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Straßenblockaden
Wilde Hochzeitskorsos gefährden den Verkehr

Immer wieder blockieren Hochzeitsgesellschaften Straßen oder schießen mit Waffen in die Luft. Die Polizei hat Probleme, die Feiernden unter Kontrolle zu bekommen. In NRW hat sich schon der Landtag mit dem Thema befasst und will entschieden gegen die ausufernden Korsos vorgehen.

Von Peter Hild | 07.05.2019
19.01.2019, Hamburg: Polizisten kontrollieren am frühen Abend im Stadtteil Mümmelmannsberg ein Auto.
Polizisten haben oft Mühe, die feiernden Hochzeitsgäste unter Kontrolle zu bringen (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
Es herrscht geschäftiges Treiben an diesem Vormittag auf der Weseler Straße in Duisburg-Marxloh. Sie wird auch die "Hochzeitsmeile" genannt, wegen der vielen Brautmodeläden. Hier lebt eine große türkische Community. Bei vielen Hochzeitsgesellschaften, die seit einiger Zeit vor allem in Nordrhein-Westfalen immer wieder Straßen blockieren oder mit Waffen in die Luft schießen, spricht die Polizei von einem türkischen oder arabischen Hintergrund. Wissen die nicht, dass diese Aktionen in Deutschland verboten sind, frage ich Süfeya Zengin, die einen Brautmodeladen in Marxloh betreibt:
Zengin: "Natürlich wissen die das, aber die wollen ja immer versuchen." - Reporter: "Das heißt, denen ist egal, was hier verboten ist?" - Zengin: "Also egal natürlich nicht, aber die wollen ihr Glück mal versuchen. Solange kein Polizist kommt, wollen die das machen."
Ausmaß hat eine neue Dimension erreicht
Aber gerade vielen Älteren machten solche Aktionen auch Angst, sagt Süfeya Zengin noch. Viele Passanten erzählen mir von einer möglichst großen Aufmerksamkeit, die die Leute erregen wollten, gerade bei einem besonderen Anlass wie einer Hochzeit. Und dass sie Traditionen weiterführen wollten, denn das Schießen in die Luft sei in ländlichen Regionen der Türkei durchaus üblich. Ich bekomme aber auch viele kritische Stimmen zu hören. Zum Beispiel von Szabo Aydin, er ist Mitte Ende 40 und sucht mit seiner Partnerin gerade nach einem Hochzeitskleid:
"Meiner Meinung ist das pure Arroganz und Angeberei. Also wenn einer die Autobahn zumacht oder blockiert, um ein Hochzeitsfoto zu machen, für mich gehört überhaupt nicht zum Straßenverkehr, dem muss komplett Führerschein entnommen werden, ohne Wenn und Aber."
In der Türkei würden die Feiernden so etwas nicht machen, glaubt Aydin, doch hier in Deutschland sei der Staat nicht konsequent genug, müsste härter einschreiten. Auch andere in Marxloh können solche gefährlichen Aktionen nicht verstehen, sprechen von Verrückten und Leuten, die herumexperimentieren wollten. Neu sind Autokorsos bei Hochzeiten sicher nicht, doch das Ausmaß habe eine neue Dimension erreicht, sagt die Polizei, wie auch Wissenschaftler. Dabei seien die waghalsigen Korsos weniger eine Frage von Religion, Tradition oder Herkunft, sondern eher ein Generationenthema, meint der Berliner Ethnologe und Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba.
"Mit Tradition wird gespielt, weil Tradition eben scheinbar auch eine Legitimation ist für Regelübertretung. Und in diesem Graubereich, in diesem Zwischenfeld zu testen – das ist übliche Verhalten von vor allem jungen Männern, aber zunehmend auch jungen Frauen, vom Fußballstadion bis zur Party."
Polizei hat Probleme mit der Kontrolle
Besondere Anlässe wie Hochzeiten legitimierten für die jüngere Generation einen Ausnahmezustand, der dann auch bewusst ausgerufen werde, meint Kaschuba. In Zeiten der sozialen Medien spielten Events, Aufmerksamkeit und Selbstinszenierung für Jüngere eine große Rolle. Das zeige sich auch in ihrem Lebensstil:
"Junge Generationen und vor allem die urbanen Milieus haben eine Vorstellung von einer individuellen Freiheit – die aber natürlich auch eine Gruppenfreizeit sein kann - die sehr groß ist, die hohe Ansprüche stellt eben auch an die Toleranz der Mitbewohner in den Städten. Und andere Teile der Gesellschaft empfinden genau diese Freiheit als eine Form der Beliebigkeit, der Ungezügeltheit, der Verantwortungslosigkeit."
Grenzen und die eigenen Regeln austesten, wie es vermutlich jede neue Generation tut – doch den gefährlichen Manövern von Straßenblockaden bis hin zu Pyrotechnik oder Schüssen in die Luft Herr zu werden, sei für Polizisten oft nicht leicht, sagt Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen:
"Das Problem ist die Kontrolle, in der Tat, weil diese Dinge geschehen ja meistens an Wochenenden, in Zeiten, wo die Polizei im Wachdienst auch nicht so stark aufgestellt ist, personell. Und hier hat man oftmals auf der gegenüberliegenden Seite einen personellen Überhang. Und es ist schwierig für die Polizei, ihre Maßnahmen auch konsequent durchzuziehen. So ne latente Bedrohungslage ist da immer vorhanden."
Innenminister will gegen ausufernde Hochzeitskorsos vorgehen
In Nordrhein-Westfalen hat sich bereits der Innenausschuss des Landtags mit dem Thema beschäftigt. Innenminister Herbert Reul will entschieden gegen ausufernde Hochzeitskorsos vorgehen. Doch wie neu und groß das Phänomen tatsächlich ist, darüber muss sich die Politik erstmal einen Überblick verschaffen. Erst seit Anfang April werden solche Vorfälle nun in einer offiziellen Statistik erfasst, über hundert Fälle sind bereits aktenkundig, alle Polizeidienststellen in NRW sollen entsprechende Vorkommnisse melden. Für Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei braucht es nicht mehr oder härtere Strafen, um solche Aktionen zu unterbinden, sondern vor allem ein konsequentes Durchsetzen der bestehenden Regeln.
"Dann müssen auch die Ordnungsbehörden als auch die Gerichte mitziehen bei der Sanktionierung. Gerade bei solchen Sachen, wäre das härteste Mittel, was sie treffen könnte, der Führerscheinentzug, weil hier die charakterliche Eignung durchaus geprüft werden kann. Und ich seh' die auch nicht gegeben, wer sich so im Straßenverkehr verhält."
Die Gruppen in ihren Hochzeitsgesellschaften wollen zeigen, dass sie machen können, was und wo sie wollen, sagen viele. Doch diese neue Form der Grenzüberschreitung wollen Polizei und Politik nicht tolerieren.