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EuGH-Urteil stärkt Verbraucher
Hersteller müssen für Materialien ihrer Produkte Rede und Antwort stehen

Viele Produkte dürfen sehr gefährliche, sogar krebserregende Substanzen enthalten. Darum hat der Europäische Gerichtshof jetzt den Informationsanspruch der Bürger ausgeweitet. Hersteller müssen über jede Komponenten ihrer Endprodukte Auskunft geben. Ein Dilemma für die Firmen, die globale Zulieferer haben.

Von Ralph Ahrens | 09.10.2015
    Blick von der Rückbank auf den Fahrer eines Autos, der ein Mobiltelefon in der rechten Hand hat.
    Wenn ein Handybesitzer Auskunft über gefährliche Substanzen seines Telefons wissen will, muss der Hersteller Auskunft geben. (dpa - Sami Halinen)
    Seit Herbst 2008 gibt es in der EU ein Auskunftsrecht für hochgefährliche Chemikalien. Jeder, der ein Spielzeug, ein Smartphone oder ein Auto kaufen will, kann erfahren, ob solch ein Produkt mehr als 0,1 Prozent – also mehr als ein Promille – an manchen krebserregenden oder sich in der Umwelt anreichernden Stoffen enthält. Und er kann sich dann natürlich auch gegen den Kauf entscheiden. Manuel Fernandez vom BUND
    "Das Auskunftsrecht für Verbraucher ist sehr wichtig, denn nur dadurch kann man den notwendigen Druck aufbauen kann, damit Unternehmen hochgefährliche Stoffe entweder ganz rausnehmen oder nach unbedenklichen Alternativen suchen.
    Recht der Verbraucher gestärkt
    Dieses Auskunftsrecht gilt für das Gesamtprodukt und auch für dessen Bestandteile. Das hat der Europäische Gerichtshof kürzlich klargestellt.
    "Das EuGH-Urteil ist sehr erfreulich. Denn damit haben die Richter das Recht der Verbraucher auf Information gestärkt."
    Das hält BUND-Mann Fernandez für sinnvoll. So darf der Plastikgriff eines Fahrradlenkers mehr als ein Promille eines fortpflanzungsgefährdenden Weichmachers enthalten. Jetzt muss jedoch der Fahrradverkäufer auf Nachfrage über diese Schadstoffe informieren. Für viele Unternehmen aber, die Produkte mit vielen Komponenten herstellen, sei das Urteil ein Schock, erklärt Sebastian Müller, Schadstofffachmann am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart.
    "Jedes Unternehmen muss für jede Komponente in seinem Endprodukt Auskunft geben können. Und dies ist wahrlich schwierig umzusetzen."
    So enthalten Autos zigtausend Einzelteile wie Bremsbeläge, Sitze, Ventile und eine Vielzahl elektrischer Elemente wie Drucksensoren. Diese Komponenten stellen Firmen aus aller Welt her. In anderen Weltregionen gelten aber andere Gesetze. Firmen außerhalb der EU mussten bisher nicht darüber aufklären, ob ihr Produkt mehr als ein Promille von manchen sehr bedenklichen Stoffen enthält. Das wiederum kann für Hersteller in der EU und Importeure in die EU zu einem ein Dilemma führen. Sebastian Müller: "dass selbst, wenn sie Informationen anfragen, entweder gar nicht Informationen von dem Lieferanten bekommen über diese Stoffe, weil's der Lieferant nicht weiß, oder zum anderen, dass die Informationen, die gegeben werden vom Lieferanten, häufig nicht reliabel, also nicht vertrauenswürdig sind."
    BUND erfreut - Unternehmen geschockt
    Dieses Dilemma durch die globalen Lieferketten lässt sich kaum schnell und einfach lösen. EuroCommerce, der EU-Interessenverband des Handels, fordert daher, der Wirtschaft Zeit zu geben, sich auf die neue Auskunftspflicht vorzubereiten. Der Europäische Gerichtshof betont aber, Zitat "dass der Umstand, dass es für die Importeure schwierig sein kann, von ihren in Drittländern ansässigen Lieferanten die verlangten Informationen zu erhalten, an ihrer Unterrichtungspflicht nichts ändern kann"".
    Diese klare Position erfreut Manuel Fernandez vom BUND. Tests zeigten immer wieder, dass Komponenten sehr hoch mit sehr bedenklichen Chemikalien belastet sind.
    "Also, wir hatten zum Beispiel bei unserem Spielzeugtest neulich einen Plastikhammer aus einem Werkzeugset für Kinder. Und in einem Teil des Plastikhammers, im Griff, haben wir sehr hohe Schadstoffstoffgehalte gefunden. So, wenn mein Kind mit diesem Hammer hantiert und diesen Griff womöglich in den Mund nimmt, dann will ich wissen, was in dem Griff drin ist und nichts anderes."
    Doch auch für Unternehmen sei das detaillierte Auskunftsrecht wichtig. Ein Beispiel:
    "Wenn man Materialien wiederverwerten möchte, muss man natürlich auch wissen, in welchen Bestandteilen welche Schadstoffe drin sind. Sonst hat man plötzlich so was wie Küchenlöffel aus recyceltem Kunststoff mit giftigen Flammschutzmitteln."
    Manuel Fernandez fordert daher, das Auskunftsrecht auszubauen. Zurzeit werden Unternehmen und auf Anfrage Verbraucher nur über 163 hochgefährliche Schadstoffe in Produkten und Komponenten informiert - es gibt aber weit mehr als 1.000 davon. Und je transparenter der Einsatz von allen sehr bedenklichen Schadstoffen ist, desto eher können Firmen auch auf diesen Einsatz verzichten.