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EU-Reformen
"Europa muss mehr Geld ausgeben"

In der Debatte über Reformen in der Europäischen Union plädiert der SPD-Vizevorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel für deutlich mehr Investitionen. Die Placebo-Politik, bei der Regierungen Haushaltsreste zusammenkratzten, müsse vorbei sein, sagte er im DLF. Mehr Geld solle in die Bereiche Infrastruktur und Bildung fließen.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.07.2016
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel im hessischen Landtag
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel (picture alliance / dpa / Alexander Heinl)
    Wer glaube, allein mit Sparen Europa zusammenhalten zu können, irre gewaltig, sagte Schäfer-Gümbel. Zentrale Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit müssten in Europa gelöst werden. "Europa muss mehr Geld ausgeben." Ohne öffentliche Investitionen des Staates werde es nicht gehen.
    Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe mit seinem Widerstand verhindert, dass es in den Krisenzeiten große gemeinsame Anstrengungen in der EU gegeben habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Das Brexit-Votum der Briten, das sorgt nicht nur in der britischen Politik für Chaos. Auch bei uns in Deutschland zeichnet sich langsam ein Koalitionsstreit über die Europapolitik ab. Oder vielleicht sind wir sogar schon mitten drin in diesem Streit. Der jüngste Aufschlag kam am Wochenende von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der unter anderem für eine de facto Entmachtung der EU-Kommission plädiert und der außerdem die SPD scharf kritisiert hat, unter anderem für ihre Forderung nach mehr Staatsausgaben und nach einer Abkehr von der Sparpolitik. Das hat ja unter anderem SPD-Chef Sigmar Gabriel angeregt. Ich habe darüber vor etwa einer Stunde mit Gabriels Vize, mit Thorsten Schäfer-Gümbel gesprochen, dem hessischen SPD-Vorsitzenden. - Herr Schäfer-Gümbel, will die SPD wirklich zurück in die Zeiten, in denen Wachstum auf Pump erzeugt wurde?
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Natürlich nicht. Es ist auch eine Polemik des Bundesfinanzministers, der sich hier mal wieder aufführt, als wäre er der einzige, der weiß, was richtig ist. Recht hat er an einer einzigen Stelle, nämlich an der, wo er sagt, Europa muss man mehr erklären. Aber wenn wir das wollen, dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass bei Jugendarbeitslosigkeit, bei Beschäftigung, bei sozialer Ungleichheit die Abstände größer geworden sind. Und wenn man eins aus den letzten Wochen und Monaten doch gelernt haben muss, ist es, dass wir diese zentralen Probleme in Europa lösen müssen. Das ist der Anspruch, den es zu erfüllen gibt, und das kann man nicht damit tun, wenn man einfach sagt, es ist uns schlicht egal, was die anderen machen, und Herr Schäuble hat regelmäßig dazu beigetragen, genau diese Fragen nicht zu lösen.
    "Mehr Investitionen Infrastruktur, Bildung, Ausbildung, Beschäftigung"
    Armbrüster: Herr Schäfer-Gümbel, das heißt aber in der Konsequenz, die Staaten Europas, die EU-Staaten sollen mehr Geld ausgeben, um zum Beispiel gegen Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen?
    Schäfer-Gümbel: Europa muss mehr Geld ausgeben und, ich sage mal, eine Placebo-Politik, in der man Haushaltsausgabereste zusammenkratzt, große Pressekonferenzen veranstaltet und erklärt, dass man jetzt viel für Jugendarbeitslosigkeit tut oder gegen Jugendarbeitslosigkeit, die Zeiten müssen vorbei sein. Wir brauchen mehr Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in Ausbildung, in Beschäftigung. Das ist eine Frage, der sich der private wie der öffentliche Sektor stellen müssen, und Wolfgang Schäuble wäre gut beraten, dazu endlich mal einen Beitrag zu leisten, statt sich ständig aufzuführen als jemand, der als einziger auf dem Globus weiß, was richtig ist.
    Armbrüster: Wenn Sie jetzt aber sagen, Europa muss mehr Geld ausgeben, dann heißt das in der Konsequenz doch auch, Deutschland, aber zum Beispiel auch Spanien, Italien und Portugal müssen mehr Geld ausgeben, um dagegen etwas zu tun, zum Beispiel gegen die Arbeitslosigkeit.
    Schäfer-Gümbel: Vor allem auch die Europäische Kommission. Und ich will daran erinnern, dass auch in der Krisensituation es häufig der deutsche Widerstand und vor allem der von Bundesfinanzminister Schäuble war, der verhindert hat, dass es große gemeinsame europäische Anstrengungen gegeben hat. Es ging immer um Impulse auch der Europäischen Union, aber die sind immer und immer wieder daran gescheitert, dass es nicht möglich war, zusätzliche Mittel zu organisieren, das in einer historischen Nullzins-Phase und in einer Phase, wo Deutschland so sehr auch von Europa profitiert, und es ist jetzt richtig zu helfen, dass Menschen beispielsweise in Spanien, in Italien, in Griechenland in Arbeit und Ausbildung kommen. Wenn dort die Hälfte aller unter 25-Jährigen weder Arbeit, noch Ausbildung haben, dann muss man doch verstanden haben, dass hier sich etwas ändern muss.
    "Es wird ohne öffentliche Investitionen des Staates nicht gehen"
    Armbrüster: Aber beim Thema Geld, habe ich den Eindruck, reden Sie so ein bisschen um den heißen Brei herum. Das heißt, wir müssen eigentlich Schulden aufnehmen und die Zeiten in dieser Nullzins-Phase - Sie haben sie erwähnt -, die sind eigentlich ganz gut dafür, oder?
    Schäfer-Gümbel: Ja natürlich! Es wird ohne öffentliche Investitionen des Staates nicht gehen. Das Bildungssystem ist in der Regel ein öffentliches. Infrastruktur wird in der Regel öffentlich finanziert. Und deswegen ist es richtig, jetzt auch öffentlich zu investieren, das wie gesagt auch allerdings auch durch die Europäische Union. Ich habe ja eben sehr diplomatisch und freundlich versucht, die Politik der Europäischen Kommission, die immer getrieben ist von den Nationalstaaten, kritisiert dafür, dass man versucht darzustellen, dass man Großes tut, aber es eigentlich nicht wirklich tut, weil man nur Haushaltsausgabereste zusammenkratzt, statt neue zusätzliche Investitionen zu stemmen. Ich finde, der Gradmesser ist nicht die schwäbische Hausfrau, sondern der Gradmesser ist der schwäbische Unternehmer und der investiert in seine Zukunft und verspielt sie nicht.
    Armbrüster: Ich will dann mal ein bisschen weiter Richtung Süden blicken. Dieses Schuldenmachen, das wurde in den Ländern Südeuropas ja jahrzehntelang praktiziert und es hat diese Länder alle in eine tiefe Krise gestürzt.
    Schäfer-Gümbel: Leider reicht uns Ihre Sendezeit nicht aus, um jetzt wirklich in jedes einzelne Land mal sehr genau zu schauen, woran es wirklich liegt. Natürlich ist dort auch überbordend Geld ausgegeben worden für konsumtive Ausgaben. Aber es darauf zu reduzieren, wäre Grund falsch und würde auch der ökonomischen und sozialen Situation dieser Länder nicht gerecht. Und ein einfaches Schuldenmachen ist auch keine Lösung. Sonst würde ich mich nicht beispielsweise in meinem Bundesland für so etwas wie die Schuldenbremse stark machen. Aber die Frage, wie wir Zukunftsinvestitionen stemmen, diese Frage muss jetzt aufgerufen werden. Wer glaubt, dass man mit Sparen alleine Europa zusammenhalten kann, der irrt gewaltig.
    Nationalstaaten behindern Arbeit der Europäischen Kommission
    Armbrüster: Wie genau soll das denn funktionieren, nachhaltiges Wachstum schaffen mit Steuergeldern?
    Schäfer-Gümbel: Beispielsweise durch das, was wir vorgeschlagen haben, an verschiedenen Stellen dafür zu sorgen, dass wir jetzt investieren in Infrastruktur und Infrastrukturausbau ist zwingend notwendig, nicht nur bei Breitband und IT, sondern auch bei der Energiewende. Da gibt es auch Möglichkeiten für neue Geschäftsfelder und Entwicklungen. Das gilt für die Bildungsinvestitionen, die berufliche Ausbildung. Dort ist viel zu richten. Das sind alles Themen, um die es geht. Wir haben vor wenigen Wochen eine Klausurtagung in Sevilla gehabt. Dort haben uns die Kolleginnen und Kollegen der andalusischen Regierung gesagt, ihnen stehen pro Tag 40 Cent, 40 Cent Förderung gegen Jugendarbeitslosigkeit pro Tag und Jugendlichen zur Verfügung, und jeder muss doch sehen, dass man mit 40 Cent am Tag nichts bewegt.
    Armbrüster: Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt jetzt, die Kommission, die EU-Kommission ist zu langsam. Sie haben sie erwähnt als ein ganz zentrales Element in dieser Strategie. Schäuble sagt jetzt, die Kommission ist zu langsam und die Nationalstaaten sollten das endlich wieder unter sich regeln.
    Schäfer-Gümbel: Wolfgang Schäuble träumt ja schon seit vielen, vielen Jahren von einer anderen europäischen Idee. Er ist ja mit einer derjenigen gewesen, die die Idee von Kerneuropa vor etwa 20 Jahren entwickelt haben. Er bleibt sich in seiner Kritik treu. Aber Fakt ist, dass die Europäische Kommission in der Regel nicht voranschreiten kann, weil die Nationalstaaten sie daran hindern, und Wolfgang Schäuble sitzt dort häufig im Bremserhäuschen. Wenn es Kritik in diesen Tagen an den Verfahren zu CETA, zu Glyphosat und all den anderen Themen gibt, dann muss man zumindest zur Kenntnis nehmen, dass Wolfgang Schäuble in der Sache in all diesen Fragen immer auf der falschen Seite steht.
    Armbrüster: … sagt hier heute Morgen im Deutschlandfunk Thorsten Schäfer-Gümbel, der SPD-Parteivize und SPD-Landeschef von Hessen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.