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Euro-Rettung: Lammert besteht auf Einhaltung des Verfassungsrechts

Für den Euro-Rettungsfonds könne es keine Generalermächtigung des Parlaments geben, sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Aus Verfassungsgründen sei die Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei jeder neuen Hilfszusage unverzichtbar. Es gehe aktuell immerhin um rechtswirksame Verpflichtungen in Höhe des jährlichen Bundeshaushalts.

Norbert Lammert im Gespräch mit Bettina Klein | 26.08.2011
    Bettina Klein: Viele Abgeordnete sorgen sich offenbar inzwischen um die Mitbestimmungsrechte des Deutschen Bundestages mit Blick auf die Kompetenzen des Euro-Rettungsfonds. Die Stimmen derer mehren sich, die das ganze Verfahren einer stärkeren Kontrolle der nationalen Parlamente unterwerfen wollen, und einer, der sich in der jüngsten Zeit immer wieder auch öffentlich Gedanken gemacht hat darüber und auf der ausreichenden Mitsprache des Bundestages bestanden hat, das ist Bundestagspräsident Norbert Lammert, den ich jetzt am Telefon begrüße. Schönen guten Morgen!

    Norbert Lammert: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Lammert, wir haben jetzt einen Zeitplan, der vorsieht, dass das Kabinett am 31. August einen Beschluss fast zur Ausweitung der Befugnisse des Euro-Rettungsfonds. Gegen Ende September sollen dann Bundestag und auch der Bundesrat abstimmen. Diese eine Abstimmung reicht Ihnen nicht?

    Lammert: Nein, jedenfalls nicht, wenn damit die Vorstellung verbunden würde, dass mit der Zustimmung des Bundesrates zur Gründung eines solchen europäischen Stabilisierungsmechanismus die Mitwirkungsrechte des Parlaments erschöpft seien, oder eben umgekehrt, dass dies im Ergebnis eine Generalermächtigung des Parlamentes für den operativem Umgang mit einem Fonds sein könnte, für den Deutschland Verpflichtungen in einer dreistelligen Milliarden-Größenordnung übernimmt. Das sind etwa die Größenordnungen unseres jährlichen Bundeshaushalts.

    Klein: Das heißt, Sie würden darauf bestehen wollen, dass immer, wenn es um solche Zahlungen an Euro-Länder geht, jedes Mal der Deutsche Bundestag seine Zustimmung geben muss? Ist das richtig?

    Lammert: Nein, selbstverständlich nicht. Man muss da zwei Übertreibungen vermeiden, die offenkundig beide irgendwo auf der Hand liegen. Das eine ist die gerade von mir schon angesprochene Vorstellung, es könne so etwas wie eine Generalermächtigung geben, mit der einmaligen Zustimmung des Bundestages sei das ab sofort rein exekutives und damit Verwaltungshandeln. Und das andere ist die genauso unsinnige Vorstellung, der Bundestag könne und solle und wolle an jeder einzelnen operativen Maßnahme des Fonds-Managements eines solchen europäischen Stabilitätsfonds mitwirken.

    Also man wird hier einen sinnvollen Mittelweg finden müssen, auch ganz sicher finden können. Ich gehe davon aus, dass der Deutsche Bundestag - übrigens nicht aus Gründen und schon gar nicht alleine seines Selbstbewusstseins, sondern unserer Verfassungslage - an jeder neuen Hilfszusage für ein Land wird mitwirken müssen, dass, solange dann die in dem Zusammenhang einer solchen Hilfsmaßnahme vereinbarten Maßnahmen korrekt und regelmäßig durchgeführt werden, das Management die Umsetzung eines solchen Beschlusses diesem Fonds überlassen werden kann, dass aber die Mitwirkung des Bundestages für jede neue Hilfszusage unverzichtbar ist, und zwar vor dem Eingehen rechtswirksamer Verpflichtungen.

    Klein: Herr Lammert, Sie sagen, es kann durchaus so eine Art Mittelweg geben. Haben Sie inhaltlich eine Vorstellung davon, wie der aussehen könnte?

    Lammert: Diese Vorstellung habe ich ja gerade vorgetragen. Wie man die im Gesetzestext im einzelnen ausgestaltet, das wird genau die Aufgabe der Beratungen sein, die wir nach der Kabinettsbefassung mit dieser völkerrechtlichen Vereinbarung im September fest eingeplant haben.

    Klein: Eine Idee, die inzwischen ja auch schon diskutiert wird, ist, dass möglicherweise in bestimmten Fällen der Haushaltsausschuss stellvertretend entscheiden könne. Wäre das zum Beispiel in Ihrem Sinne?

    Lammert: Das kann Bestandteil dieses Verfahrens sein. Wir haben ja schon jetzt in den geltenden gesetzlichen Grundlagen eine solche Regelung, dass sich die Bundesregierung bei eigenen Mitwirkungen an der Zusage von Mitteln um die Zustimmung des Haushaltsausschusses bemühen muss. Diese Regelung ist zweifellos zu unverbindlich und ich bin auch fest davon überzeugt, dass, was die Grundsatzentscheidungen angeht, etwa neue Hilfszusagen, die Entscheidung vom Parlament im ganzen getroffen werden muss und nicht auf einzelne Gremien delegiert werden darf.

    Aber noch einmal: Es geht nicht darum, entweder für alles und jedes Parlamentsentscheidungen herbeizuführen, oder überhaupt keine, sondern einen sinnvollen, die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten des Bundestages wahrenden und gleichzeitig die Handlungsfähigkeit eines solchen Systems sichernden Mittelweg zu finden, und dabei könnte es durchaus eine Rolle spielen, dass für Grundsatzentscheidungen der Bundestag als Plenum und für nicht grundsätzliche, gleichwohl aber mehr als Routineentscheidungen die Mitwirkung des Haushaltsausschusses vorgesehen wird.

    Klein: Sie haben kürzlich auch gesagt, das Parlament müsse ausreichend Zeit haben, um sich eben in den Gremien und in diesem ganzen Prozess ausreichend Gedanken zu machen, das gründlich zu prüfen, darüber zu diskutieren. Wir haben jetzt, wenn es bei diesem Zeitplan bleibt, etwa einen Monat Zeit. Ist das genug aus Ihrer Sicht?

    Lammert: Ja man muss dabei, Frau Klein, natürlich bedenken: Wir beginnen die Diskussion über dieses Thema ja nicht Anfang September, sondern wir kennen die grundsätzlichen Absichten, die das Ergebnis der Verhandlungen unter den Regierungen der Euro-Staaten sind, seit Ende Juli, und seit dieser Zeit wissen wir zwar, was im Grundsatz wie neu geregelt werden soll, aber wir haben keine Texte.

    Das will ich jetzt gar nicht kritisieren, denn die Bundesregierung selber hat ja offenkundig auch erst seit wenigen Tagen den noch nicht abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertragsentwurf, der nun auf der Sitzung des Kabinetts in der nächsten Woche stehen soll. Es geht jetzt also darum, nicht mit einem völlig neuen Sachverhalt sich erstmals zu befassen, sondern einen bekannten Sachverhalt, eine seit Wochen bekannte Regelungsabsicht auf der Basis konkreter Texte nicht nur völkerrechtlich zu ratifizieren – das ist der eine Teil der Operation -, sondern gleichzeitig mit den ergänzenden gesetzlichen Regelungen zu versehen, die wir nach unserer Überzeugung für die notwendige parlamentarische Mitwirkung brauchen. Das ist in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren innerhalb von drei Sitzungswochen ganz sicher zu bewältigen.

    Klein: Denken Sie, dass Sie in Ihrem Bestreben, diesen von Ihnen beschriebenen Mittelweg zu finden, ausreichend Unterstützung haben im Deutschen Bundestag, in der Fraktion der CDU/CSU?

    Lammert: Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Alles was in den letzten Wochen und Monaten aus den verschiedenen Fraktionen des Bundestages zu hören war, unterscheidet sich allenfalls im Grat der für notwendig gehaltenen Mitwirkung, vielleicht auch im Eifer der Präzision von vorgeschlagenen Regelungen, aber überhaupt nicht in der Richtung der Interventionen, auch und gerade in den letzten Tagen.

    Und im Übrigen bin ich auch dem Finanzminister dankbar, dass er gerade in den letzten Tagen noch mal unmissverständlich klargestellt hat, dass die Bundesregierung keineswegs die Absicht habe, eine solche Mitwirkung zu vermeiden, sondern dass sie ihre Aufgabe in der Umsetzung der zwischen ihr und anderen europäischen Regierungen vereinbarten völkerrechtlichen Vertragstexte sieht und dem Bundestag selber überlassen will, seine für notwendig gehaltene Mitwirkung selber im Gesetzesverfahren zu gestalten.

    Klein: Herr Lammert, Sie sprachen die Verfassung an. Nun erwarten wir ja am 7. September ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ob bei den Beschlüssen zur Griechenland-Hilfe, zum Euro-Rettungsfonds die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben beziehungsweise gewahrt wurden, oder ob das Haushaltsrecht verletzt worden ist, wie die Kläger, also der CSU-Politiker Peter Gauweiler und einige andere, meinen. Muss man eventuell erst mal dieses Urteil abwarten, bevor man Genaueres über die Mitbestimmungsrechte des Parlaments in dieser Frage sagen kann?

    Lammert: Jedenfalls wird es kein Zufall sein, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung just auf diesen Termin festgelegt und angekündigt hat. Das lässt darauf schließen, dass es aus der Begründung des Urteils zur Griechenland-Hilfe Hinweise auf die aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts notwendigen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen eines europäischen Stabilitätsmechanismusses geben könnte, vielleicht auch geben wird. Deswegen sind alle Beteiligten sicher gut beraten, vor Festlegungen eigener möglicher Regelungsabsichten dieses Urteil abzuwarten und gegebenenfalls in die abschließenden Texte mit einzuarbeiten.

    Klein: Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Lammert: Keine Ursache! Vielen Dank. Schönen Tag, Frau Klein.


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