Freitag, 19. April 2024

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EU-Sanktionen gegen Belarus
"Lukaschenko ist viel zu weit weg von der Realität"

Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne hält die mit Vorbedingungen verknüpften EU-Sanktionen gegen Belarus für richtig. Sie erwarte bei Präsident Lukaschenko nicht, dass er bereit sei zu verhandeln, sagte sie im Dlf. Allerdings engten Sanktionen den Spielraum für Angebote und Verhandlungen ein.

Marieluise Beck im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.10.2020
Der belarussische Präsident Lukaschenko ist für eine weitere Amtszeit vereidigt worden.
Nach 26 Jahren im Amt als Diktator, fehle dem belarussischen Präsident Lukaschenko der Sinn für die Realität, sagte Ex-Grünen-Politikerin Marieluise Beck im Dlf. (Andrei Stasevich / BELTA / AFP)
Die EU hat nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexei Nawalny neue Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die Außenminister der EU-Staaten einigten sich bei einem Treffen in Luxemburg darauf, mit den notwendigen Vorbereitungen zu beginnen. Deutschland und Frankreich hatten zuvor gemeinsam EU-Strafmaßnahmen vorgeschlagen. Sie begründeten den Schritt damit, dass Russland Aufforderungen zu einer lückenlosen Aufklärung der Vergiftung Nawalnys bislang nicht nachgekommen sei.
Die EU-Außenminister drohten zudem der Führung in Belarus mit Sanktionen. In einer Erklärung heißt es, wenn sich die Lage in dem Land nicht verbessere, sei die Europäische Union bereit, weitere restriktive Maßnahmen zu ergreifen. Davon soll dann auch Präsident Lukaschenko betroffen sein. Marieluise Beck (Grüne) vom Zentrum Liberale Moderne unterstützt die Herangehensweise.
Dirk-Oliver Heckmann: Die EU-Außenminister sich jetzt auch darauf verständigt, Langzeit-Machthaber Lukaschenko und seine Familie mit Sanktionen zu belegen, sollte sich die Situation nicht verändern. Ein überfälliger Schritt?
Marieluise Beck: Ja, absolut! Es ist ja so, dass das, was wir vor unserer Haustür sehen, ein wirklich unerhörtes Ereignis ist, eine Bevölkerung, die so friedlich und so gewaltfrei und tatsächlich nur mit den Mitteln der eigenen Person, desmenschlichen Körpers auf die Straße geht, viele Frauen übrigens, die eine ganz wichtige Rolle spielen dabei, immer mit der Botschaft, wir sind friedlich und wir wollen nur Wahrheit und Gerechtigkeit, und das heißt für uns eine neue Wahl und die Chance für alle Kandidaten teilzunehmen, also keine Forderungen, wir wollen uns entscheiden gegen Moskau und für Brüssel, nichts was nicht tatsächlich durch und durch in einem demokratischen Europa möglich sein muss.
Die Politikerin Marieluise Beck saß bis 2017 für die Grünen im Bundestag, war Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei und hat dann die Berliner Denkfabrik Zentrum für Liberale Moderne mitgegründet.
Die Politikerin Marieluise Beck saß bis 2017 für die Grünen im Bundestag und hat dann die Berliner Denkfabrik Zentrum für Liberale Moderne mitgegründet. (picture alliance / Revierfoto/dpa)
"Lukaschenko ist viel zu weit weg von der Realität"
Heckmann: Die angedrohten Sanktionen sind mit einer Bedingung verbunden, nämlich sollte sich die Situation nicht verändern. Haben die Außenminister genug Mut bewiesen?
Beck: Es ist so, dass dieses persönliche Sanktionsregime nicht unkompliziert ist. Ich weiß, dass immer in der Debatte um Sanktionen, wenn es um Wirtschaftssanktionen geht, dieses persönliche individuelle Sanktionsregime ins Feld geführt wird, weil es gerechter zu sein scheint. Da ist auch was dran. Es gibt jedoch immer eine ganze Menge Fußangeln dabei.
Man nehme jetzt Lukaschenko. Er ist noch nicht auf die Liste gesetzt worden, sondern es wird gesagt, wenn, dann. Wenn man ihn jetzt auf die Liste gesetzt hätte - und er ist zweifellos verantwortlich für diese unglaublichen Gewalttaten -, dann kann man natürlich mit ihm nicht mehr reden. Wenn man aber immer noch einen Spielraum für Angebote, für Verhandlungen, für "kehre zurück auf einen Weg der Vernunft" hat – und es gibt ja den Vorschlag, an einen Runden Tisch zu gehen unter Leitung der OSZE -, den kann man nicht unter Sanktionen setzen.
Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus geht nach einem Auftritt vor Anhängern am Brandenburger Tor vorbei
Tichanowskaja - "Deutschland kann mehr Einfluss ausüben"
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja wünscht sich mehr Unterstützung durch Deutschland und die EU. Sie rufe weiter zu friedlichen Protesten auf, wisse aber nicht, wie viel Geduld ihre Landsleute noch hätten, sagte sie im Dlf.
Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Frau Beck? Sie sind dafür, da noch zurückhaltend zu sein, was diesen Schritt angeht?
Beck: Ich erwarte bei Lukaschenko nicht, dass er bereit ist zu verhandeln. Ich glaube, er ist nach 26 Jahren Diktator sein viel zu weit weg von der Realität. Das sieht man ja auch, wenn man ihn auftreten sieht, mit seiner Kalaschnikow an der Seite und der Uniform. Das wirkt ja schon etwas irreal. Ich glaube es nicht.
Ich glaube, man kann Lukaschenko listen. Auch das Argument, man treibt ihn damit in die Arme Moskaus, ist eigentlich verbraucht, denn es ist ihm schon vollkommen klar, dass er niemals sich mit demokratischen Nachbarn in irgendeiner Weise auseinandersetzen wird. Er kann nur von Moskau gehalten werden und wie wir wissen, ist Putin Demokratie ja auch ziemlich egal.

Vielleicht noch ein Schritt weiter: Es gibt jetzt bereits 40 Personen in Belarus, gegen die Sanktionen verhängt worden sind, und die gehören alle zu diesem Repressions- und Machtapparat. Der Innenminister, sein Stellvertreter, Polizei-Spezialkräfte, die so brutal zuschlagen, der Abteilungsleiter im Okrestino-Gefängnis in Minsk – das ist da, wo gefoltert wird. Komischerweise der stellvertretende Vorsitzende des KGB, des Geheimdienstes; warum nicht der Vorsitzende. Das erschließt sich mir nicht. Das sind aber alles Personen, bei denen doch ganz klar und zweifelsohne gesagt werden kann, dass sie diese ganze Gewaltmaschine am Laufen halten.
"Das ist eine Volksbewegung gegen einen Diktator"
Heckmann: Frau Beck, die Frage ist aber auch: Was bringen Sanktionen der Zivilgesellschaft? Hat es die vielleicht in Zukunft sogar noch schwerer, weil Lukaschenko sagen kann, die EU mischt sich in innere Angelegenheiten ein und die Opposition mischt da kräftig mit und übt Landesverrat?
Beck: Ja, mit dieser Figur hat Lukaschenko immer versucht zu arbeiten, von Beginn an – ein Hochverratsmythos. Das ist aber wirklich großer Unfug, weil tatsächlich das Gesicht dieser Bürgerbewegung, das so eindeutig Freiheit und Gerechtigkeit fordert und keinerlei Symbole zeigt, dass sie jetzt nach Osten oder nach Westen wollten, anders als auf dem Maidan, wo ja die Europafahne das Hauptsignal dieser Bewegung war. Das glaubt niemand mehr Lukaschenko, zudem ja diese Bewegung nicht nur in Minsk, sondern im ganzen Land stattfindet und nicht nur bei den jungen Akademikern, sondern sogar in den Fabriken.
Das ist eine Volksbewegung gegen einen Diktator und da kann Lukaschenko zusammenfabulieren, was er möchte in seiner Propaganda, die leider inzwischen von Russland geführt wird, denn in den Fernsehstationen hatten ja die belarussischen Journalisten ihre Arbeit niedergelegt, aus Solidarität mit dieser Freiheitsbewegung, und dann haben russische Journalisten diese belarussische Fernsehstation übernommen.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer,
Wladimir Kaminer - Proteste in Belarus "große Hoffnung" auch für viele Russen
Der russischstämmige Autor Wladimir Kaminer geht mit den Belarussen gegen ihren Präsidenten Alexander Lukaschenko auf die Straße. Die Aussicht auf friedliche Veränderung gebe auch vielen Russen Hoffnung, sagte er im Dlf.
Heckmann: Jetzt haben wir ausführlich über Belarus gesprochen, Frau Beck. Die Außenminister der EU haben aber auf Vorschlag Deutschlands und Frankreichs auch Sanktionen gegen Moskau auf den Weg gebracht, nach dem Mordanschlag auf den Oppositionellen Nawalny. Ich habe es ja gerade in der Anmoderation erwähnt. Mittlerweile ist eindeutig belegt, er war Ziel eines Anschlags mit Nowitschok – ein Kampfstoff, auf den normale Leute keinen Zugriff haben. Nawalny und seine Anhänger halten den Kreml für verantwortlich. Sie auch?
Beck: Es deutet vieles darauf hin, dass diese Chemiewaffe, die man nicht in der Küche und im "Jugend forscht"-Labor zusammensetzen kann, die aus einem staatlichen Labor kommt, und damit wird gegen die internationale Chemiewaffen-Konvention verstoßen, denn auch Russland hat sich verpflichtet, keine solchen Chemiewaffen mehr herzustellen. Es deutet vieles darauf hin, dass so ein Mordanschlag bei einer so prominenten Person wie bei Nawalny nicht ohne Wissen, um nicht zu sagen Anordnung Putins vollzogen werden sollte, muss man ja sagen, denn es ist der Mord ja nicht gelungen.
Heckmann: Aber Beweise gibt es dafür nicht.
Beck: Man wird nie bei Putin eine schriftliche Anweisung finden, aber das hat man bei vielen anderen Diktatoren auch nicht gefunden. Man hat auch bei Honecker nicht gefunden, dass er den Schießbefehl persönlich unterzeichnet hätte. Das ist immer eine der großen Schwierigkeiten, wo dann hinterher gesagt wird, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Das ist auch ein Teil der Schwierigkeit dieser individuellen Sanktionen.
Natürlich könnte man nach der Annexion der Krim sagen, verantwortlich dafür ist ganz offensichtlich der russische Präsident, der Außenminister, aber man will mit ihnen ja noch reden. Das wird deswegen darauf hinauslaufen in Bezug auf Russland – das zeichnet sich schon ab -, dass diejenigen, die für die Labore verantwortlich sind, vermutlich unter das Sanktionsregime fallen werden. Aber weiter nach oben wird es dann schon schwierig und wie gesagt, das ist der Haken an diesem individuellen Sanktionsregime. Das sollten wir uns klarmachen.
"Schröder kann als Zeuge nicht mehr ernst genommen werden"
Heckmann: Und das halten Sie auch für richtig, da nicht die Brücken abzubrechen zu einem russischen Präsidenten, auch wenn er möglicherweise am Ende verantwortlich ist?
Beck: Das halte ich selbstverständlich für richtig. Trotzdem muss man, wenn man dieses individuelle Sanktionsregime für das aussichtsreichere hält gegenüber Wirtschaftssanktionen, hoch genug gehen. Die Idee dahinter ist eigentlich, dass die Eliten sich spalten.
In diesem Fall: Es zieht sich zu auch um unseren Präsidenten, wir können nicht mehr nach London fahren, wir können unsere Kinder nicht mehr besuchen, die in Berlin studieren, unsere Gelder werden eingefroren, die in Panama liegen. Und dann eine Absetzbewegung von dem Diktator, das ist die Idee hinter Sanktionen.
Erler (SPD) über Schröder und Putin - "Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste"
Altkanzler Schröder (SPD) legt nach Ansicht seines Parteikollegen Gernot Erler großen Wert auf seine Männerfreundschaft mit Russlands Präsident Putin. Schröder würde nie einer Kritik gegen Putin zustimmen, sagte Erler im Dlf.
Heckmann: Frau Beck, Altkanzler Gerhard Schröder hat von Spekulationen gesprochen. Es gebe noch keine Beweise dafür, dass Herr Nawalny tatsächlich vergiftet worden ist. Das war allerdings vor der Meldung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, dass man auch zu diesem Schluss gekommen ist, dass Nowitschok im Spiel war. Alexander Nawalny hat Gerhard Schröder daraufhin als Laufburschen Putins bezeichnet, der Mörder beschütze. Hat er recht?
Beck: Ja! Ich glaube, er hat recht. So wie Nawalny mit diesem Satz, dass die Partei Putins die der Gauner und Diebe ist - und die Bereicherung der russischen Eliten ist ja atemberaubend -, so hat er auch hier ganz klar und unumwunden benannt, dass ein Gerhard Schröder so tief verwickelt ist in die dunklen Geschäfte und dunklen Machenschaften Putins, dass er auch bei uns als Zeuge nicht mehr ernst genommen werden kann. Er ist nicht mehr frei.
Heckmann: Sie würden sich die Formulierung Laufbursche Putins zu eigen machen?
Beck: Das ist eine hässliche Formulierung, aber das, was unser Altkanzler – und er ist Kanzler gewesen, das muss man sich klarmachen. Das ist nicht irgendwer, das ist kein Privatmann. Er ist Kanzler gewesen. Eigentlich nimmt man damit eine gewisse ethische Verantwortung auch in den Ruhestand mit und der ist Gerhard Schröder nicht gerecht geworden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.