Das ist eine uralte, jahrhundertealte Praxis, die zugegebener Weise bei dem einen oder anderen etwas in Vergessenheit geraten ist. Die sind auch teurer, aber das teure Argumente würde ich auch nicht akzeptieren, denn bei gutem Wetter bodenschonende Bodenbearbeitung zu machen, ist immer gut, ist zwar teuer, aber immer gut für den Boden. Das bringt Luft dort rein, das bringt Sauerstoff für die Lebewesen. Also integrierter Pflanzenschutz. Nur in der letzten Stufe dieses Anbaus von irgendwelchen Früchten sollte man Pflanzenschutz einsetzen. Eine ganze, ganze Menge von Landwirten im Rheinland, am Niederrhein in NRW machen das auch.
    Reimer: Das heißt, wir haben eigentlich schon Methoden. Aber die andere Frage: Könnte man noch mehr forschen nach Alternativen zu Glyphosat?
    Florenz: Aber selbstverständlich! Ich bin sehr dafür, dass wir im gesamten Pflanzenschutzbereich, auch in der Pflanzenschutzgesetzgebung die Industrie in einen massiven Handlungszwang bringen, dass sie wirklich nach Alternativen sucht. Wir haben ja Pflanzenschutzmittel, die werden aufgetragen auf einer Pflanze, und dann sind die in zwei oder drei Tagen vollkommen verarbeitet oder verdunstet. Die sind dann nicht mehr existent, sie gehen auf jeden Fall nicht mehr ins Grundwasser. Ich lebe mit meinem Betrieb in einem Grundwasser-Einzugsgebiet und Sie können sich vorstellen, dass wir wie der Teufel hinter der armen Seele her sind, dass unsere Pflanzenschutzmittel nicht ins Grundwasser kommen. Pflanzenschutzmittel dürfen in Zukunft keine Grundwassergängigkeit mehr haben. Aber das ist ein großes Wort; das dauert noch was, bis wir da sind.
    Reimer: Sind diese anderen Mittel zu teuer oder teurer als Glyphosat?
    Florenz: Ja, die müssen Sie auch erst einmal haben. Das Verbieten im warmen parlamentarischen Ohrensessel ist ja relativ einfach. Da bin ich immer sehr erstaunt, wie hier die großen Vorkämpfer agieren. Aber was denn dann draußen auf den Feldern passiert, oder in der Industrie, das ist die andere Frage, und da muss man der Industrie wirklich einen Zeitraum geben. Aber man muss ihnen auch sagen: Passt mal auf, am Ende dieses Zeitraums, dann fällt die Guillotine herunter.
    "Wir müssen pflügen"
    Reimer: Was ist denn mit dem Argument, dass man eigentlich Klimaschutz befördert, wenn weniger gepflügt wird? Das setzt ja CO2 frei und Glyphosat wurde ja auch lange verteidigt unter der Vorgabe, na ja, dann müssen wir jetzt nicht mehr pflügen. Gilt das?
    Florenz: Ich in meinem Betrieb, wir haben relativ schwere Böden. Bei uns geht das Aussetzen von Pflügen überhaupt nicht. Wir müssen pflügen, wir müssen das Ganze aber in trockenem Wetter machen. Dann ist das bodengesundend. Dieses Argument des Klimaschutzes, das kann ich als Praktiker überhaupt nicht nachvollziehen. Die sollen einen anständigen integrierten Pflanzenbau machen, dann tun sie eine ganze Menge für die Unkrautbekämpfung und dann sind die Böden gesund, und genau das wollen wir doch.
    "Es ist ein katastrophaler Zustand auf unseren Feldern"
    Reimer: Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat gewarnt, dass in Deutschland enorm viele Insekten verschwunden sind. Wir haben E-Mails von Bauernverbänden erhalten, die bezweifelten, dass dies auf die Methoden der Landwirtschaft oder gar auf Glyphosat zurückzuführen sein könnte. Wie ist da Ihre Wahrnehmung?
    Florenz: Es ist ein katastrophaler Zustand auf unseren Feldern. Die Insekten sind weg, mausetot ist alles auf den Feldern. Das liegt unter anderem an einem Pflanzenschutzmittel namens Neonicotinoide. Das ist ein Teufelszeug, nicht weil es so gefährlich ist, sondern weil bei Anwendung in einer Packung rund um das Saatkorn ein Insektizid ausgebracht wird, was über sechs, sieben Monate anhält, und dann haben Sie jeden Tag eine aktive Pflanzenschutzbehandlung gegen die Insekten. Das brauchen Sie aber gar nicht jeden Tag; das brauchen Sie vielleicht ein- oder zweimal im Herbst, und dann ist Ende. Ich habe bei meinem Raps 40 Jahre lang einmal im Jahr gegen Insekten gespritzt. Dann haben die einen aufs Haupt gekriegt und dann waren sie in zwei Wochen wieder alle da, und genau das ist richtig. Dieses Leerräumen von Lebewesen in unseren Feldern ist falsch!
    "Nicht annähernd so schlimm wie die Neonicotinoide"
    Reimer: Aber das Glyphosat ist jetzt nicht ursächlich dafür verantwortlich, sondern eher die Neonicotinoide?
    Florenz: Das sehe ich auch so. Aber wenn Sie natürlich einen breitflächigen Einsatz von Glyphosat haben und der ganze Acker ist quittengelb, dann haben die Insekten, die darunter sind, natürlich auch keine rosigen Zeiten. Sie werden zwar davon nicht absterben, aber sie haben nichts mehr zu fressen. Auch Glyphosat hat Einfluss, aber ich glaube, dieser Einfluss ist nicht annähernd so schlimm wie die Neonicotinoide.
    Reimer: Die Hersteller von Glyphosat haben angekündigt, dass sie möglicherweise dann gegen eine Ausstiegsentscheidung rechtlich vorgehen würden, weil sie gesagt haben, es gibt zwei große EU-Behörden, die haben gesagt, Glyphosat ist nicht schädlich, oder nicht schädlich, wenn es richtig angewendet wird. Glauben Sie, dass die Hersteller tatsächlich mit Schadensersatzforderungen wirklich durchkämen?
    Florenz: Die Hersteller haben immer geklagt. Die Hersteller klagen im Moment auch bei Neonicotinoiden, obwohl man denen das so sonnenklar erklären kann. Dass das für unsere natürliche Umwelt wirklich lebensgefährlich ist. Auch da klagen sie. Bei Glyphosat werden auch sicher einige klagen. Davon sollte man sich aber nicht erschrecken lassen. Man muss ganz genau überprüfen: Ist an den Argumenten was dran. Und wenn da was dran ist, dann muss man auch im Sinne von Vorbeugeschutz handeln, auch wenn es unangenehm ist. Deswegen sage ich, die fünf Jahre, das ist ein Kompromiss, und dann ist Ende. Und die Industrie, die soll nicht so viel klagen; die sollen mehr junge Leute einstellen, junge Chemiker einstellen, die uns neue biobasierte Produkte präsentieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.