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Vor 60 Jahren beendet
Der Pariser Nato-Gipfel zur atomaren Aufrüstung Europas

Im Rüstungswettlauf des Kalten Kriegs hatten die USA zunächst die Nase vorn. Doch bald schmolz der technologische Vorsprung dahin. Im Dezember 1957 sollte ein Nato-Gipfel das Bündnis an die neue Situation anpassen. Das Ende des Gipfels vor 60 Jahren wurde zum Auftakt einer der schärfsten Debatten in der Geschichte der Bundesrepublik.

Von Matthias Rumpf | 19.12.2017
    US-Präsident Dwight D. Eisenhower (r) begrüßt Bundeskanzler Konrad Adenauer (l) am 17.12.1957 zu einer Aussprache in Paris. Die Beratung befasst sich mit Themen der Nato-Konferenz, die vom 16. bis 19.12.1957 in Paris stattfindet. Deutschland ist seit dem 07.05.1955 Mitglied in der Nato. |
    US-Präsident Dwight D. Eisenhower (r) begrüßt Bundeskanzler Konrad Adenauer 17.12.1957 zu Beginn des Nato-Gipfels in Paris (UPI)
    Anspannung lag in der Luft, als US-Präsident Dwight Eisenhower am 16. Dezember 1957 auf der NATO-Gipfelkonferenz in Paris das Wort ergriff. Es war das erste Treffen der Nato-Mitglieder auf Ebene der Staats- und Regierungschefs seit Gründung der Organisation im Jahr 1949. Die Nato stand vor einem Umbruch, und mit dem Gipfeltreffen sollte Einigkeit demonstriert werden.
    In der Starre des "Sputnik-Schocks"
    "Auf dieser Gipfelkonferenz wird es in allen wesentlichen Punkten wie da ist politische Konsultation und Information, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Anlage von Raketenbasen, Standardisierung der Waffen, Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Forschung und Entwicklung und so weiter, Produktion, zu gemeinsamen Resolutionen kommen."
    Sagte der damalige bundesdeutsche Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Wenige Monate vor der Konferenz hatte die Sowjetunion erfolgreich den ersten Satelliten ins All geschossen und damit ihre technischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Die Nato-Partner beunruhigte :"… dass die Russen nachgewiesen haben, dass sie doch transkontinentale Geschosse schleudern können, und dadurch wird die ganze strategische Konzeption einer Verteidigung völlig geändert."
    So Bundeskanzler Konrad Adenauer in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk. Die bisherige Nato-Doktrin sah vor, dass die USA auf einen Angriff der Sowjetunion in Europa mit atomarer Vernichtung reagieren würde. Wenn jetzt die Sowjetunion die USA selbst mit Interkontinentalraketen bedrohen konnte, schien es fraglich, ob Amerika tatsächlich bereit wäre, die eigene Vernichtung zu riskieren, um seine europäischen Verbündeten zu
    verteidigen.
    Adenauer und Strauß wollten Zugriff auf die Atomwaffen
    Die neue Strategie sah deshalb vor, in Europa Atomwaffen zu stationieren, um so die Glaubwürdigkeit der Abschreckung zu untermauern. Dabei ging es nicht alleine um Raketen, sondern auch um Atomgranaten mit kurzer Reichweite, die auf dem Gefechtsfeld gegen einen Vormarsch sowjetischer Panzer eingesetzt werden sollten. Adenauer und Strauß wollten erreichen, dass auch die gerade erst gegründete Bundeswehr Zugriff auf diese Waffen haben sollte, um nicht als Verbündete zweiter Klasse dazustehen.
    Atomforscher antworten mit Göttinger Appell
    In Deutschland regte sich gegen diese Pläne Widerstand: "Wir halten … diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer für unzuverlässig, und wir halten die Gefahr im Falle des Versagens für tödlich. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet."
    Die Atomforscher Walter Gerlach (links), Karl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn (rechts) treffen am 17.4.1957 im Bonner Palais Schaumburg zu einem Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer ein.
    Angehörige der "Göttinger Achtzehn", die Atomforscher Walter Gerlach (links), Karl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn (rechts) treffen am 17.4.1957 im Bonner Palais Schaumburg zu einem Gespräch mit Bundeskanzler Adenauer ein. (dpa / picture alliance / Kurt Rohwedder)
    So schrieben 18 namhafte deutsche Atomforscher unter der Federführung des Nobelpreisträgers Otto Hahn(*) im April 1957 im sogenannten Göttinger Appell, nachdem Adenauer in einem Interview eingeräumt hatte, dass bereits seit einigen Jahren amerikanische Atomgranaten auf westdeutschem Boden stationiert sind. Das Thema dominierte auch den scharf geführten Bundestagswahlkampf im gleichen Jahr, den die Union im September unter dem Slogan "Keine Experimente" zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mit der absoluten Mehrheit der Wählerstimmen gewann.
    Damit war für Adenauer der Weg frei, auf dem Nato-Gipfel am 19. Dezember den Beschluss zur atomaren Aufrüstung in Europa mitzutragen und Gespräche über Abrüstung erst einmal zu vertagen, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Fritz Erler im Anschluss an das Treffen kritisierte:
    "Es ist nicht klar, ob man auch in Moskau über die entscheidende Frage, nämlich über den militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands, wird reden wollen oder reden können. Ich möchte das sogar bezweifeln, weil der Bundeskanzler in seiner Pariser Pressekonferenz einen Vorschlag des polnischen Außenministers, der in diese Richtung gehen könnte, nämlich den über eine atomwaffenfreie Zone in Europa, rundweg abgelehnt
    hat. 'Das sei nicht drin', hat er wörtlich gesagt."
    Die Kuba-Krise war der nächste Akt
    Der Bundestag billigte im März 1958 mit den Stimmen von CDU/CSU die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland. Mittelstreckenraketen wurden im Verlauf des Jahres 1958 in Großbritannien, Italien und der Türkei stationiert. Moskau antwortete auf diesen Schritt mit dem Versuch seinerseits Atomraketen in Kuba zu stationieren, was die Welt 1962 an den Rand eines Atomkriegs führte.
    (*) Der Vorname des Nobelpreisträgers wurde korrigiert.