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Kampf gegen Wohnungsnot
Forderung nach Enteignungen schlägt politische Wellen

Angesichts steigender Mieten in deutschen Großstädten fordert eine Initiative die Enteignung großer Immobilienunternehmen. Die Debatte hat längst die Bundespolitik erreicht. Auch weil eine Umfrage zeigt: Die radikale Idee ist in Berlin mehrheitsfähig.

Von Manfred Götzke | 08.04.2019
Demonstration gegen steigende Mieten
Demonstration gegen steigende Mieten (dpa / Robert Michael)
"Deutsche Wohnen und Co. enteignen." Als Rouzbeh Taheri und seine Mitstreiter ihr Volksbegehren zur Enteignung großer profitorientierter Immobilienkonzerne vergangenes Jahr angemeldet haben, da wurden sie noch als revolutionäre Spinner verlacht. Ihr Credo:
"Wir brauchen gegenüber der Radikalität des Marktes eine radikale Lösung. Wir haben eine realistische Chance, wir haben die Debatte in der Stadt Richtung Interessen Mieterinnen und Mieter verschoben."
Radikale Idee mehrheitsfähig
Spätestens seit diesem Wochenende ist klar: Die radikale Idee ist bei den Berliner Bürgern mehrheitsfähig, mehr als 50 Prozent sprechen in Umfragen sich für die Initiative aus. Und schon zum Start des Volksbegehrens am Samstag bekamen die Aktivisten 15.000 der 20.000 Unterschriften zusammen, die für den ersten Schritt des Enteignungsvolksbegehrens nötig sind.
Inzwischen wird auch in der Bundespolitik diskutiert, ob Enteignungen gegen Entschädigung als ultima ratio in der Wohnungspolitik infrage kommen.
Grünen Chef Robert Habeck spricht sich eindeutig dafür aus.
"Ausdrücklich ist im Grundgesetz eine Sozialverpflichtung vorgesehen. Aber nirgendwo ist im Grundgesetz vorgesehen, dass man unbegrenzte Rendite machen kann. Sondern die muss begrenzt werden und diese Begrenzung muss durchgesetzt werden. Wenn sie nicht anders durchzusetzen ist, muss man darüber nachdenken, ob man nicht auch enteignet."
Es wäre absurd, wenn das Mittel der Enteignung nur angewendet würde, um neue Autobahmen zu bauen, aber nicht um gegen grassierende Wohnungsnot vorzugehen.
Auch Caren Ley, stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken hält Enteignungen für legitim: Das Volksbegehren und auch die bundesweiten Demonstrationen unter dem Motto "Mietenwahnsinn" am Samstag seien vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Wohnungspolitik der Bundesregierung.
"Es ist eine Demonstration die sich vor allem gegen die Tatenlosigkeit der Bundesregierung richtet, gegen die Tatsache, dass mit der sogenannten Mietpreisbremse wahrscheinlich das wirkungsloseste Gesetz in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen wurde. Das jahrelang tatenlos zugesehen wurde durch die Regierung. Dass die Gelder, die der Bund für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt, viel zu gering sind."
Lieber neu bauen
So Ley heute im ZDF. Wie umstritten das Mittel der Enteignungen ist, zeigt sich auch innerhalb der Parteien. Anders als Grünen-Chef Habeck, spricht sich sein Parteifreund Tarek Al-Wazir gegen eine Enteignung von Wohnungsgesellschaften aus. Bevor man etwa Entschädigungen in Milliardenhöhe zahle, sollten Kommunen und Länder lieber Wohnungen neu bauen, sagte der hessische Bauminister sagte heute Morgen im Deutschlandfunk. Die grassierende Wohnungsnot in Berlin habe die Berliner Landespolitik zu großen Stücken selbst zu verantworten.
"Rot-Rot 2004 hat diese Wohnungen verkauft, hat dafür 400 Millionen bekommen, die sind jetzt 7 Milliarden wert. Ich glaube, das an dieser Stelle – wenn man einen Fehler mal gemacht hat, ihn nicht dadurch heilt, dass man den nächsten Fehler macht. Wenn ich die Wahl hätte, sieben Milliarden auszugeben für eine Entschädigung der deutschen Wohnen oder mit sieben Milliarden Wohnungen zu bauen, dann würde ich mich immer für das zweite entscheiden."
Zudem seien die brachliegenden Flächen in Ballungsräumen das eigentliche Problem. Die Politik müsse die Besitzer motivieren, ihren Grund und Boden für den öffentlichen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.
Mieten deckeln
Ähnlich sieht es in der SPD aus. SPD-Chefin Nahles erteilte dem Volksbegehren gestern in der Bild-Zeitung eine Absage. Enteignungen dauerten Jahre und schafften keine einzige neue Wohnung. Nahles' Stellvertreter Ralf Stegner schließt sie als letztes Notwehrrecht des Staates nicht aus. Beide sprechen sich allerdings für einen Mietenstopp aus, der die Mieten in teuren Großstädten auf einen maximalen Quadratmeterpreis deckeln würde.
Doch auch eine für eine solche stärkere Regulierung von Immobilieneigentümern – von Kritikern Enteignung light genannt – gibt es im Bund derzeit keine Mehrheit. Die Unions-Bundestagsfraktion sprach sich bereits dagegen aus. Man müsse bauen, nicht enteignen, sagt Ulrich Lange. Der für Bauen zuständige stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion. Enteignungen seien das falsche Instrument, steigende Mieten aufzuhalten. Es müsse mehr Bauland bereitgestellt werden und mehr gebaut werden.
Der Baupolitiker schlägt eine "gezielte steuerliche Förderung für den Neubau von Mietwohnungen Geringverdiener vor". Hier fehle allerdings noch eine Einigung mit den Ländern.
Besonders scharfe Kritik an den Enteignungsplänen gab es von CSU-Chef Markus Söder: "Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun".
Die Debatte um den "Mietenwanhsinn" dreht sich also weiter – doch zeitnahe Lösungen sind nicht in Sicht.