Dienstag, 19. März 2024

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EU-weites Gewährleistungsrecht
"Länder müssen über Fristen hinausgehen können"

Der Vorschlag der EU-Kommission, die Gewährleistung inklusive der Beweislastumkehr auf 24 Monate zu vereinheitlichen, geht dem Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, nicht weit genug. Es sei zwar ein Fortschritt, so Müller im DLF, allerdings müsse es Ländern auch erlaubt sein, über diese Fristen hinauszugehen. In Schweden, Norwegen, England und Frankreich sei dies bereits der Fall.

Klaus Müller im Gespräch mit Stefan Römermann | 28.09.2016
    Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen
    Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (dpa / picture alliance / Daniel Naupold)
    Stefan Römermann: Wenn das Handy sich plötzlich nicht mehr anschalten lässt, oder der Staubsauger kurz nach dem Kauf den Geist aufgibt, dann ist der nächste Schritt meist klar. Man sucht die Rechnung oder den Kassenzettel, denn schließlich gibt es auf die allermeisten Artikel in Deutschland eine gesetzliche Gewährleistung von zwei Jahren. Sprich: Der Händler muss in dieser Zeit das Gerät kostenlos reparieren oder austauschen. Die Regeln dazu sollen jetzt EU-weit vereinheitlicht werden. Vor der Sendung habe ich darüber mit Klaus Müller gesprochen, dem Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, und ihn habe ich gefragt, wann er denn eigentlich selbst zuletzt auf das Gewährleistungsrecht gepocht hat.
    Klaus Müller: Ach das ist gar nicht so lange her, weil auch bei uns in der Familie natürlich mal Dinge nicht so funktionieren, wie das Werbeversprechen das kundgetan hat, und ich glaube, der letzte Fall war tatsächlich ein DVD-Rekorder, den die Tochter in Betrieb genommen hatte. Es war ein Geschenk zu Weihnachten, glaube ich. Und das war nach drei Monaten nicht so von der Bildqualität, wie das in der Werbung klang. - Und das hat aber auch tadellos geklappt.
    Römermann: Gewährleistungsrechte haben da wunderbar funktioniert. - Ist mit den Gewährleistungsrechten dann eigentlich alles in Ordnung, oder muss da nachgebessert werden?
    Müller: Nein, das ist nicht alles in Ordnung. Und wenn man mit ein bisschen offenen Augen durch die Märkte geht, dann wird man ja auch von jeder Menge Lockangebote versorgt, nämlich einfach doch die Gewährleistung zu verlängern. Dafür muss man natürlich dann immer etwas draufzahlen. Das heißt, technisch sind viele Geräte so ausgelegt, dass sie natürlich auch länger als zwei Jahre halten, und insofern ist unsere Forderung, gerade für langlebige, aber auch hochwertige Gebrauchsgüter eine deutlich längere Gewährleistung einzuführen. Das wäre noch mal ein Anstoß für eine bessere Produktqualität.
    "Wir haben nur für sechs Monate eine Beweislastumkehr"
    Römermann: Was schwebt Ihnen da vor?
    Müller: Wir sehen, dass in einer Reihe von EU-Ländern wir zum Beispiel in Schweden drei, in Norwegen fünf, in England sogar sechs Jahre haben, und das ist, glaube ich, eine sehr, sehr gute Messlatte.
    Römermann: Die EU will das Ganze jetzt EU-weit, europaweit harmonisieren. Das klingt doch erst mal ganz gut. Was haben Sie dagegen?
    Müller: Nein, das ist auch erst mal ganz gut, weil man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist das bekannte zweijährige Gewährleistungsrecht, was wir haben. In diesen zwei Jahren können Sie mit Ihrem Produkt zum Händler zurückgehen. Aber - und das ist wichtig - wir haben nur für sechs Monate eine Beweislastumkehr.
    Römermann: Was ist das?
    Müller: Das heißt, nur in den ersten sechs Monaten können Sie sagen, ich weise hier einen Mangel nach, und dann müsste der Händler daraufhin beweisen, dass es durch einen selber, durch den Käufer, durch den Verbraucher entstanden ist, was in der Regel nicht geschieht. Das heißt, die ersten sechs Monate sind Sie auf einer sehr sicheren Seite. Die weiteren anderthalb Jahre, sage ich mal, so lala. Da kommen dann solche Sachen wie Kulanz und ähnliche Sachen ins Spiel.
    Der gute Vorschlag der EU-Kommission ist jetzt, beide Fristen zu vereinheitlichen, nämlich auf 24 Monate. Das heißt, in den ganzen 24 Monaten würde eine Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers gelten. Das ist der Fortschritt, das ist die positive Seite der Medaille.
    "Eine ganze Reihe von Ländern haben längere Fristen bereits eingeführt"
    Römermann: Industrie und Handel finden das alles offenbar nicht ganz so schön. Sie fürchten höhere Kosten, die natürlich durch die längere Gewährleistungsfrist entstehen könnten. Was sagen Sie dazu? Das klingt doch erst mal schlüssig.
    Müller: Nein, das finden wir nämlich nicht, und wir wollten es genau wissen. Und das Schöne ist natürlich: Über Prognosen kann man laut und kräftig und mächtig streiten, weil keiner so genau weiß, was kommen würde. Das ist jetzt aber bei dieser Frage anders, weil wir natürlich jetzt im Rückblick sehen können, dass wie gesagt eine Reihe von europäischen Ländern nicht die zwei Jahre und sechs Monate genommen haben, sondern wie gesagt Schweden, Norwegen, England, jetzt auch Frankreich, eine ganze Reihe von Ländern längere Fristen bereits eingeführt haben. Darum haben wir ein wissenschaftliches Institut, einen Professor beauftragt, mal im Rückblick zu sagen: Wenn die These der Industrie stimmt und tatsächlich längere unterschiedliche Gewährleistungsfristen teurer wären, dann hätten wir das ja im Rückblick auch sehen müssen. Dann müssten ja Produkte zum Beispiel in England mit den sechs Jahren Gewährleistungszeit deutlich teurer sein als zum Beispiel in Deutschland oder anderen Ländern. Dieses können wir im Rückblick nicht feststellen. Das heißt, die Behauptung hat sich in der Vergangenheit schlicht nicht bewahrheitet, und daraus können wir ableiten: Liebe Leute, macht nicht so ein Bohei, ihr könnt euch anstrengen mit der Qualität eurer Produkte, ihr kriegt das auch hin und teurer muss das nicht werden.
    "Europa muss zum Nutzen der Menschen da sein"
    Römermann: Was wünschen Sie sich für eine Regelung? Wie sollte die dann zukünftig aussehen?
    Müller: Ich finde schon, dass wir eine Mindestharmonisierung in Europa haben sollten. Darum ist der Vorschlag der Kommission zu sagen, es gilt mindestens zwei Jahre Gewährleistung inklusive Beweislastumkehr, gut. Aber wir sollten es den Ländern erlauben, auch darüber hinauszugehen, und das ist der Punkt, der uns bei dem EU-Kommissionsvorschlag nicht gefällt, weil das würden sie nämlich verbieten. Das heißt, sie würden tatsächlich hingehen und das fortschrittliche Niveau in Frankreich, in England wieder zurückdrehen wollen auf nur zwei Jahre, und darüber haben wir mit Frau Jurowa, der zuständigen EU-Kommissarin, gestern lange geredet und haben argumentiert, warum das aus Sicht des Verbraucherschutzes ein Rückschritt wäre.
    Römermann: Und gab es irgendwelche Signale? Hat sie gesagt, wir machen es dann doch alles so, wie sich das die Verbraucherschützer wünschen?
    Müller: Das hätten wir natürlich immer gerne, aber sie war zumindest sehr, sehr nachdenklich, weil natürlich auch in Brüssel angekommen ist: Europa muss zum Fortschritt, zum Nutzen der Menschen da sein. Wir sind ja gerade in einer nicht ganz leichten Phase, was bringt uns eigentlich Europa, und insofern wären hier zwei Jahre Gewährleistung inklusive Beweislastumkehr plus die Möglichkeit zu sagen, Länder in Europa mit einer guten starken Tradition können hier drüber hinausgehen, das wäre ein starkes Signal. Da war sie nachdenklich. Sie sucht jetzt das Gespräch mit Kommissionspräsident Juncker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.