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EU-Stabilitätspakt
Italien will Schuldengrenze aufweichen

Der EU-Stabilitätspakt sieht eine Neuverschuldung von maximal drei Prozent vor. Einige Krisenländer wie Italien wollen aber mehr Schulden machen, um ihre Wirtschaften anzukurbeln. Premier Matteo Renzi steht unter dem Druck der Opposition - und hat einen Lösungsvorschlag.

Von Jan-Christoph Kitzler | 20.06.2014
    Matteo Renzi
    Italiens Premier Matteo Renzi hat eine Idee zum Stabilitätspakt. (dpa / picture-alliance / Alessandro Di Meo)
    Wenn man Beppe Grillo hört, den Ex-Komiker, dessen Fünf-Sterne-Bewegung immerhin die zweistärkste Fraktion im Italienischen Parlament stellt, dann ist alles ganz einfach. Italien hat zwar einen Schuldenberg von deutlich über 2.000 Milliarden Euro angehäuft, aber das ist für Grillo kein Grund zu Besorgnis – und auch kein Grund, sich von Europa unter Druck setzen zu lassen:
    "Ein Teil dieser Schulden ist unmoralisch. Zerreißen wir den Stabilitätspakt. Ich möchte nach Brüssel gehen und sagen, gut, machen wir Eurobonds, machen wir etwas Gemeinsames. Unsere Bilanz, also unsere Einnahmen und Ausgaben, ist positiv, wir geben also weniger aus, als hereinkommt. Aber dann müssen wir 80, 90, 100 Milliarden Zinsen zahlen für Schulden und Geld, das uns deutsche und französische Banken geliehen haben. Da kommt man nicht heraus."
    Nun könnte man Beppe Grillos Meinung als radikale Spinnereien abtun, aber seine Partei stellt immerhin 17 Abgeordnete im neugewählten Europaparlament. Und in Italien gibt es zwar viele Politiker, die eine Nähe zu den Grillini weit von sich weisen würden. Aber trotzdem: Was die Schuldenpolitik angeht, gibt es kaum jemanden, der ihm widersprechen würde. Italien braucht mehr Spielraum – das ist die Meinung quer durch die politischen Lager. Da gibt es Gemeinsamkeiten auch zwischen Grillo und Matteo Renzi, dem Ministerpräsidenten. Der ist zwar erst etwas mehr als 100 Tage im Amt, aber sendet immer wieder eindeutige Signale in Richtung Europa:
    "Italien muss seine Hausaufgaben machen, und zwar nicht, weil die Merkel uns das sagt, nicht, weil Hollande das sagt, sondern weil es richtig ist. Es geht nicht darum, Regierungschefs ausländischer Staaten einen Gefallen zu tun. Wir bringen unsere Bilanz in Ordnung, weil diejenigen, die es in der Vergangenheit nicht gemacht haben, einen Fehler gemacht haben. Die haben unseren Kindern, und nicht den Kindern der Merkel, die Schulden für Ihr Handeln aufgebürdet."
    Italiens Problem: die hohe Arbeitslosigkeit
    Klar ist: Matteo Renzi ist angesichts der Lage Italiens kein Freund eines strikten Sparkurses. Italiens Wirtschaft ist gerade erst der längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte entwachsen, und noch ist das Wirtschaftswachstum bescheiden. Hinzu kommen Arbeitslosenzahlen, die für Daueralarm sorgen: Fast 42 Prozent der Italiener unter 25 haben keinen Job, in den strukturschwachen Regionen des Südens sind es noch mehr. In großen Industriebetrieben des Landes wie bei FIAT ist staatlich subventionierte Kurzarbeit das Beschäftigungsmodel der Wahl. Viele kleinere und mittlere Betriebe stehen auf der Kippe. Die Zahl der Firmenpleiten ist anhaltend hoch. Renzi glaubt, genau zu wissen, wo er ansetzen muss. Seit Mai haben Italiener mit kleinen und mittleren Einkommen 80 Euro mehr in der Tasche. Weitere Entlastungen sind geplant, damit die Binnennachfrage wieder in Gang kommt. Und in Europa will Renzi Allianzen schmieden, damit die Länder, die besonders unter der Krise leiden, mehr Luft zum Atmen bekommen.
    Die Regierung Renzi schlägt deshalb eine Unterscheidung vor zwischen guten Schulden und schlechten Schulden: Geld, das eingesetzt wird, um die Wirtschaft anzukurbeln, um zu investieren, sollte nicht unter die Drei-Prozent-Regel fallen, so die Idee. Damit dürfte Matteo Renzi beim nächsten EU-Gipfel der Applaus aus Griechenland, Spanien und Frankreich gewiss sein. Aber aus Berlin kommen deutliche Warnungen: Die Stabilitätskriterien dürften nicht aufgeweicht werden, sagt beispielsweise der Finanzminister, auch nicht für die Krisenländer.
    Matteo Renzi kann sich sicher sein, dass seine Forderungen in Europa Gewicht haben werden. Nicht nur, weil Italien ab dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Italien ist, wie man neudeutsch sagen würde, too big to fail, und schon allein wegen seiner Größe und Wirtschaftskraft ein Stabilitätsanker in der EU.
    "Ich glaube, dass Europa mindestens so sehr Italien braucht, wie Italien Europa. Aber um zu provozieren, sage ich: Braucht Europa Italien sogar mehr als Italien Europa?"
    So werden sich die Staats- und Regierungschefs auf neue Töne einstellen müssen. Renzi wird seine Forderungen unerschrocken vortragen und versuchen, die Stimmung derer umzudrehen, die bisher auf den Stabilitätspakt pochen. Das Renzi in Italien unorthodoxe Wege geht zeigt sich daran, dass er sogar schon mit Silvio Berlusconi verhandelt hat. Und schon bald soll es auch Gespräche mit Beppe Grillo über Reformen geben.