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EU-Stabilitätspakt
"Strukturen verändern, statt Defizitkriterien aufweichen"

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will Frankreich offenbar mehr Zeit geben, seinen Haushalt zu konsolidieren. Das sei ein völlig falsches Signal, sagte Norbert Barthle (CDU), Obmann im Haushaltsausschuss des Bundestags. Die EU-Länder müssten notwendige Strukturen reformieren. Doch dafür gehe der Anreiz verloren, stelle man den EU-Stabilitätspakt infrage.

17.06.2014
    Norbert Barthle (CDU) lächelt in die Kamera.
    Norbert Barthle, Obmann der CDU im Haushaltsausschuss des Bundestags. (dpa / CDU-Fraktion)
    Peter Kapern: Hat er nun oder hat er nicht, nämlich den EU-Stabilitätspakt in Frage gestellt? Gemeint ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Gestern hat er das Airbus-Werk in Toulouse besucht. Dort hat er gesagt, Länder, die mit überhöhten Defiziten kämpfen, solle mehr Zeit zur Haushaltskonsolidierung gegeben werden. Sein Ministerium beeilte sich dann anschließend, die Worte des Ministers zu deuten oder umzudeuten.
    Bei uns am Telefon ist nun Norbert Barthle, der Obmann der CDU im Haushaltsausschuss des Bundestages. Guten Tat, Herr Barthle.
    Norbert Barthle: Ich grüße Sie, Herr Kapern!
    Kapern: Herr Barthle, worunter buchen Sie denn nun Sigmar Gabriels Äußerungen ab, unter der Rubrik sozialdemokratischer Bruderhilfe, mit der er einer in die Defensive geratenen französischen Regierung zur Hilfe kommen will, oder unter der Rubrik konstruktiver Ideen, mit der die noch immer nicht überwundene Schuldenkrise jetzt tatsächlich bewältigt werden kann?
    Barthle: Aus meiner Sicht eindeutig ersteres. Es ist ja seit Wochen aus Frankreich zu vernehmen, aus verschiedenen Kanälen heraus, dass die sozialistische Regierung gerne hätte, dass man den Stabilitätspakt aufweicht, dass man Frankreich nochmals mehr Zeit gibt, um die Stabilitätskriterien einhalten zu können. Frankreich hat ja schon einmal zwei Jahre Aufschub bekommen und jetzt hätten sie gerne nochmals einen Aufschub, was wir aus deutscher, aber auch, glaube ich, aus mehrheitlich europäischer Sicht als ausgesprochen destruktiv betrachten, kontraproduktiv betrachten, was das Vertrauen in Europa in den Euro, in Staatsanleihen anbelangt. Das wäre das völlig falsche Signal.
    Kapern: Gabriels Prämisse lautet ja, Defizite, vor allem das Defizit in Frankreich, kann man nur bekämpfen, wenn man erst mal für Wachstum und Beschäftigung sorgt. Das klingt doch plausibel.
    Barthle: Das klingt auf den ersten Blick plausibel. Dahinter steckt aber eine verquere Auffassung dessen, was Wachstumsimpulse und Produktivitätssteigerung anbelangt. Offensichtlich gehen manche davon aus, dass es einfacher ist, steuerfinanzierte Wachstumsprogramme zu machen und dadurch Wachstum zu erzeugen, als umgekehrt die notwendigen Strukturreformen voranzutreiben, die nicht mal unbedingt Geld kosten müssen.
    Übrigens im Stabilitätspakt sind auch zwei Ebenen vorgesehen: eine präventive und eine hinterher sich ereignende. In den präventiven Maßnahmen hat man durchaus Flexibilität. Aber es wäre völlig falsch, jetzt durch steuerfinanzierte Wachstumsprogramme etwas erreichen zu wollen, wozu andere Strukturreformen notwendig sind, die gar nicht unbedingt Geld kosten. Ich denke an Verlängerung der Lebensarbeitszeit, an Steigerung der Produktivität, eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit und Ähnliches mehr, um damit sich besser aufstellen zu können auf den Weltmärkten.
    Kapern: Aber ist nicht angesichts von 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich die Frage mehr als berechtigt, wie groß die Gefahr ist, dass da ein wichtiges Euro-Land kaputt gespart wird?
    Barthle: Die Frage ist berechtigt, aber man muss dann zweimal hinschauen und gucken, woran es liegt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich so hoch ist. Die ist in Frankreich sehr hoch, die ist in Spanien sehr hoch, die ist in Portugal sehr hoch, die ist bei uns ausgesprochen niedrig, und das hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie ist der Arbeitsmarkt reguliert, wie ist es bei den Jugendlichen, wie können die eintreten in den Arbeitsmarkt, mit welchen Bedingungen können sie eintreten, gelten da generelle Mindestlöhne und so weiter und so fort. Also da gibt es sehr viele Fragen, die man genauer beleuchten muss, und wenn man dann sich in die Troika-Berichte vertieft, dann taucht dort immer Absenkung oder Aussetzung des Mindestlohns für Jugendliche und Ähnliches mehr auf, was dann sofort den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Deshalb sind dort Reformen vorzunehmen, die kein Geld kosten, aber trotzdem für mehr Arbeit und für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung sorgen.
    Kapern: Herr Barthle, Deutschland könnte ja geradezu als Paradebeispiel dafür gelten, dass Sigmar Gabriels Ideen klug und richtig sind, denn Deutschland hat sich vor zwölf Jahren ja auch erst einmal Luft beim Stabilitätspakt verschafft, um die gewonnene Zeit dann für die Agenda 2010 zu nutzen. Warum sollte Frankreich diesen Weg nicht auch versuchen?
    Barthle: Das sehe ich nicht ganz so. Dass Deutschland damals in den Jahren 2003/4 zweimal, dreimal hintereinander den Stabilitätspakt gebrochen hat, das war mit ein Auslöser für die Vertrauenskrise in den Euro.
    Kapern: Aber die SPD sagt, dass das eine Voraussetzung dafür war, die Agenda 2010 überhaupt erst entwickeln und durchsetzen zu können.
    Barthle: Na, das sieht die SPD so, das sehen wir etwas anders und das ist sicherlich nicht die mehrheitliche Auffassung in der Koalition. Wir sehen das durchaus so, dass das zwar hilfreich war in der damaligen Situation, was die Agenda 2010 anbelangt. Das war okay. Aber das Brechen des Stabilitätspakts war eine der Voraussetzungen für die krisenhafte Entwicklung, die wir bekommen haben. Würden wir heute den Stabilitätspakt aufweichen, den man ja eigentlich mit dem Fiskalvertrag noch verschärft hat, dann wäre das das völlig falsche Signal in alle anderen europäischen Länder hinein und weit über Europa hinaus.
    Kapern: Nun regiert ja in Berlin eine Große Koalition, Herr Barthle, und die Äußerungen Gabriels sind demzufolge nicht nur die Meinung des SPD-Chefs, sondern auch die des Wirtschaftsministers. Stellt sich also die Frage: Was ist denn jetzt die Linie der Bundesregierung in dieser Sache?
    Barthle: Nun, ich denke, auf europäischer Ebene, da gibt zunächst mal Angela Merkel den Ton an. In allen Fiskalfragen ist Wolfgang Schäuble der zuständige Ansprechpartner. Wenn es darüber hinausgeht, dann ist Herr Steinmeier der zuständige Ansprechpartner in der Regierung.
    Kapern: Und Herr Gabriel hat in dieser Sache nichts zu sagen?
    Barthle: Der ist der Wirtschaftsminister, gar keine Frage, als Teil der Regierung. wenn ich das aber richtig verfolgt habe, hat er einen Teil seiner Äußerungen schon wieder relativiert, zum Beispiel über seine Sprecherin entsprechende Relativierungen vornehmen lassen. Ich glaube, Gabriel ist durchaus bewusst, dass diese Auffassung, die auch Herr Roth vor wenigen Wochen vertreten hat, öffentlich nicht Mehrheitsmeinung in der Regierung ist.
    Kapern: Und was, wenn Sie Mehrheitsmeinung in Europa ist?
    Barthle: Auch das glaube ich nicht, weil wichtige Länder in Europa durchaus sehen, dass man mit einem Aufweichen des Stabilitätspakts nicht vorankommt. Es ist unbenommen, darüber nachzudenken, was der Stabilitätspakt ja auch vorsieht, einzelne präventive Maßnahmen durchaus anders zu bewerten. Das ist möglich innerhalb der Flexibilitätsregeln. Aber ein generelles Aufweichen des Stabilitätspakts wäre ein völlig falsches Signal, würde gerade den Länder, die immer noch zu zögerlich sind mit Reformen - und dazu gehört Frankreich, dazu gehört natürlich auch Griechenland, dazu gehört ein Stück weit auch Italien -, würde genau den Ländern in die Karten spielen und jeglichen Elan verhindern, weitere Reformen voranzutreiben, wie wir sie bereits hinter uns haben.
    Kapern: Der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.