Dienstag, 19. März 2024

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EU-Türkei-Gespräche
"Wer Mitglied werden will, muss unsere Hausordnung beachten"

Der Zustand des Staates Türkei passe mit der EU nicht zusammen, sagte der CSU-Europapolitiker Markus Ferber im Dlf. Mindestprinzipien von rechtsstaatlichen Verfahren würden nicht geachtet. "Nicht die EU bietet schlechte Randbedingungen an, sondern die Türkei verschlechtert die Randbedingungen."

Markus Ferber im Gespräch mit Sarah Zerback | 25.07.2017
    Der CSU-Politiker Markus Ferber
    Die Grundvoraussetzung für EU-Beitrittsgespräche sei, dass die Türkei sich selbst als demokratischer Rechtsstaat definiere, so CSU-Politiker Markus Ferber. (dpa / picture-alliance / Daniel Kamann)
    Sarah Zerback: EU-Mitglied Türkei, darüber verhandeln Brüssel und Ankara seit vielen Jahren. Kein anderer Staat außerhalb der Europäischen Union hat so viel Geld von dieser bekommen, damit das gelingt. Und doch ist eine Mitgliedschaft in den vergangenen Jahren immer unwahrscheinlicher geworden, denn in zentralen Werten wie Presse- und Meinungsfreiheit, Unabhängigkeit von Justiz und Menschenrechten hat sich die Türkei in den Augen vieler zunehmend von der EU entfernt. Keine einfache Ausgangslage für die heutigen Gespräche in Brüssel. Dort treffen die türkischen EU- und Außenminister auf die EU-Außenbeauftragte und den Erweiterungskommissar.
    Türkei-Gespräche der EU: Vermittlung oder politischer Druck? 
    Vera Wolfskämpf über die Ausgangslage heute in Brüssel. Und einen Vorgeschmack darauf, was die Türkei heute dort erreichen will, gab es bereits vergangene Woche. Das Ziel sei die Vollmitgliedschaft, und das sei alternativlos. So hat es der türkische EU-Minister Ömer Çelik formuliert, und das können wir jetzt mal weitergeben an einen Brüsseler Politiker, Markus Ferber, den Vorsitzenden der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Ferber!
    Markus Ferber: Einen schönen guten Morgen!
    Zerback: Die EU-Mitgliedschaft der Türkei also als klares Ziel, immer noch - hätten Sie das gedacht?
    Ferber: Es hat mich sehr überrascht diese Aussage, und ich kann nur feststellen, die Entwicklung in der Türkei, insbesondere seit dem 15. Juli letzten Jahres, seit dem gescheiterten Militärputsch, ist er nicht auf die EU hin gerichtet, sondern von der EU weg. Wer Mitglied der Europäischen Union werden will, muss die Mindestkriterien erfüllen, und das heißt, demokratischer Rechtsstaat, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Rechte der Frau müssen gewahrt werden. All das stellen wir in der Türkei überhaupt nicht fest. Ganz im Gegenteil, die Situation wird von Woche zu Woche schlechter.
    "Türkei sollte kein Gegner werden, auch im eigenen Interesse"
    Zerback: Diese Vorzeichen jetzt mal angenommen, ist die Türkei also Partner oder Gegner?
    Ferber: Das ist ein schwieriges Verhältnis. Sie ist Nachbar, sie ist ein strategisch wichtiger Partner, sie ist NATO-Mitglied, sie ist also auch in außenpolitischen Fragen ein wichtiger Partner für uns. Sie sollte kein Gegner werden, auch in ihrem eigenen Interesse nicht, insbesondere im wirtschaftlichen Interesse. Und deswegen sind wir schon überrascht über die vielen, vielen negativen Zeichen, die aus Ankara Richtung Europa gesandt werden. Nicht die EU bietet schlechte Randbedingungen an, sondern die Türkei verschlechtert die Randbedingungen.
    Zerback: Gleichzeitig muss man sagen, die EU hält der Türkei jetzt schon seit vielen, vielen Jahren immer wieder das Ziel vor Augen, immer wieder wird es aber in letzter Minute gekippt - also die EU-Mitgliedschaft als Köder benutzt. Kann man da nicht auch mehr Ehrlichkeit vonseiten der EU erwarten?
    Ferber: Da rennen Sie bei mir offene Türen ein, weil ich von Anfang an die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei kritisiert habe. Auch wir als CSU haben das immer schon gesagt, dass wir gute nachbarschaftliche Beziehungen haben wollen, aber eine Vollmitgliedschaft uns nicht vorstellen können. Und die Entwicklung gibt uns ja recht.
    Und wenn wir anschauen, was wir zurzeit mit Polen für Probleme haben, was wir permanent mit Ungarn für Probleme haben, dann kann man ja nicht sagen: "Jetzt warten wir mal, bis die in der EU sind, dann werden sie schon ein Rechtsstaat werden." Das ist blauäugig und naiv, und deswegen müssen die Randbedingungen stimmen. Wenn die Randbedingungen nicht stimmen, dann können wir über viele Dinge nicht reden. Sie haben es ja im Beitrag angesprochen.
    Die Türken hätten gern Visumsfreiheit. Das haben wir als Parlament jetzt auch mit ausgesetzt. Die Türken hätten gern eine Vertiefung der Zollunion. Auch darüber verhandeln wir zurzeit nicht. Und was die Mittel aus dem EU-Haushalt betrifft, will ich auch klar sagen, dass von den 4,5 Milliarden zugesagten Mitteln nur rund 200 Millionen überhaupt geflossen sind. Und seit dem 15. Juli letzten Jahres, seit dem gescheiterten Militärputsch, fast gar kein Geld mehr fließt.
    Vertiefung der Zollunion könnte Hebel sein
    Zerback: Aber Herr Ferber, lassen Sie mich da noch mal einsteigen. Die Zollunion wischen Sie jetzt so weg - da könnte man doch sagen, man hebt eben weitere Zollbeschränkungen auf, gegen Einhaltung von Menschenrechten. Wäre das nicht ein Hebel, der funktionieren könnte?
    Ferber: Das ist ein Hebel, der funktionieren kann. Die Türkei ist hochgradig interessiert, bei der Zollunion zu weiteren Vertiefungen zu kommen. Und ich freue mich sehr, dass jetzt auch die Kommission, Herr Hahn als zuständiger Kommissar, diese Verknüpfung ins Spiel gebracht hat. Und ich kann nur hoffen, dass Herr Gabriel das, was er in Deutschland sagt, auch in Brüssel vertritt.
    Zerback: Jetzt hat die Türkei ja gestern gesagt und wiederholt auch in der vergangenen Woche: "Es ist alternativlos, dass wir Vollmitglied bleiben." Das ist doch eine Grundsatzentscheidung, die da getroffen wurde. Was will die EU noch mehr?
    Ferber: Es muss Reden und Handeln zusammenpassen. Allein die Fälle der beiden Deutschen, die jetzt in türkischen Gefängnissen sitzen, zeigen ja, dass Mindestprinzipien von rechtsstaatlichen Verfahren nicht geachtet werden. Die Verhaftungswellen, die in der Türkei stattfinden, die Entlassungswellen, die in der Türkei stattfinden, das sind doch keine Symbole und Signale der Zu-Entwicklung auf die Europäische Union. Zu sagen: "Ich will jetzt Mitglied werden", kommt mir vor wie ein trotziges kleines Kind, das im Sandkasten das Förmchen vom Nachbarn haben will.
    Zerback: Ja, da pocht die Türkei jetzt auf ihre Souveränität und sagt, da wollen wir jetzt erst mal ein geordnetes Rechtsstaatsverfahren. Was ist daran falsch?
    Ferber: Zunächst mal muss die Türkei nach innen ein rechtsstaatliches System etablieren. Wir hatten gestern, das ist ja sehr zynisch, zum Jahrestag der Pressefreiheit in der Türkei den Beginn des Prozesses gegen die Zeitung "Cum Hürriyet". Auch das ist ja nicht unbedingt ein Symbol der rechtsstaatlichen Garantien, die gegeben werden, ganz im Gegenteil. Hier finden massive Eingriffe in die Pressefreiheit statt. Ich weiß nicht, wie Sie von einem Politiker erwarten können, wenn hier alles, was Grundprinzipien der Demokratie, des Rechtsstaatsprinzips betrifft, mit Füßen getreten wird, dass man da noch dankbar sein soll: "Oh, sie wollen ja Mitglied der Europäischen Union werden." Nein. Wer Mitglied werden will, muss unsere Hausordnung beachten.
    Zerback: Aber muss man da nicht differenzieren? Weil nicht die Türkei bewegt sich immer weiter weg von der EU, sondern die türkische Regierung. Ist das nicht ein Pauschalurteil, dass da alle Türken, die ein Interesse an der EU haben, mit in Sippenhaft nimmt?
    Ferber: Mitglied der Europäischen Union werden ja nicht die einzelnen Bürgerinnen und Bürger, sondern die Staaten. Deswegen müssen wir uns den Zustand des Staates anschauen. Und der Zustand des Staates Türkei passt mit EU nicht zusammen.
    "Ich glaube nicht, dass wir hinterherlaufen müssen"
    Zerback: Und jetzt aber zu riskieren, Ankara da vor den Kopf zu stoßen, indem man sagt: "Nein, also die Mitgliedschaft, die könnt ihr euch ein für alle Mal abschminken" - wäre das klug, den Partner komplett zu verlieren?
    Ferber: Noch mal: Die Entscheidung liegt ja in Ankara, und Ankara hat die Entscheidung getroffen, sich von unseren Werten zu verabschieden. Ich glaube nicht, dass wir hinterherlaufen müssen und unsere eigenen Prinzipien herunterschrauben sollen. Wir werden heute in der Kommission die Diskussion haben, wie mit Polen umzugehen ist. Ich kann doch nicht auf der einen Seite sagen, die Justizreform in Polen ist nicht im Geiste der EU, aber das, was in der Türkei stattfindet, ist im Geiste der EU. Diesen Widerspruch müssen Sie mir auch dann erklären.
    Zerback: Vielleicht können Sie mir noch mal erklären, wie es sein kann, dass die Türkei sich bisher ja auch immer sicher sein konnte, die EU kommt nicht zusammen und greift nicht zum Äußersten. Da ist das Maximum ja, dass man sagt: "Okay, die Beitrittsgespräche weiten wir nicht aus, aber abgebrochen wurden sie auch nicht." Wird da heute also wieder nur gemahnt und gewarnt?
    Ferber: Heute geht es ja nicht um die Beitrittsgespräche, sondern um die grundsätzlichen Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Wir haben in den letzten Jahren faktisch keine Beitrittsverhandlungen mehr gehabt. Schon vor dem Militärputsch hat nichts mehr stattgefunden, und das lag nicht an der Europäischen Union, sondern das lag an der Türkei. Insofern liegt das Heft des Handelns in Ankara und nicht in Brüssel, und Ankara hat sich anders entschieden. Deswegen kann ich nur appellieren, dass das, was das Europäische Parlament im Juli mit ganz großer Mehrheit gefordert hat, nämlich eine Aussetzung der Beitrittsverhandlungen, dass das jetzt auch von den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird.
    Zerback: Jetzt wüsste ich noch mal ganz kurz zum Schluss gern, Herr Ferber, was wäre denn ein ganz konkreter Schritt, den die Türkei gehen kann, damit es da wieder vorwärtsgeht, damit man sich annähert? Ist es die Freilassung der inhaftierten Deutschen? Was ist es, was erwarten Sie?
    Ferber: Zunächst mal muss man ja feststellen, dass die Verfassungsreform, die die Türkei vorgenommen hat, sich von Europa wegbewegt. Wir hatten ein umfangreiches Programm zu Anpassung der alten Verfassung hin zu demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen …
    Zerback: Aber Entschuldigung, das war ja ein demokratisches Referendum. Da haben 51 Prozent der Türken für gestimmt.
    Ferber: Aber das Ergebnis ist nicht das, was wir in Europa von einem Rechtsstaat erwarten, und deswegen war schon immer unsere Anforderung, schon bei der alten Verfassung, dass eine Reihe von Dingen korrigiert werden muss. Die Grundvoraussetzung ist, dass die Türkei sich selbst als demokratischen Rechtsstaat definiert und nicht hin zu einem Kalifat entwickelt. Und das ist genau das, was Herr Erdogan zurzeit betreibt.
    Zerback: Das sind die Einschätzungen von Markus Ferber, CSU-Politiker und EVP-Politiker im Europaparlament. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen!
    Ferber: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.