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Euro-Rettungspolitik
Was darf die EZB?

Am Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein lange erwartetes Urteil zur Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank. Die Karlsruher Richter müssen entscheiden, ob die EZB unbegrenzt Staatsanleihen im Eurowährungsgebiet ankaufen darf – oder ob ein solches Programm die Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt.

Von Michael Braun | 20.06.2016
    Das leuchtende Euro-Zeichen steht während der Nacht vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.
    Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (afp / Daniel Roland)
    "a, anti, anticapitalisme, a, anti, anticapitalisme ... "
    Die Europäische Zentralbank bekommt viel Kritik zu hören, von rechts wie von links. Die Antikapitalisten der Blockupy-Bewegung etwa mussten voriges Jahr mit Stacheldraht und Zäunen vom EZB-Gebäude in Frankfurt ferngehalten werden. Ihnen ist die Notenbank zu wenig solidarisch, etwa mit Griechenland.
    Und auf der rechten Seite etablierte sich vor drei Jahren die "Alternative für Deutschland", zu deren Gründungs-DNA es gehörte, gegen den Euro zu sein, gegen die Eurorettung und die EZB insgesamt. Bernd Lucke, der die Partei mittlerweile verlassen hat, lief sich damals als Vorsitzender warm:
    "Geben Sie uns Ihr Geld, bevor es in Griechenland versackt. Geben Sie uns Ihr Geld, bevor es die Inflation aufzehrt. Sie werden später sowieso nicht mehr viel Nutzen davon haben. Ganz im Ernst."
    Was darf die EZB und was nicht? Um diese Frage geht es am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter wollen ihr Urteil zur Rettungspolitik der Zentralbank verkünden. Es geht immer noch um den EZB-Beschluss aus dem Jahr 2012, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenländern zu kaufen, um den Euro zu verteidigen, "koste es, was es wolle", hatte EZB-Präsident Mario Draghi damals gesagt:
    "Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.”
    Es wird reichen, hatte Draghi beschwörend formuliert. Das Programm trägt den Namen "Outright Monetary Transactions", kurz OMT. Es geht um vollständige, endgültige und notfalls unbeschränkte Käufe von Staatsanleihen. Hat die Zentralbank damit ihre Machtmittel überzogen? Die Kompetenzen der EZB und deren Grenzen zu klären, das steht vordergründig auf der Tagesordnung in Karlsruhe.
    Das Programm wurde bislang von noch keinem Land in Anspruch genommen. Doch allein die Ankündigung hatte Wirkung gezeigt und Spekulationen gestoppt: gegen skeptische Märkte, die die Risiken in einzelnen Euroländern so hoch einschätzten, dass die Zinsen dort ins Unermessliche stiegen. Gegen das dann uneinheitliche Zinsniveau im einheitlichen Währungsraum. Die EZB wollte durchsetzen, dass ihre Zinspolitik überall wirkt. Und niemand auf den Untergang des Euro spekuliert. EZB-Präsident Draghi hatte die Geldpolitik im August 2012 begründet:
    "Der Zentralbankrat kann im Rahmen seines Mandates, für Preisstabilität zu sorgen, in völliger Unabhängigkeit entscheiden, Staatsanleihen aufzukaufen. Dies in einer Menge, die nötig ist, um das Ziel zu erreichen. Er kann auch andere außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um seine Geldpolitik überall wirken zu lassen."
    Die Gegner dieser Politik waren nicht weit. Sie saßen sogar im Zentralbankrat der EZB, etwa in der Person von Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der in dem Aufkauf von Staatsanleihen verbotene Staatsfinanzierung sieht, Hilfen für klamme Finanzminister.
    "Mit unserem Mandat nicht zu vereinbaren, wäre der Versuch, die Krise über die Notenpresse zu lösen. Das Einspannen der Geldpolitik für fiskalpolitische Zwecke würde die Unabhängigkeit des Eurosystems in Frage stellen und somit seine Glaubwürdigkeit gefährden. Die Glaubwürdigkeit ist jedoch das höchste Gut der Notenbanken und eine unabdingbare Voraussetzung für Preisstabilität."
    Diese und andere Argumente landeten schon bald in mehreren verbundenen Verfahren Tausender Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht, angeführt unter anderen vom damaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler:
    "Darf es wirklich sein, dass die EZB, deren Ausgaben zu über 27 Prozent vom deutschen Steuerzahler garantiert sind, ohne jeden Parlamentsbeschluss Ankäufe von Schrottpapieren tätigt und dafür unsere Staatskasse und den Staatshaushalt belastet, ohne, dass dies vom Parlament beschlossen wäre?"
    Das Luxemburger Urteil traf bei deutschen Juristen auf Kritik
    Die Situation ist juristisch heikel. Denn die Karlsruher Richter hatten 2013 schon mündlich verhandelt, aber nicht entschieden. Sie hatten als nationales Gericht die europarechtlich relevante Frage, wie weit die EZB gehen darf, Anfang 2014 dem EuGH vorgelegt, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dies begleitet von Bedenken, dass die EZB ihr geldpolitisches Mandat überschreite und in die Wirtschaftspolitik übergreife: also mit billigem Geld für niedrige Zinsen, für Luft in der Finanzpolitik, für eine günstige Unternehmensfinanzierung und steigendes Wachstum sorge. Das alles sei Wirtschaftspolitik, die demokratisch legitimiert sein müsse. Das sei nicht Geldpolitik einer parlamentarisch nicht kontrollierten, weil unabhängigen Zentralbank.
    Die Luxemburger Richter folgten vor einem Jahr diesen Bedenken nicht. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof sagte in seinem Schlussantrag vom 14. Januar 2015, das OMT-Programm sei zwar eine unkonventionelle währungspolitische Maßnahme. Sie sei aber grundsätzlich vom Mandat der EZB gedeckt. Das Luxemburger Urteil traf bei deutschen Juristen auf Kritik. Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, findet deutliche Worte:
    "Der EuGH hat immer sehr gemeinschaftsfreundlich zu Gunsten der europäischen Organe geurteilt, und dies mit einer Begründungstiefe, die nicht allzu intensiv ist."
    Ähnlich argumentiert Helmut Siekmann, Professor für Notenbankrecht an der Universität Frankfurt:
    "Die Begründung hat mich in einigen Punkten nicht überzeugt. Vor allen Dingen haben sie den Organen der EU einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt. Das halte ich in Fragen der Kompetenzverteilung für sehr problematisch, wenn ein Organ selber im Ergebnis darüber entscheiden kann, wie weit seine Kompetenzen reichen."
    Doch es bleibt die Lage, dass sich das deutsche Verfassungsgericht eine Leitlinie aus Luxemburg geholt hat, die es selbst nicht teilt. Und nun? Kommt es zu einem Verfassungskonflikt, wenn die Karlsruher Richter morgen anders entscheiden als die europäischen? Helmut Siekmann geht zwar davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dem Spruch des EuGH in engen Grenzen folgen wird. Er sagt aber auch:
    "Die Alternative wäre ein offener Konflikt. Und vor allen Dingen die deutschen Verfassungsorgane müssten möglicherweise dem Bundesverfassungsgericht folgen, obwohl das europäische Recht höherrangig ist, auch gegenüber deutschem Verfassungsrecht im Grundsatz."
    Nicht nur Juristen schauen nach Karlsruhe. Auch auf den Finanzmärkten wird das Verfahren beobachtet. Denn mit einem "Nein" würde das Verfassungsgericht die Macht der EZB einschränken. Es würde zumindest der Bundesbank untersagen, Beschlüsse der EZB umzusetzen. Dann müssten sich die Märkte darauf einstellen, einen großen potenziellen Käufer zu verlieren. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank:
    "Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einem derartig klaren Karlsruher 'Nein' kommen sollte, wäre das allerdings ein Rechtskonflikt innerhalb Europas zwischen der nationalen und der europäische Ebene, wie es ihn wohl noch nicht gegeben hat. Das würde für Unruhe an den Märkten sorgen."
    Zumal sich seit knapp zwei Wochen die Lage noch verschärft hat. Denn die Einkaufsmacht der EZB ist seit dem 8. Juni noch größer geworden auf dem Anleihemarkt. Sie kauft seitdem – auf Basis eines weiteren Programms neben dem OMT- nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmensanleihen. Ziel und Begründung dieses Engagements, nun auch bei Anleihen großer Unternehmen wie Telefonica, Siemens oder Generali zuzugreifen, hatte EZB-Präsident Mario Draghi Anfang März genannt:
    "Das wird weiter auf die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft durchschlagen und diese weiter verbessern."
    Mario Draghi bei der Pressekonferenz.
    EZB-Präsident Mario Draghi (dpa / Arne Dedert)
    Die EZB will also den Preis fürs Geld so weit drücken, dass die Banken quasi gezwungen sind, es als Kredit in die Wirtschaft zu leiten. Das hat zu skurrilen Überlegungen geführt: Erste Banken denken darüber nach, Geld in Tresoren zu horten, statt es zu negativen Zinsen auf ihr Konto bei der EZB einzuzahlen oder es als riskanten Kredit an Unternehmen zu geben. Banken wollen sich also dem geldpolitischen Druck entziehen. Zumal er nicht plausibel scheint. Große Unternehmen mit guter Bonität durch Kauf ihrer Anleihen, also ihrer Schulden, zu unterstützen, das traf am Finanzmarkt vor allem auf eins: auf Unverständnis.
    "Ich, ich, ich kann es nicht verstehen", sagt etwa Gertrud Traud, die Chefvolkswirtin der Helaba, der Landesbank Hessen-Thüringen:
    "Weil die Unternehmen können sich sehr günstig finanzieren. Also für mich ist es weder logisch aus deutscher noch aus europäischer Sicht. Ich verstehe es nicht."
    Und David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, reiste extra zu einem Pressegespräch aus London an, um die Verzerrungen anzuprangern, die mit diesem Kaufprogramm für Unternehmensanleihen der EZB einhergehen:
    "Das verzerrt die Kreditmärkte. Große Unternehmen mit guter Bonität kommen sehr viel leichter in den Genuss dieses Programms als kleine Unternehmen ohne Bonitätsurteil einer Ratingagentur. Ganz zu schweigen von einem Start-up. Aber gerade dort entstehen Arbeitsplätze und wirtschaftliche Dynamik. Ich würde das Wort "unfair" nicht benutzen. Aber es dreht die Märkte zugunsten der niedrigeren Risiken."
    Diese Marktverzerrungen sind es auch, die den Berliner Ökonomen und Wirtschaftsjuristen Markus C. Kerber beschäftigen. Zwar sei der EZB der Kauf von Unternehmensanleihen nicht ausdrücklich verboten:
    "Indessen unterliegt die Europäische Zentralbank dem allgemeinen Grundsatz, dem allgemeinen Postulat der europäischen Verträge, ein System unverfälschten Wettbewerbs auf allen Ebenen zu respektieren und zu erhalten, auch bei den Kapitalmärkten. Dazu gehören auch die Unternehmensanleihemärkte. Wenn eine Zentralbank oder eine Gruppe von Zentralbanken 70 Prozent der Anleihen bei der Erstimmission erwirbt, dann hat das mit Wettbewerb nichts mehr zu tun."
    "Die EZB überreizt definitiv"
    Unabhängig von der Klage über das Kaufprogramm namens OMT für Staatsanleihen wird sich das Bundesverfassungsgericht noch öfter mit dem Vorgehen der Europäischen Zentralbank beschäftigen müssen. Kerber hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Kaufprogramm für Unternehmensanleihen eingereicht. Das Gericht soll der Bundesbank untersagen, am Vollzug dieses Anleiheaufkaufprogramms teilzunehmen:
    "Ich wollte an der Stelle nicht zu lange warten, sondern ein Signal setzen, das deutlich macht: Die EZB überreizt definitiv. Und die Herren, die mir gefolgt sind in der Beschwerde, sind eben nicht nur Hochschullehrer, sondern mittelständische Unternehmer, die durch diese Beschwerde bekunden wollen, dass die EZB nicht mehr die Finanzstabilität sichert, sondern in ihren Befugnissen zu weit geht und den Wettbewerb auf dem Markt für Unternehmensfinanzierung verfälscht und den Wettbewerb auf dem Markt für Unternehmensanleihen nahezu abschafft."
    Der Frust über die Geld- und Zinspolitik der EZB hat vor einer Woche einen neuen Anlass erfahren: Die Rendite der deutschen Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit, ein Papier, mit dem der Finanzminister nahezu die Hälfte der deutschen Staatsschulden finanziert, rutschte erstmals auf die Nulllinie und dann darunter. Also in den negativen Bereich. Wer dem Staat selbst für diese lange Zeit Geld leiht - und das tun viele Versicherungen und Versorgungswerke - bekommt also keine Zinsen mehr, sondern muss noch draufzahlen. Die Versicherungsbranche jaulte sofort auf und sprach von "Stabilitätsrisiken".
    EZB-Präsident Draghi verteidigt den Niedrigzins, auch den negativen Zins, so etwa Anfang des Monats in Wien:
    "Der Niedrigzins ist ein Zeichen schwacher Wirtschaft. Es wird mehr gespart als investiert."
    Das mag sein. Dennoch wachsen auch innerhalb der Zentralbank die Zweifel, ob sie noch die richtige Medizin gegen die Wachstumsschwäche verabreicht. Die Chefvolkswirtin der Helaba, Gertrud Traud, hört von Bedenken in der EZB zumindest gegen ihren negativen Einlagenzins für Bankguthaben:
    "Also, ich glaube, die EZB hat erkannt, dass die negativen Zinsen ein Fehler waren, weil die Belastung für die Banken sehr hoch ist, die Belastung für die Unternehmen hoch ist, weil die Banken die negativen Zinsen für Unternehmen weitergeben. Und eigentlich möchte die EZB ja, dass die Banken wieder mehr Kredite vergeben. Das können sie aber nur, wenn sie auch 'ne solide Basis haben und nicht ihre Erträge weiter geschmälert werden. Und ich glaube, das hat die EZB mittlerweile erkannt."
    David Folkerts-Landau von der Deutschen Bank nennt die niedrigen Zinsen einen "Killer" für die Banken- und Versicherungsbranche. Droht ein neues Bankensterben? Eine neue Finanzkrise? Alles nicht auszuschließen. Felix Hufeld, Präsident der Bankenaufsicht Bafin, beschreibt die Folgen der Geldpolitik für die Banken:
    "Wie ein schleichendes Gift machen sie sich in den Bilanzen der gesamten Bankenbranche bemerkbar."
    Die Angst vor Instabilität in der Finanzindustrie verbindet und verstärkt sich mit anderen Unwägbarkeiten: Da ist in dieser Woche die Entscheidung der Briten, ob sie in der Europäischen Union bleiben wollen. Da sind die spanischen Wahlen am kommenden Sonntag. Ein Sieg der linkspopulistischen Partei Podemos, der wegen ihrer Kritik an der Spar- und Reformpolitik gute Chancen nachgesagt werden, könnte zur Destabilisierung Europas und des Euros beitragen. An den Märkten geht die Sorge um, die ganze EU könnte zerbröckeln - und die gemeinsame Währung vieler ihrer Mitglieder gleich mit, sagt Christian Apelt, Länderanalyst bei der Helaba:
    "Durch die Krisen der vergangenen Jahre hat sich der Zustand innerhalb der EU doch deutlich verschlechtert. Die Schuldenkrise etc., jetzt die Flüchtlingskrise, es gibt einige Streitigkeiten. Und da stellen sich schon die Fragen: Bleibt es beim britischen EU-Austritt oder folgen andere Länder, zum Beispiel die skandinavischen Länder. Also, da würden erhebliche Unsicherheiten herrschen. Und dann stellt sich natürlich auch die Frage: Was passiert mit der Währungsunion? Und dann hätte das natürlich auch gravierende Folgen an den Finanzmärkten."
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Deshalb die Flucht in scheinbar sichere deutsche Staatsanleihen. Deren Renditen sinken, sind schon überwiegend negativ. Dort, wo die Risiken wachsen, steigen sie. Das EZB-Ziel eines einheitlichen Währungs- und Zinsraumes scheint sich also zu verflüchtigen:
    "Die Rendite der zehnjährigen spanischen Anleihe ist in den letzten Tagen gegenüber der Bundesanleihe, der vergleichbaren, um 15 Basispunkte angestiegen. Man sieht schon eine Entwicklung. Im Moment ist es so, dass gerade für die schlechter gerateten Länder natürlich wieder neue Risiken entstehen, weil das Geld hier abgezogen wird", sagt Arthur Brunner, Anleihehändler bei der ICF Bank AG.
    In diese Unsicherheit hinein, in Negativzins und nicht auszuschließende Bank- und Versicherungspleiten, in all das Negative, das die EZB zu bekämpfen glaubt, kommt nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Verfassungsrichter könnten durchaus der Bundesbank untersagen, an der Umsetzung der EZB-Politik teilzunehmen, sagt der Frankfurter Notenbankrechtler Helmut Siekmann:
    "Denkbar ist das schon, und zwar unter der Annahme, dass sie es für eine Überschreitung der Kompetenzen der europäischen Organe und Einrichtungen halten, also eine Ultra-vires-Maßnahme, dann können sie in der Tat zu dem Ergebnis gelangen: Das ist mit deutschem Verfassungsrecht nicht vereinbar. Insofern sind die Kompetenzen, sind die Maßnahmen nicht auf die EU übertragen worden, da es sich um Maßnahmen der Wirtschaftspolitik handelt und nicht der Währungspolitik."
    Es werde aber nicht nur über die Macht der EZB entschieden, was sie dürfe und nicht dürfe, meint der Berliner Wirtschaftsjurist Markus C. Kerber:
    "Es geht auch letztlich um die Reichweite und die Autorität des Europäischen Gerichtshofes. Der Europäische Gerichtshof hat in dem Urteil, nun muss ich einmal deutlich werden, gesagt: Alles das, was die Europäische Zentralbank als Geldpolitik deklariert, ist Geldpolitik. Damit hängen die Befugnisse und die Reichweite der Befugnisse der Europäischen Zentralbank von ihrer Intentionalität, von ihrer Absichtserklärung ab. Danach kann man eine Zuständigkeitsüberschreitung nicht beurteilen. Es geht also sowohl am 21. 6. um die Reichweite der Macht der EZB. Aber es geht vor allen Dingen auch um die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht in der Lage ist, ausgreifende Rechtsakte, zum Beispiel der EZB, mit seinen Mitteln noch kontrollieren zu können."
    "Natürlich sind die Richter am Verfassungsgericht Teil der liberal-konservativen Elite"
    Die Praktiker im Markt, etwa der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, sehen diese Konflikte auch. Sie setzen aber darauf, dass die Karlsruher Richter einen für sie gesichtswahrenden und salomonischen Ausweg finden. Er traut ihnen zu, die eigene Skepsis und die Zustimmung des EuGH zur europäischen Geldpolitik zur Deckung bringen zu können:
    "Natürlich sind die Richter am Verfassungsgericht Teil der liberal-konservativen Elite unseres Landes, in der die Bedenken gegen die aktuelle EZB-Politik weit verbreitet sind. Es würde mich nicht wundern, wenn dies auch den Wortlaut der Karlsruher Entscheidung beeinflussen wird. Ich denke, es wird also eine Reihe von Einschränkungen geben, von Bedingungen geben, an die die deutschen Richter eine deutsche Beteiligung an einem solchen Programm der Europäischen Zentralbank knüpfen würden."
    Aber verbieten würden sie sie nicht.