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EU-Reformforderungen
Cameron will neuen politischen Druck verhindern

In Großbritannien soll bis spätestens Ende 2017 über einen Verbleib in der Europäischen Union abgestimmt werden. Die von Premierminister David Cameron geforderten Reformen der EU würden lediglich festschreiben, was heute schon Status quo sei, sagte Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies in Brüssel: Großbritannien sei an einer tieferen Gemeinschaft nicht interessiert.

Daniel Gros im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 10.11.2015
    Daniel Gros, Director des Centre for European Policy Sutdies in Brüssel, Belgien
    Daniel Gros, Director des Centre for European Policy Sutdies in Brüssel, Belgien (imago/Xinhua)
    Ann-Kathrin Büüsker: David Cameron betont also, dass Großbritannien natürlich die Freizügigkeit in der Union achten will. Aber wir haben ja gerade den Sprecher der EU-Kommission gehört. Man kann die Kappung von Sozialleistungen für Zuwanderer auch als Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit verstehen. Darüber habe ich mit Daniel Gros gesprochen. Er ist Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel und hält sich zurzeit in London auf. Ich habe ihn gefragt, ob Cameron damit jetzt an den Grundfesten der EU rüttelt.
    Daniel Gros: Wenn man genau hinsieht, gibt es an und für sich wenig, was Großbritannien wirklich fordert. Großbritannien hat einfach ein Problem, weil sie ein etwas anderes Sozialsystem haben als in Deutschland und anderen Ländern auf dem Kontinent, und was sie eigentlich nur sicherstellen wollen ist, dass ihr eigenes System nicht durch Immigranten überlastet wird. Ich glaube, da lässt sich ein Kompromiss finden.
    Büüsker: Das verstehe ich jetzt nicht so richtig. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder, sagen wir eher, die Freizügigkeit ist doch eigentlich ein Grundelement von Europa, und wenn Cameron das abschaffen möchte, dann ist das doch schon ein Punkt, der Europa erschüttern könnte, oder?
    Gros: Es stimmt so nicht, dass Großbritannien die Arbeitnehmerfreizügigkeit abschaffen möchte.
    Büüsker: Sondern?
    Gros: Das wissen Sie auch, dass das gar nicht geht, dass das im Vertrag festgelegt wird. Sondern sie wollen nur sicherstellen, dass die, die nach Großbritannien kommen und dort erst mal arbeiten und dann vielleicht damit die Arbeitnehmerfreizügigkeit nützen, dann, wenn sie arbeitslos werden, zu viele Sozialleistungen vom englischen Staat bekommen.
    Büüsker: Und das fällt für Sie nicht unter Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken?
    Gros: Das ist immer die graue Zone, ab wann ist das Arbeitnehmerfreizügigkeit und ab wann ist das Inanspruchnahme, weil es Scheinarbeitnehmer sind. Wir haben solche Fälle auch in Deutschland gehabt, wo der Europäische Gerichtshof dann entschieden hat, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit natürlich gilt, aber dass sie auch nicht missbraucht werden darf durch vielleicht eine kurze Beschäftigung und danach es vor allen Dingen um Sozialleistungen geht. Das ist eine Grauzone, wo es viele Ermessensentscheidungen gibt, wo es sich nicht darum handelt, den Vertrag zu ändern, das Prinzip zu ändern, sondern nur wie es angewandt wird.
    Büüsker: Habe ich Sie dann auch richtig verstanden, dass Sie die Vorschläge, die Cameron jetzt auf den Tisch gelegt hat, eher als Luftnummer interpretieren?
    Gros: Es sind keine Luftnummern. Es handelt sich darum, dass er kleine Veränderungen braucht, die er an irgendwelchen Paragraphen festmachen kann und wo er dann sagen kann, ja, hier ist etwas geschehen, was für uns wichtig ist, denn auf diesem Gebiet ist nicht so sehr wichtig das, was vielleicht jetzt in Brüssel beschlossen wird, sondern was der Europäische Gerichtshof vor einigen Wochen entschieden hat, und das geht an und für sich genau in die Richtung, die Cameron wollte.
    "Es muss zu einer Einigung kommen"
    Büüsker: Würde sich dann die EU überhaupt verändern, wenn er mit seinen Vorschlägen durchkommt? Oder anders gefragt: Wie würde sie sich verändern?
    Gros: Nein. Cameron zielt ja nicht darauf, die EU als solche zu verändern. Da würde sich sehr wenig ändern. Er will ja nur festschreiben, was heute schon der Status quo ist, nämlich dass Großbritannien auf dem Weg einer tieferen Gemeinschaft nicht dabei sein möchte, dass Großbritannien bei der gemeinsamen Währung nicht dabei sein möchte und dass Großbritannien auch bei Schengen nicht dabei sein möchte. Er möchte halt, dass das irgendwo noch einmal extra aufgeschrieben wird und anerkannt wird, dass damit kein neuer politischer Druck entstehen kann. Die EU selbst wird sich nicht verändern.
    Büüsker: Und Ihre Prognose: Wird die EU auf seine Forderungen eingehen?
    Gros: Es ist ganz klar, dass es zu einer Einigung kommen muss, denn es ist ganz klar, dass die EU niemals zu einer Situation kommen wird, wo sie sagt, wir schicken einen unserer Premierminister nachhause mit etwas, was er dem eigenen Volk nicht verkaufen kann. Das ist noch nie passieren und es wird natürlich bei so einem großen wichtigen Land wie Großbritannien auch nicht passieren können.
    Büüsker: Aber gehen wir mal davon aus, es würde passieren, was würde dann passieren?
    Gros: Dann würde das Referendum in Großbritannien sicherlich negativ ausfallen und dann hätte man die Situation, wo sehr wahrscheinlich Cameron zurückkommen würde nach Brüssel und sagen würde, das haben meine Leute nicht akzeptiert, könnt ihr uns nicht vielleicht doch einen anderen Deal geben, sonst sind wir in einem Jahr draußen.
    Büüsker: Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies mit Sitz in Brüssel, im Deutschlandfunk-Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.