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"Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen"
Nationales Denken überwinden

In der Euro-Zone sind sich Nord und Süd selten einig. In ihrem Buch beschreiben die drei Finanzexperten Markus Brunnermeier, Harold James und Jean-Pierre Landau, warum das so ist. Das Haupthindernis sind für sie die unterschiedlichen Wirtschaftsphilosophien.

Von Caspar Dohmen | 16.04.2018
    Hintergrundbild: Eine 1-Euro-Münze lehnt am 04.11.2014 in München (Bayern) an gestapelten Münzen. Im Vordergrund: Buchcover.
    Im Wettstreit der Ideen komme es nicht darauf an, dass sich eine Wirtschaftsphilosophie durchsetzt - das ist die hoffnungsvollste Nachricht des Buches. (Hintergrund:picture alliance / dpa / Tobias Hase; Buchcover: C.H. Beck Verlag)
    Um den Euro ist es momentan ruhig, es gab zuletzt sogar eine gute Nachricht: Griechenland – das große Euro-Sorgenkind - konnte sich wieder Geld von privaten Investoren leihen. Aber was geschieht, wenn die nächste Krise kommt? Derzeit sichert die Europäische Zentralbank den Euro ab. Aber EZB-Präsident Mario Draghi hat immer deutlich gemacht, dass die Währungshüter den Politikern nur Zeit kaufen können. Notwendige Reformen müssen sie selbst erledigen. Wesentlich hängt es von Frankreich und Deutschland ab. Die beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone müssten währungspolitisch auf einen echten gemeinsamen Nenner kommen - eine Herkulesaufgabe. Denn beide Länder hingen unterschiedlichen Wirtschaftsphilosophien an: Frankreich - ist überspitzt gesagt - planerisch und keynesianisch orientiert, Deutschland ist dagegen wirtschaftsliberal. Dadurch seien Missverständnisse programmiert, so die Hauptthese des Buches: "Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen."
    "Folglich fehlinterpretiert die eine die Argumente der anderen Seite und unterstellt statt wohlmeinenden und konstruktiven Motiven egoistische und finstere Pläne. Die herkömmliche Strategie in europäischen Debatten bestand darin, diese Differenzen zu übertünchen und so zu tun als gebe es sie nicht."
    Schreiben der Ökonom Markus Brunnermeier und der Historiker Harold James sowie Jean-Pierre Landau. Brunnermeier und James lehren beide in Princeton, Landau - ehemals Vizepräsident der Bank von Frankreich - lehrt heute an der Hochschule Scienes Po in Paris. Pragmatiker treffen auf Prinzipienreiter, lautet der Grundkonflikt, den sie in ihrem Buch beschreiben. So konzentrierte sich Frankreich bei der Bewältigung der Finanzkrise entsprechend auf "die Lösung des unmittelbar anstehenden Problems" und wollte Banken "aggressiv" mit Steuergeld stützen. Deutschland, so die drei Autoren, beschäftigte sich hingegen vor allem mit den Ursachen der Krise und der Frage, wie diese künftig verhindert werden können:
    "Frankreich richtete sein Augenmerk hauptsächlich auf die Gegenwart, während sich Deutschland auf Vergangenheit und Zukunft konzentrierte."
    Unterschiedliche Ansichten beidseits des Rheins
    Wer verstehen will, warum sich beidseits des Rheins dermaßen unterschiedliche wirtschaftspolitische Handlungsmuster herausgebildet haben, dem hilft - nach Ansicht der Autoren - ein Blick auf den Staatsaufbau. Deutschland wird seit dem Heiligen Römischen Reich föderal regiert, Frankreich dagegen zentralistisch. Eine zentralistische Regierung könne auf Krisen flexibel reagieren, wenn notwendig sogar Regeln brechen, was ihre Wähler auch erwarten würden, argumentieren die Wissenschaftler. Eine solche Strategie sei dagegen für ein föderal verfasstes Land wie Deutschland gefährlich, weil dadurch leicht unkontrollierbare Interessenkonflikte aufbrechen könnten.
    "Bundesstaaten sind Mechanismen zur Bewahrung von Unterschieden bei gleichzeitiger Minimierung von Konflikten, während Zentralstaaten Konflikte unterdrücken, indem sie Differenzen durch Ausübung von Macht beseitigen."
    Erschwert wird die Verständigung beidseits des Rheins auch dadurch, dass beide Länder unterschiedliche ökonomische Paradigmen befolgen: Frankreich und Deutschland wechselten nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs ihr wirtschaftliches Paradigma. Die Franzosen, weil sie in dem wirtschaftsliberalen Kurs in den 1930er Jahren die Hauptursache für wirtschaftliche Stagnation und eine verhängnisvolle Kürzung der Verteidigungsausgaben sahen, welche Frankreich verwundbar machte, als Deutschland es angriff.
    "Folglich wandte sich Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg vom Laissez-faire-Liberalismus alten Stils ab und betonte, wie erstrebenswert systematische Planung sei, während die Deutschen dem Staat mit Argwohn begegneten, weil sie unter staatlicher Willkür gelitten hatten."
    Nationales Denken überwinden
    In Deutschland sah man Kartelle, Planwirtschaft und eine unverantwortliche Haushaltspolitik als wesentliche Mitursache der Katastrophe. Hier setzte sich nun eine ordoliberale Sicht der Dinge durch, also eine, bei welcher der Staat möglichst nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft vorgibt und nicht in das Marktgeschehen eingreift. Die drei Autoren aber verweisen darauf: Bei der Entstehung der Europäischen Union und der späteren Konstruktion der Gemeinschaftswährung spielten beide Ansätze eine Rolle. Während der Eurokrise dominierte dann jedoch immer mehr die deutsche Sichtweise. Frankreich sah sich in die Ecke gedrängt. Das europäische Projekt könnte nach Ansicht der drei Autoren nur wieder Fahrt aufnehmen, wenn alle Länder ihr nationales Denken überwinden. Um den gegenwärtigen Stillstands in Europa zu verstehen, verweisen die Autoren auf die Theorie des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Mancur Olson und seiner Logik des kollektiven Handelns.
    "Offensichtlich war die komplexe politische Konstruktion eines Mechanismus zur Integration und Koordinierung der Positionen von 28 nationalen Regierungen anfällig für eine Blockade durch Partikularinteressen. Das moderne Europa verfügt tatsächlich über keinen institutionalisierten Mechanismus, das allgemeine Interesse der Europäer zu artikulieren und politisch zu repräsentieren. Einige aktuelle Probleme, die Europa auseinanderdividieren, sollten grundsätzlich nicht so schwer zu lösen sein, wenn sie als Probleme Gesamteuropas angesehen werden."
    Gegenseitige Ergänzung wichtig
    Tatsächlich sind etwa die laufenden Haushaltsdefizite der Euroländer im Schnitt niedriger als in den USA, Japan oder Großbritannien. Gleiches gilt für die Gesamtverschuldung. Auch die Sicherung der Energieversorgung mag für einen Nationalstaat ein unüberwindbares Problem darstellen, während sie für alle gemeinsam machbar ist. Der "Euro" ist ein schwierig zu lesendes Buch, vor allem wegen der kleinteiligen Ausführungen zur Geldpolitik. Trotzdem ist es ein wichtiges Buch, weil es helfen könnte den Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich zu stärken, was wiederum die Grundvoraussetzung für ein Überleben der Währungsunion ist. Zum Schluss heißt es:
    "Die deutsche und die französische Sichtweise, wie wir die beiden gegensätzlichen Wirtschaftsphilosophien vereinfachend genannt haben, sind nur dann langfristig tragfähig, wenn sie sich gegenseitig ergänzen."
    Im Wettstreit der Ideen käme es also nicht darauf an, dass sich eine Wirtschaftsphilosophie durchsetzt - das ist die hoffnungsvollste Nachricht des Buches. Beide Denkrichtungen könnten sich befruchten und Europa vorwärts bringen. Bei der Stabilisierung des Euro könnte sowohl die den Franzosen wichtige Solidarität eine Rolle spielen als auch die den Deutschen wichtige Verhinderung von Fehlanreizen. Um dies umzusetzen, müssten sich beide Seiten allerdings wirklich auf die jeweils andere einlassen.
    Markus Brunnermeier, Harold James, Jean-Pierre Landau: "Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen",
    C.H. Beck, 525 Seiten, 29,95 Euro.