Dienstag, 19. März 2024

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EU-Verteidigungspolitik nach der US-Wahl
"Wir werden mehr Geld für unsere Sicherheit ausgeben müssen"

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fordert angesichts des Machtwechsels in den USA eine stärkere europäische Zusammenarbeit. Europa werde mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen und deswegen zusammenstehen müssen, sagte er im DLF. Das koste allerdings auch Geld.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.11.2016
    Roderich Kiesewetter (CDU)
    Roderich Kiesewetter (CDU) (dpa / picture-alliance / Stephanie Pilick)
    Martin Zagatta: Was nun Obamas Abgang für die deutsche und die europäische Außen- und Verteidigungspolitik bedeutet, darüber habe ich kurz vor der Sendung mit dem CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter gesprochen, der auch Obmann für Außenpolitik der Unions-Fraktion ist. - Guten Tag, Herr Kiesewetter!
    Roderich Kiesewetter: Ich grüße Sie, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Kiesewetter, Obama hat ja jetzt in Berlin die Bündnistreue der USA in der NATO beschworen und das Festhalten an gemeinsamen Werten. Glauben Sie daran, dass unter dem künftigen Präsidenten Trump alles halb so wild wird?
    Kiesewetter: Nein, ich glaube, auch wenn es Clinton geworden wäre, dass mehr Forderungen auf Europa zukommen, mehr Lastenteilung. Und insgesamt auch in dieser schwierigen Phase mit Brexit, dem Austritt Großbritanniens, brauchen wir mehr europäische Gemeinsamkeiten. Und ich denke, dass es mit Trump deshalb schwieriger wird, weil wir ihn noch nicht einschätzen können.
    "Eine europäische Verteidigungsunion aufbauen"
    Zagatta: Aber vom Aufbau einer europäischen Armee, von einer EU-Verteidigungspolitik reden wir ja schon jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang. Glauben Sie da ernsthaft dran?
    Kiesewetter: Fortschritte in der europäischen Verteidigungspolitik gab es immer dann, wenn die Lage schwierig war, wenn der Druck von außen zugenommen hat. Ich selbst glaube nicht an eine europäische Armee, weil die Staaten nicht bereit sind, Souveränität zu übertragen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine europäische Verteidigungsunion aufbauen können und hierfür ausreichend bereits gesetzliche Grundlagen haben. Beispiel: die ständige strukturierte Zusammenarbeit, wo mindestens zwei Länder ganz eng zusammengehen können. Musterbeispiel auf NATO-Ebene ist die Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Deutschland. Und ich glaube, dass es eine ganze Reihe verschiedener guter Zusammenarbeitsmöglichkeiten gibt. In der ständigen strukturierten Zusammenarbeit, beispielsweise über die Einsatzgruppen, die sogenannten EU Battle Groups. Hier gibt es, glaube ich, da bin ich sehr zuversichtlich, eine ganze Menge. Denn Kernbotschaft muss sein: Es darf keine unterschiedlichen Zonen unterschiedlicher Sicherheit in Europa geben.
    "Es darf keine Denkverbote geben"
    Zagatta: Wie weit soll diese Zusammenarbeit gehen, diese Union, von der Sie sprechen? Sie werden ja von der Nachrichtenagentur Reuters jetzt zitiert, man müsse nun sogar eine atomare Abschreckung, eine europäische atomare Abschreckung organisieren. Wie soll das denn gehen?
    Kiesewetter: Das steht ja noch nicht zur Debatte, sondern es darf hier keine Denkverbote geben. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika, so wie Trump es angedeutet hat, die Europäer mehr für ihre Sicherheit bezahlen lassen wollen, oder sich gar aus Europa zurückziehen, darf es keine Denkverbote geben und wir müssen sehr stark dann auf Frankreich und Großbritannien zugehen. Wir brauchen keine zusätzlichen Nuklearmächte in Europa. Wie dann ein Schutz Europas aussehen kann, wie gesagt, es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben, aber das steht noch nicht zur Debatte, aber es darf auch keine Denkverbote geben.
    Zagatta: Wenn Sie darüber nachdenken, glauben Sie denn ernsthaft, dass Paris oder London, dass die dieser EU von 27 oft zerstrittenen Staaten die Entscheidung über ihre Atomwaffen überlassen würden? Oder wie muss man sich das vorstellen?
    Kiesewetter: Darum geht es ja noch gar nicht.
    Zagatta: Sondern?
    Kiesewetter: Es geht erst mal vielmehr darum, dass wir Großbritanniens Fähigkeiten, eine sehr starke Marine, einen Sitz im Weltsicherheitsrat, für die europäische Sicherheit erhalten. Dabei ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, dass wir ein Drittstaatenabkommen mit Großbritannien ausarbeiten. Denn jetzt kommt es darauf an, dass die Europäer zusammenrücken und ihre Sicherheit besser organisieren und dazu Partner einbinden, und dazu wird künftig Großbritannien gehören. Und dass man dann mit diesen Drittstaaten - so nennen wir die ja - ein Abkommen hat, wo wir auf deren Fähigkeiten zurückgreifen können. Da geht es erst mal um eine konventionelle Verteidigung im klassischen Sinne, um Rückversicherung, um Vertrauensbildung, und deshalb brauchen wir so eng Großbritannien weiterhin in der europäischen Sicherheit.
    "Unser großes Pfund ist der Zusammenhalt der Europäischen Union"
    Zagatta: Aber ist denn das realistisch? Sie setzen jetzt bei der Verteidigungspolitik auf die Briten. Auf der anderen Seite hören wir aus Deutschland und von der EU ganz harsche Töne, die Briten müssten auf alle Fälle aus dem Binnenmarkt ausgeschlossen werden nach dem Brexit. Glauben Sie, dass die Briten dann da mitmachen? Wirtschaftlich werden sie abgestraft und in der Verteidigungspolitik sorgen sie mit für unseren Schutz. Das ist doch aberwitzig!
    Kiesewetter: Ich schätze solche Stimmen nicht, sondern jetzt kommt es ganz arg darauf an, dass die Europäer zusammenhalten. Unser großes Pfund ist der Zusammenhalt der Europäischen Union. Das haben wir gezeigt in den Sanktionen gegenüber Russland, in der einstimmigen Haltung in Sachen Ostukraine und Krimbesetzung und das dürfen wir uns auch nicht nehmen lassen. Deshalb ist die Frage der inneren und äußeren Sicherheit, der Grenzschutz ganz entscheidend. Das betrifft dann nicht nur Militär, sondern auch die Polizei. Die innere Sicherheit, dass wir Terror bekämpfen, dass die Bevölkerung in Ruhe schlafen kann, und auch die Energieversorgungssicherheit. Das sind die drei Schlüsselfragen: Grenzschutz, innere Sicherheit, Terrorbekämpfung und Energieversorgungssicherheit. Da brauchen wir Großbritannien. Und da geht es auch nicht darum, Großbritannien abzustrafen, sondern so gut zu verhandeln, dass Großbritannien einsieht, dass es alleine nicht in der Lage ist, seine Sicherheit zu gewährleisten. Denn auch die Rolle Großbritanniens ist ja für sich eine sehr schwierige. Und Großbritannien wird erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen haben, Arbeitsplätze werden abwandern. Und deshalb müssen wir gerade mit Großbritannien behutsam ein gutes Abkommen aushandeln, denn wir sind auch auf die Fähigkeiten Großbritanniens in einer EU ohne England angewiesen.
    "Brauchen ein Wirtschaftsabkommen mit Großbritannien"
    Zagatta: Deswegen frage ich ja gerade. In der Verteidigungspolitik, das klingt ja plausibel für die meisten, was Sie da jetzt sagen. Aber kann man dann sagen, die Briten, bitte, macht mit in der Verteidigungspolitik, aber wirtschaftlich wollen wir euch außen vor halten?
    Kiesewetter: Ich denke, dass auch wir ein Wirtschaftsabkommen mit Großbritannien brauchen, das ein Beispiel ist für die Zusammenarbeit mit der Türkei und insbesondere mit Tunesien, Marokko, Algerien. Alles Staaten, die sich unserem Kulturkreis zugehörig fühlen, alles Staaten, die instabil zu werden drohen. Und wir müssen mithelfen, dass diese Staaten stabil bleiben. Da kann ein gut ausgehandeltes Abkommen mit Großbritannien beispielhaft wirken, auch in die Krisenregionen im Maghreb, in die Türkei. Und wir müssen ja auch weiterhin auf Rechtsstaatlichkeit achten. Und deshalb ist es so wichtig, dass jetzt die Europäische Union mit einer Stimme spricht, seine Außenpolitik klar macht, damit wir auch die Entwicklungen, die in der Türkei auf uns zukommen, besser abfedern können.
    Zagatta: Aber seit wann spricht denn Europa oder die EU da mit einer Stimme? Sie sprechen da von einer gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik. Stichwort Libyen oder Irak, das hat doch nie funktioniert.
    Kiesewetter: Nun, es funktioniert ja gerade. Es beginnt ja auch gerade. Und das Treffen, das Angela Merkel ja einst bei der Hannover-Messe 2015 angeregt hat, die sechs Kernstaaten, so heute das Treffen mit den USA, geht ja zurück, dass die Europäer in G7 und G20 eine große Rolle spielen. Und dieser Ansatz heute, mit Obama zusammenzusitzen, zeigt ja, wie wichtig es ist, wenn Europa entschlossen handelt. Und dass ja auch Italien dabei ist und Frankreich, dass wenn Europa gemeinsam vorangeht, auch die kleineren Partner wie die Benelux-Staaten, die neueren Partner wie die Staaten Polen, Slowakei und so weiter, dass die wissen, jawohl, aus Brüssel heraus wird mehr gemeinsam gehandelt und die großen Staaten kümmern sich und legen auch ihre Fähigkeiten zusammen. Wir werden vor Umbrüchen stehen, die nächsten zwei Jahre werden hoch spannend, und wir wollen ja nicht, dass sie dramatisch werden, und deshalb ist dieses Treffen heute in Berlin so wichtig.
    "Es wird teurer werden"
    Zagatta: Mit Obama lässt sich ja so was wahrscheinlich leicht besprechen. Da wird man leicht auf einen Nenner kommen. Wie ist das mit Trump? Da deutet doch jetzt schon einiges darauf hin, dass es zu einer Achse Washington-London kommen könnte. Solche Töne hört man auch aus London. Und die EU würde doch dann eher außen vor bleiben. Ist das nicht das viel realistischere Szenario?
    Kiesewetter: Da würde ich jetzt nicht spekulieren. Ich glaube, dass die Amerikaner sehr stark auf die EU angewiesen sind, und Obama hat ja auch sehr deutlich herausgehoben, was die wesentlichen Fähigkeiten der EU sind. Das ist ja Lastenteilung und es ist auch ein Partner, der auf derselben Wertebasis steht. Und wenn die Amerikaner mit Großbritannien eng zusammenarbeiten, kann es ja nur hilfreich sein. Aber ganz entscheidend ist, dass wir Zugang zur neuen amerikanischen Administration bekommen, zur US-Regierung, und dass auch Trump deutlich gemacht wird, eine Isolation, ein isoliertes Amerika ist nicht sicher für sich selbst und hilft auch der Weltpolitik nicht. USA und Europa sind mehr aufeinander angewiesen als in der Vergangenheit.
    Zagatta: Und dieses Zugehen auf Trump, das würde absehbar teuer werden für Deutschland?
    Kiesewetter: Es wird teurer werden und auch die Bundeswehr wird ja zehn Milliarden Euro mehr bis 2019 erhalten. Der Gesamtinvestitionsbedarf für unsere Streitkräfte liegt bei 130 Milliarden Euro. Wir werden mehr Geld für unsere Sicherheit ausgeben müssen, für die äußere wie auch für die innere.
    Zagatta: … sagt Roderich Kiesewetter, der CDU-Außenpolitiker. Herr Kiesewetter, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Kiesewetter: Vielen Dank, Herr Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.