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Euro, Europa und die Rettung der FDP

Der Bundesparteitag der FDP sollte wieder einmal eine Art Neuanfang werden. Wäre da nicht der Mitgliederentscheid über den europäischen Stabilisierungsmechanismus, initiiert von Frank Schäffler. Am Ende wurde viel diskutiert - doch von Konsens kaum eine Spur.

Von Stefan Maas | 13.11.2011
    Der Mann, über den alle reden, hat nur einen kurzen Auftritt. Gerade einmal fünf Minuten darf Frank Schäffler reden, mehr Zeit gibt ihm die Parteitagsregie nicht. Und diese kurze Zeit kann er nicht optimal für sich nutzen, seiner Rede folgt nur mäßiger Applaus. Und doch ist er gestern immer präsent auf dem außerordentlichen Bundesparteitag der FDP in der Frankfurter Messehalle. Denn es geht um seinen Mitgliederentscheid. Den ersten in der Partei, den die Basis initiiert hat. Der, sollte er erfolgreich sein, für den kleinen Koalitionspartner weit reichende Folgen hätte. Vielleicht sogar das Ende von Schwarz-Gelb bedeuten könnte, sagen manche. Es geht um den Euro-Rettungsmechanismus ESM, mit dem zukünftig marode Staaten gerettet werden sollen – oder eben nicht, wenn es nach Frank Schäffler geht. Seiner Meinung nach kann der Euro nicht gerettet werden mit immer mehr Schulden und Garantien. Und deshalb gebe es nur einen Ausweg.

    "Diese Länder können nicht aus der Verschuldungskrise herauswachsen und deswegen ist es besser, man schaut der Wahrheit ins Gesicht und schuldet jetzt hart um. Und gleichzeitig schafft man eine Ausstiegsmöglichkeit aus dem Euro. Für die Länder, die im Euro nicht wettbewerbsfähig werden können."

    Deswegen soll die liberale Fraktion nicht zustimmen, wenn der Bundestag im kommenden Jahr über einen europäischen Rettungsmechanismus abstimmt, der die Summen, mit denen gerettet wird, immer weiter erhöhen würde. Was am Ende vielleicht sogar eine starke Volkswirtschaft wie Deutschland überfordern könnte. Das zumindest befürchten die Befürworter des Mitgliederentscheids – zu denen auch der ehemalige nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch gehört. Er sieht deshalb schon die von ihnen angezettelte Debatte als ersten Erfolg:

    "Wir haben durch den Mitgliederentscheid überhaupt erst eine Sachdebatte entfesselt. Es hat ja über Jahre und Europa, wie das aussehen soll, keine Sachdebatte gegeben."

    Entschieden wird dazu auf dem Parteitag nichts – die FDP-Mitglieder haben Anfang dieser Woche den Schäffler-Antrag und den Gegenentwurf des Parteivorstandes in ihrem Briefkasten gefunden. Noch bis zum 13. Dezember können sie abstimmen. Das Ergebnis soll spätestens am 17. Dezember bekannt gegeben werden. Und doch könnte dieses Wochenende von großer Bedeutung sein für die Meinung innerhalb der Partei. Deshalb hat die Parteispitze das Programm geändert - das Thema Bildung zur Randnotiz gemacht - und den ganzen Samstagnachmittag für die Aussprache reserviert. Auf der Liste: 84 Redebeiträge.

    "Ich halte den Mitgliederentscheid nicht für eine Abstimmung, die über eine Sachfrage geht, es geht in der Tat um eine Richtungsfrage für die FDP."

    Sagt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, der für den Antrag der Parteiführung wirbt. Die Wählerinnen und Wähler hätten der FDP bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme gegeben, …


    "… Weil sie erwarten, dass die FDP in der Regierung einen Gestaltungsanspruch hat. Und in einer richtigen Richtung Veränderungen voranbringt. Und diesen Gestaltungsanspruch sollten wir jetzt, wo wir vor den größten Problemen des Europas, des Euros stehen, vor einer Schicksalsfrage vor unser Land stehen, nicht einfach aufgeben."

    Genau das müsste die Bundestagsfraktion aber, sollte der Antrag der Parteispitze scheitern. Dann müsste sie Nein sagen zum künftigen Rettungsmechanismus – und konsequenterweise die Regierung verlassen. Das werde nicht geschehen, heißt es aus der Parteispitze. Es werde einen deutlichen Sieg gegen Schäffler und seine Unterstützer geben, wird immer wieder versichert. Auf dem Parteitag ist eine breite Mehrheit der Delegierten für den Antrag der Parteiführung. Und doch, der Vorstand ist nervös. Die Schwelle von fünf Prozent der Mitgliederunterschriften für seinen Entscheid hatte Schäffler schnell übersprungen. Wie die mehr als 64.000 Mitglieder abstimmen werden, ist schwer zu sagen. Deshalb touren Befürworter und Gegner quer durchs Land – rund 160 Veranstaltungen sind organisiert bis Anfang Dezember, auf denen beide Seiten zu Wort kommen dürfen. Schäffler ist sich sicher, die Parteimitglieder denken anders als die Funktionäre - wie die Menschen, denen er bei seinen Auftritten begegnet.

    "Deshalb glaube ich auch, werden wir am Ende mit Zwei-Dritteln zu einem Drittel gewinnen, weil auf den Veranstaltungen, da ist es eher 80-20 oder 70-30 für uns."

    Um für seine Idee zu werben, tourt er durch das ganze Land - nicht nur zu FDP-Veranstaltungen. Ein Termin Ende Oktober führt ihn zu Mittelständlern aus Berlin und Brandenburg. Frank Schäffler ist an diesem Abend zu spät. Am kommenden Tag soll der Bundestag über die Erweiterung des Eurorettungsschirms EFSF abstimmen und die Vervielfältigung seiner finanziellen Schlagkraft auf eine Billion Euro. Die Hebelung. Die Regierungsfraktionen versuchen deshalb noch einmal, ihre Mitglieder einzuschwören. Schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit geht es darum, die Mehrheit zu sichern. Dieses Mal, damit die Kanzlerin mit dem Ja des Bundestages zum Krisentreffen nach Brüssel reisen kann – zum zweiten Mal innerhalb von vier Tagen. Immer wieder telefoniert der Moderator mit Schäfflers Büro, ob die Fraktionssitzung schon beendet ist. Immer wenn er auflegt, sagt er, die FDP habe ihre Klientel, den Mittelstand vernachlässigt. Die großen Banken: Das sei nicht die Klientel der Partei. Jetzt sei die Zeit für klare Worte. Die Zeit für Frank Schäffler. Und er enttäuscht sie nicht, seine Zuhörer in Potsdam.

    "Man muss Griechenland sagen, wir helfen euch, aber die Voraussetzung ist, dass ihr freiwillig aus der Eurozone ausscheidet."

    Als Frank Schäffler 20 Minuten nach Beginn der Veranstaltung eintrifft, erzählt er von der Krise. Es ist eine Geschichte mit vielen Schuldigem und mehr als einem Sündenfall. Viel Hoffnung macht diese Geschichte nicht.

    "Und die dritte Säule war, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haften oder für diese Schulden eintreten sollte. Und Letzteres ist am 7. Mai, und spätestens am 21. Mail letzten Jahres im Deutschen Bundestag, aber davor schon von den Staats- und Regierungschefs vereinbart, gebrochen worden. Gebrochen worden im Wege eines kollektiven Rechtsbruchs."

    Schäffler trägt einen braunen Anzug und ein helles Hemd mit dunkler Krawatte. Er steht etwas steif am Rednerpult, genau neben dem Poster einer lange vergangenen Ausstellung: "Endzeit Europa" steht darauf. Die Zuhörer sind konzentriert, manche machen sich Notizen. Schäffler erzählt von den Sorgen der Menschen, von ihrem Ersparten, das nun in Gefahr sei. Manche schauen ratlos, manche nicken. Sie bekommen an diesem Abend bestätigt, was sie schon lange ahnten.

    "Die die immer retten, die werden am Ende den Euro zerstören."

    Warum er denn dann am nächsten Tag über die Ausweitung des Rettungsschirms abstimme, will einer wissen. Weil er Teil der Fraktion sei, antwortet Schäffler. Aber er werde mit Nein stimmen. Viele im Saal nicken zustimmend. Eine euroskeptische Basis, die im Dezember gegen den ESM und damit gegen die eigene Führung stimmt, das wäre der Gau für die angeschlagene FDP. Denn die Partei steckte dann in einem klassischen Dilemma: Einerseits wäre es eine Chance für die Partei: Sie könnte den ESM ablehnen. Und damit vielen Bürgern eine Stimme geben, die der Euro-Rettung mehr und mehr kritisch gegenüberstehen. Das wäre gut für die Umfragewerte. Andererseits wäre die Parteispitze demontiert. Und eine neue Personaldiskussion ist das Letzte, was die FDP jetzt gebrauchen kann. Auch wenn Philipp Rösler bereits nach sechs Monaten im Amt angeschlagen ist. Trotzdem - sagt Lasse Becker, der Vorsitzende der Jungliberalen Julis:

    "Ich halte es für absoluten Blödsinn, eine Personaldebatte in Endlosschleife zu führen. Uns war allen klar, dass Philipp Rösler manche Dinge umstellt, aber das manches auch seine Zeit braucht. Dass man nicht in diesem Herbst, ohne dass der Bundestag auch nur ein einziges Mal getagt hat, Dinge umgesetzt sind. Auf der anderen Seite sage ich auch klar: Philipp Rösler und die neue Führungsspitze muss jetzt Akzente setzen, muss sehen, dass wirklich real etwas umgesetzt wird."

    Dabei hatte Philipp Rösler, als er im Mai Guido Westerwelle als Vorsitzenden stürzte, angekündigt, die erfolglose Zeit sei vorbei, nun werde die Partei endlich liefern. Die Partei dümpelt in Umfragen aber noch immer unterhalb der fünf Prozent-Hürde, die politischen Erfolge sind weiterhin dürftig – im Moment ist nicht einmal sicher, ob die Reformen, die die schwarz-gelbe Koalition am vergangenen Wochenende beschlossen hat, auch umgesetzt werden. Weil die Anhebung des Grundfreibetrags, die vor allem Geringverdiener entlasten soll, die Länder rund zwei Milliarden Euro kosten wird, haben die SPD-geführten Länder bereits angekündigt, die Reformen im Bundesrat mit ihrer Mehrheit scheitern zu lassen. Der Kompromiss zur Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte könnte wegen juristischer Mängel scheitern. Das CSU-Betreuungsgeld findet in Frankfurt keine Gnade.

    Gegen diese Stimmung wollte Philipp Rösler auf diesem Parteitag anreden – eine flammende Rede mit Überraschungseffekten hatte er angekündigt. Doch was der Vorsitzende an diesem Wochenende in Frankfurt von sich gibt ist nicht flammend, sondern leise. Überraschungseffekte: keine. Es ist – eine Rösler-Rede, frei vorgetragen, nachdenklich. Je wichtiger die Botschaft, umso genauer und leiser wird die Stimme:

    "Die letzten sechs Monate waren nicht nur schwer, sie waren auch für mich persönlich ganz schön hart ... und dann dachte ich mir so, wie muss das Ihnen eigentlich gehen?"

    Rösler streichelt die Parteiseele, erinnert flüsternd an liberale Erfolge in der Bundesregierung, lobt die FDP als wahre Hüterin der sozialen Marktwirtschaft - nicht ohne gleichzeitig eine Bankenregulierung zu fordern – und erklärt, es sei falsch, anzunehmen:

    "Nur weil wir über Europa streitig diskutieren, wären wir gegen Europa. Alle, die hier sitzen, alle, die Mitglied der Freien Demokratischen Partei sind, sind ausdrücklich pro-europäisch, da werden wir nie einen Zweifel dran lassen."

    Nun sei es an der Zeit, sich wieder aufzurichten und nach vorne zu schauen.

    "Schluss mit der Trauer, Schluss mit den Tränen, es ist Zeit, die Taschentücher wegzustecken."

    Und so erheben sich die Delegierten nach 50 Minuten, am Ende der Rede, applaudieren vier Minuten lang ihrem Vorsitzenden – höflich – denn sie wissen, die Medien stoppen die Zeit. Vom Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle gibt's einen kurzen Handschlag, Hans-Dietrich Genscher schüttelt lange Röslers Hand – ein gutes Bild. Und doch: Wahre Begeisterung sieht anders aus. Und hört sich auch anders an: Den versprochenen Weg aus der Krise der Partei habe er mit dieser Rede nicht aufgezeigt, sagen einige Delegierte. Rösler habe aber auch einen schwierigen Spagat leisten müssen, sagt der Vorsitzende der FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki:

    "Naja, der hat eine Vielzahl von Aufgaben zu erledigen. Fast übermenschlich. Der soll die Partei motivieren, er soll erklären, warum wir uns seit Monaten im Umfragetief befinden, soll liberale Positionen dokumentieren, Zukunftsvisionen erarbeiten, die eigenen Parteifreunde motivieren. Und für die Presse auch noch dokumentieren. Dass er der wahre Führer der FDP ist. Für mich hat er seine Aufgabe ordentlich erledigt."

    Mehr als ordentlich erledigt ein anderer seine Aufgabe:
    Röslers Vorgänger im Amt des Parteivorsitzenden, Guido Westerwelle, geht mit den ESM-Gegnern hart ins Gericht:

    "Und deswegen wehre ich mich dagegen, dass offen oder versteckt, wir der Renationalisierung das Wort reden. Ob wir es wollen oder nicht, das wäre das Ergebnis, wenn wir heute Europa aufgeben oder den Euro aufgeben würden, liebe Freundinnen und Freunde."

    Manche verdrehen die Augen als Westerwelle aufdreht, doch auf vielen Gesichtern im Saal ist ein breites Lächeln zu erkennen. Er hat sich noch nicht abgeschrieben – auch wenn er auf dem Podium den äußersten Platz zugewiesen bekommen hat. So weit wie möglich weg vom neuen Parteichef. Sechs Monaten nachdem sich der Außenminister von der jungen neuen Parteispitze gedrängt, zurückziehen musste, läuft er in Frankfurt zur Höchstform auf. Es gibt Zwischenapplaus, es wird zustimmend gepfiffen. Waren sie viele damals leid, den Guido-Ton, die oft gehörten Phrasen, packt er sie erneut, die Partei – und wo Rösler hauptsächlich den Kopf angesprochen hat, erreicht Westerwelle den Bauch. An seinem Platz - ganz außen - stehend genießt er den langen Applaus, viele erheben sich, der Landesverband Schleswig-Holstein geschlossen. Dort soll Westerwelle, der als Parteichef noch zu Anfang dieses Jahres von wahlkämpfenden Landespolitikern als Klotz am Bein bezeichnet wurde, im Wahlkampf Hilfestellung leisten. Eingeladen ausgerechnet von Wolfgang Kubicki. Der Fraktionschef im Landtag hatte den Vorsitzenden Westerwelle vor einem Jahr noch frontal angegriffen und für den schlechten Zustand der Partei verantwortlich gemacht. Nun soll Westerwelle für die FDP die Hallen füllen. Das ist auch nötig, denn auf Schleswig-Holstein ruhen die Hoffnungen der Liberalen.

    "Philipp Rösler hat mal zu mir gesagt: Ihr Schicksal ist mein Schicksal, und das stimmt. Nur: Es geht ja nicht um persönliche Schicksale. Wenn es uns in Schleswig-Holstein mit einer Ausgangslage von 14,9 Prozent und einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung nicht gelingt, ein gutes Ergebnis einzufahren, dann wird es im Bund keinem mehr gelingen, dann hat die FDP keine Perspektive mehr."

    Doch dafür muss die Partei auch Ergebnisse liefern, endlich Stellung beziehen, sich deutlich vom Koalitionspartner Union abheben. Einer, der daran arbeitet, ist der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rainer Brüderle. Der für den neuen Parteivorsitzenden Philipp Rösler den Posten des Wirtschaftsministers räumen musste.

    "Jeder hat das Recht, sich so stark zu sozialdemokratisieren, wie er will. Manchmal habe ich das Gefühl, bei der CDU gibt's einige, die machen so 'Occupy SPD-Politik'. Lass sie machen. Es gibt uns, es gibt einen klaren Kurs. Es gibt Verfechter der sozialen Marktwirtschaft. Und das ist die freidemokratische Partei."

    Wo Parteichef Rösler leise wirbt oder sich in strenger Rhetorik versucht, hat Brüderle einfache Botschaften. Er selbst ist der beste Vertreter, der von ihm selbst geforderten Abteilung Attacke:

    "Wir bleiben bei unseren Positionen. Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn kann es mit einer freidemokratischen Partei nicht geben. Dazu stehen wir in aller Klarheit."

    Als Vorsitzender hält Brüderle die Bundestagsfraktion zusammen und geordnet - er weiß um die Macht, die ihm dieses Amt verleiht. Es ist mehr Macht, als er als Wirtschaftsminister hatte – und er weiß sie zu zeigen. Stört sich an keinerlei Zeitbegrenzung und Ermahnung. Brüderle steht in der Partei für die alten Werte der FDP, wenn es um wesentliche Punkte geht: Mehr Netto vom Brutto, viel Markt und wenig Staat – es fällt ihm aber auch nicht schwer, auf Nebenschauplätzen dem Zeitgeist ein wenig entgegenzugehen:

    "Man darf nicht Dinge irgendwo propagieren zu verkaufen, die man nicht hat. Es muss an Börsen, es muss überschaubar sein, transparent sein. Deutschland ist ein Standort für beste Produktion, nicht für Spekulation. Das ist der deutsche Weg. Schattenbanken müssen den gleichen Regeln unterworfen werden wie Banken, wenn sie Bankgeschäfte betreiben."

    Programmatische Inhalte – das Programm von morgen. Darum hätte es auf diesem Parteitag eigentlich gehen sollen, wäre nicht der Mitgliederentscheid dazwischen gekommen. Dann hätte Generalsekretär Christian Lindner Zwischenergebnisse seiner Arbeit am neuen Grundsatzprogramm präsentiert. Um daran zu arbeiten, hatte die Parteispitze ihre Mitglieder Ende September zu sechs Grundsatzwerkstätten eingeladen.

    "Ihre Wünsche, Ihre Themen sollen heute im Fokus dieser Veranstaltung stehen. Ich bitte daher zunächst Christian Lindner um die Einführung. Noch eine Chance für die Liberalen."

    Die Zeiten seien stürmisch, viele seien unzufrieden mit der Arbeit des kleinen Koalitionspartners.

    "Glaubwürdigkeit, Geschlossenheit, Kompetenz, das sind die drei Erfolgsfaktoren, die wir uns wieder erarbeiten müssen."

    Dabei müsse auch für die Zukunft der Markenkern der liberalen Partei erhalten bleiben, mahnt der 32-Jährige:

    "Wenn ein Hof übergeben wird, und es gibt zwei Söhne, dann gibt es ganz oft einen Test, den der alte Bauer mit seinen Söhnen macht. Die müssen nämlich eine Furche ziehen auf dem Acker. Und der eine zieht die Furche, indem er genau schaut auf die Erde und dann zieht er die Furche, und er kommt ab vom Weg und das wird krumm. Und der andere, der schaut nicht auf den Boden, sondern der fixiert am Horizont einen Punkt und geht darauf zu. Und dann ist auch die Furche, jeder Schritt gerade auf das Ziel orientiert. Und deshalb, gerade jetzt, wo die FDP von außen unter Druck gerät, ist es wichtig, dass wir uns einen Fixpunkt suchen, damit wir auch in der Tagespolitik wieder eine gerade Furche ziehen."

    Allerdings zeigt sich schnell, dass Lindner an diesem Abend der Einzige ist, der den Horizont im Blick hat, die anderen wollen lieber auf den Acker schauen. Nach den Steinen, die der Partei gerade überall im Weg liegen. Immerhin haben sich für diesen Freitagabend im September rund 400 Parteimitglieder angemeldet. So viele, dass die Veranstaltung kurzfristig verlegt werden musste. So viel Andrang bei einer FDP-Veranstaltung, das kennt man heute gar nicht mehr, frotzeln einige, bevor sie sich auf den Weg machen. Doch der Klärungsbedarf ist enorm hoch, viele Mitglieder sind verunsichert und wütend. Es ist eine Woche nach der Berlin-Wahl. Die FDP liegt im Bundestrend damals bei drei Prozent. Und noch eins wird schnell klar, als die Zuhörrunde eröffnet wird, und die Mikrofone von Parteimitglied zu Parteimitglied wandern. Es geht allen im Saal ums Grundsätzliche. Aber vielen nicht so sehr um die Grundsätze von morgen. Sie beschäftigt die Gegenwart – und hier ist die Gelegenheit, dass die Parteispitze mal zuhört:

    " Im Moment ist ja nach den Wahlergebnissen und Umfrageergebnissen das Existenzproblem, das ihr gar nicht mehr in die Landtage und den Bundestag reinkommt, das ist ja viel fundamentaler. Und deswegen, und das vermisse ich auch bei diesen ganzen Thesen, müsste vorrangig im Zentrum stehen, Analyse des Glaubwürdigkeitsproblems."

    " In dieser Partei findet das Thema Familienpolitik überhaupt nicht mehr statt."

    "Wir haben uns den Mittelstand auf die Fahnen geschrieben. Ich behaupte mal ich bin Mittelstand, nur, ich habe keine Ahnung, wie ich unsere Themen, wie ich unsere Thesen, meinen über 2000 Mitarbeitern erklären soll. Das kommt bei denen nicht an. Der Mittelstand sind die einen, die Mitarbeiter stehen direkt dahinter, und die wollen auch eine Antwort. Und die lässt die FPD leider vollkommen aus."

    Damit wird sich die Parteispitze beschäftigen müssen. Später, nach dem Mitgliederentscheid. Auf dem Parteitag in Frankfurt geht es erst einmal darum, Europa zu retten. Und die Parteispitze.