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EU-Parlamentspräsident
"Wir brauchen einen Proeuropäer, der die Dinge anpackt"

Soll der künftige Präsident des EU-Parlaments aktiv europäische Politik gestalten oder lediglich ein Sprachrohr der Parlamentarier sein? Bei einer öffentlichen Debatte aller Kandidaten wurde über diese Frage heftig gestritten. Weiter ist völlig offen, wer das Rennen um die Nachfolge von Martin Schulz (SPD) gewinnen wird.

Von Jörg Münchenberg | 12.01.2017
    Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Plenarsitzung im Espace Leopold in Brüssel, Belgien.
    Als farblos und fragwürdig bezeichnen auch wohlmeinende Beobachter die Kandidatenriege für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten. (picture alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Eine richtige Diskussion wollte nicht aufkommen unter den Präsidentschaftskandidaten, was aber auch dem Format geschuldet war. Immerhin hatte die Wochenzeitung Politico alle sieben Bewerber der Parteienfamilien versammelt, da blieb für eine intensive Debatte nur wenig Raum.
    Und dennoch zeichnet sich mit dem Abgang von Martin Schulz, SPD in die Bundespolitik bereits eines ab: Sein System, getragen von einer informellen Großen Koalition zwischen Sozialdemokraten und europäischer Volkspartei sowie einer engen Abstimmung mit der EU-Kommission findet wohl keine Fortsetzung mehr. Dafür sprach sich selbst der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, der Italiener Janni Pittella aus:
    "Ich möchte ein Präsident sein, bei dem das Parlament im Mittelpunkt steht. Ein Parlament, das die politische Debatte bestimmt. Ich werde ein Präsident sein, der für Transparenz steht und der auch die Prozesse transparent gestaltet".
    "Der Präsident ist nicht jemand, der die Demokratie von oben verordnet"
    Keine Vorabsprachen mehr wie unter Schultz noch an der Tagesordnung und Offenheit gegenüber den anderen, auch kleineren Parteien. Damit hofft Pittella, nicht zuletzt auch bei den Grünen und Linken punkten zu können, auf deren Stimmen er am kommenden Dienstag bei der Präsidentenkür dringend angewiesen ist. Doch auch der Spitzenkandidat der europäischen Volkspartei, Antonio Tajani, will bei einem Wahlsieg das Präsidentenamt anders ausfüllen:
    "Das Parlament benötigt nicht einen starken Präsidenten, sondern das Parlament muss stark sein. Und diese Entscheidung des Parlaments muss der Präsident dann wirksam nach außen vertreten. Ich bestehe darauf: Der Präsident ist der Schutzherr der Demokratie, aber nicht jemand, der die Demokratie von oben verordnet."
    "Wir sollten das Vermächtnis von Martin Schulz fortsetzen"
    So Tajani. Das sahen die Vertreter der Linken, der Europäischen Konservativen, der Grünen und selbst der rechtspopulistischen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit nicht viel anders. Nur Guy Verhofstadt, der Kandidat der Liberalen, hielt dagegen:
    "Wir sollten das Vermächtnis von Martin Schulz fortsetzen. Keine Rückkehr zu einem Präsidenten, der nur für die Einhaltung der Redezeiten und die Protokolle zuständig ist. Kein farbloser Präsident mehr, davon hatten wir in der Vergangenheit genug. Wir brauchen einen politischen Präsidenten, einen Proeuropäer, der die Dinge anpackt."
    Und anzupacken gibt es viel, da war sich die Runde wieder einig: der Brexit, die Gestaltung der künftigen Beziehung zu Kommission und Rat, der Euroskeptizismus, die Weiterentwicklung der Union. Hier soll – nach der Vorstellung von Verhofstadt - der künftige Präsident des EU-Parlaments aktiv gestalten, während die anderen Parteienfamilien ihn eher als Sprachrohr des Parlaments ansehen. Damit könne man auch das eigene Profil bei den Bürgern schärfen, meinte die Kandidatin der Grünen, Jean Lambert:
    "Wenn die Bürger an Brüssel denken, dann ist das für die meisten so ein Gemisch, die gleichen Leute, die Institutionen sind nicht unterscheidbar. Deshalb müssen wir das Parlament da rausholen. Es muss aufhören, das beispielsweise ein früherer EU-Kommissar dann Parlamentspräsident wird".
    Eine der wenigen verbalen Spitzen gegen die politische Konkurrenz, in diesem Fall gegen Ex-Industriekommissar Tajani. Über die mögliche Unterstützung eines politischen Gegners in der entscheidenden vierten Wahlrunde aber hielten sich gestern alle bedeckt. So ist weiter völlig offen, wer am kommenden Dienstag das Rennen um die Nachfolge von Martin Schulz gewinnen wird.