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Europa darf nicht "unter die Räder kommen"

Der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Max Otte steht einer möglichen Freihandelszone zwischen Europa und den USA zwiegespalten gegenüber. Er sieht die europäischen Interessen gefährdet, da die Amerikaner eine "aggressive" Außenwirtschaftspolitik betreiben würden.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 14.02.2013
    Dirk Müller: Wollen wir das wirklich, hormonbehandelte Steaks aus Texas, dazu genmanipulierter Vollkornreis aus Ohio, oder das alles noch garniert mit antibiotikaversetzten Frutti di Mare. Ein Albtraum für viele, die in Europa von Bio-Europa träumen. Das alles könnte wahr werden, könnte bald in Deutschlands Supermärkten zu finden sein, wenn die Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington erfolgreich sind – Verhandlungen mit dem Ziel einer gemeinsamen Freihandelszone. Barack Obama will das, Angela Merkel will das so und auch die EU will das, also freie Fahrt für alle Produkte, vom Geländewagen über Kopfschmerztabletten bis hin zum Smartphone, alles zollfrei, alles billiger auf beiden Seiten des Atlantik. Aber was ist mit den Qualitätsstandards, was ist mit den Arbeitsplätzen? Wir waren an dieser Stelle hier im Deutschlandfunk mit Fred Irwin verabredet, Präsident der amerikanischen Handelskammer in Berlin, aber wir können und konnten ihn leider nicht erreichen. Er ist offenbar schon unterwegs in Richtung Handelsmission. Eingesprungen dafür - vor drei, vier Minuten haben wir ihn telefonisch erreicht – ist der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte. Guten Morgen!

    Max Otte: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Otte, zollfrei in die Zukunft, das ist unser Thema. Freuen Sie sich schon auf einen billigeren Chrysler?

    Otte: Jein. Also das ist schon ein Paukenschlag, dieses angekündigte Abkommen beziehungsweise die Aufnahme von Verhandlungen. Das wäre schon ein Riesending, eine Wahnsinnssache. Das kann schon die Handelsbeziehungen im transatlantischen Raum extrem verändern, auch zum Teil verbessern, vereinfachen. Allerdings muss ich sagen, dass ich da durchaus trotzdem zwiegespalten bin. Die Amerikaner haben die letzten 20 Jahre eine sehr aggressive Außenwirtschaftspolitik betrieben und Europa muss aufpassen, dass es bei den Verhandlungen nicht unter die Räder kommt.

    Müller: Ein Zwiespalt ist meistens interessanter als Wohlgemut. Reden wir über den Zwiespalt. Wo liegt das Problem?

    Otte: Ja, die Amerikaner sind schon sehr aggressiv im Vertreten eigener wirtschaftspolitischer Interessen und die EU war als Handelsblock sozusagen ein Gegengewicht. Nehmen wir den Bereich der Telekommunikation oder der Diensteanbieter wie Google und so weiter, die im Prinzip die europäischen Netze nutzen, aber die Einnahmeströme gehen fast komplett nach Amerika. Das wird ja im Moment in der internationalen Telekommunikationsunion verhandelt. Und in all diesen Streitfragen werden die Amerikaner natürlich mit Massivität eigene Interessen vertreten, eigene Vorstellungen durchdrücken wollen, und ich weiß noch nicht, ob Europa die Kraft hat, da sich zu behaupten in solchen Verhandlungen.

    Müller: Also könnte man sagen, Sie befürchten, die Amerikaner werden uns abziehen?

    Otte: Ja, wenn Sie es so deutlich sagen? Das kann passieren, natürlich. Das ist ein ganz hartes Geschäft. Es geht natürlich um gemeinsame Wohlstandssteigerung, um Verbesserung der Handelsbeziehungen, aber es geht darunter auch um das Durchsetzen eigener Standpunkte und eigener Interessen, und da waren die Amerikaner in den letzten Jahrzehnten nie sehr zimperlich.

    Müller: Ein großes Thema in dieser Auseinandersetzung, die jetzt begonnen hat, die seit Jahren aber ja auch ein bisschen zumindest in der Wissenschaft auch thematisiert worden ist, gerade auch nach den Erfahrungen, was man mit anderen Freihandelszonen gemacht hat, gerade auch die NAFTA, die Nordamerikanische Freihandelszone – USA, Mexiko, Kanada sind da dabei -, wäre mit Blick auf Europa vor allem auch die Landwirtschaftspolitik, die Agrarpolitik. Da geht jetzt schon die Agrarlobby in Europa nahezu auf die Straße und sagt, diese amerikanischen Standards, das ist nichts für uns. Wird das das größte Problem?

    Otte: In der Tat. Es ist ja so, dass Europa, insbesondere Deutschland, vor allem im Mid-Tech sehr wettbewerbsfähig ist, also klassischer Maschinenbau, Chemie und so weiter, während Amerika im Lowtech-Bereich, also Landwirtschaft und Primärindustrien, wettbewerbsfähig ist und dann wieder bei Computertechnologie und Dienstleistungen. Und natürlich wird Amerika seine Stärken in diesen beiden Bereichen, also einmal Landwirtschaft, Low-Tech und das andere Mal High-Tech und Software und Content, ausspielen wollen, und das könnte in der Tat ein massiver Knackpunkt der Verhandlungen werden, wenn man überlegt, wie aggressiv die Republikaner das vertreten werden, dass wir also in zehn Jahren eine völlig umgestaltete europäische Landwirtschaftsszene haben, denn in solchen Verhandlungen ist erst mal alles auf dem Tisch. Und dann wird der Trend zu Großstrukturen im Agrarbereich, den wir sowieso schon massiv haben, sich extrem beschleunigen und ich kann mir vorstellen, dass das am Ende die europäische Landwirtschaft massiv umkrempeln könnte.

    Müller: Sie haben, Herr Otte, viele Jahre in den Vereinigten Staaten auch gelebt. Wir haben hier im Deutschlandfunk wie alle anderen Medien auch über Gammelfleisch gesprochen. Heute Morgen haben wir vor gut einer Stunde über Pferdefleisch gesprochen. Das heißt, die Qualitätsstandards in Europa, auch in Deutschland, sind ja auch nicht mehr zum besten gestellt, oder nicht immer zum besten gestellt. Wenn wir das vergleichen mit dem, was die Amerikaner produzieren, gerade auf dem Fleischmarkt, auf dem Gemüsemarkt, auf dem Getreidemarkt, ist das alles wirklich so viel schlechter?

    Otte: Die Amerikaner sind sehr viel bedenkenloser, was den Einsatz von Hormonen und Chemie und so weiter angeht. Das Zeug sieht im Supermarkt super aus, aber es ist mit viel künstlichen Hilfsmitteln oftmals produziert. Da sind wir in Europa schon was strenger. Und das Problem bei solchen Freihandelsgeschichten ist, dass sich normalerweise die geringeren, die niedrigeren Standards durchsetzen. Da hatte sogar schon Otto von Bismarck einen Handelskonflikt mit den Amerikanern riskiert vor über 100 Jahren, obwohl er das gar nicht gebrauchen konnte, weil es um die Sicherheitsstandards für Dosenfleisch ging. Und diese Grundsätze oder die Unterschiede in der Philosophie bestehen bis heute zwischen Europa und Amerika, dass die Amerikaner also sehr gerne auch ein bisschen Chemie einsetzen.

    Müller: Also könnte das so sein, dass wir in der Großindustrie, Autobau, Maschinenbau, profitieren, in der Landwirtschaft verlieren?

    Otte: Ja verlieren? Zumindest verlieren die Landwirte. Ob Europa da verliert, ist eine andere Frage. Das kommt auf den Standpunkt an. Aber viel gravierender sehe ich eben High-Tech, Content und so weiter, dass wir also gegen Google, Amazon und so weiter in Europa nichts auf die Beine bekommen und dass die quasi auch unsere E-Commerce und Inhalte letztlich dominieren, und da sehe ich die größere Gefahr.

    Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Dennoch: Die Frage muss sein. Arbeitsplätze – da wird von beiden Seiten von neuen Arbeitsplätzen gesprochen. Es wird versprochen, 400.000, 500.000, die in den USA sowie auch in Europa dazukommen sollen. Ist das ausgemachte Sache, ist das realistisch?

    Otte: Es könnten diese Wohlstandseffekte eintreten. Aber wo diese Arbeitsplätze entstehen, vor allem in den USA oder in Europa, das ist alles offen. Und es wird natürlich neben möglichen neuen Arbeitsplätzen auch viele Jobverluste geben. Auch das muss man erst mal abwarten, was da wirklich rauskommt.

    Müller: Das, was die Gewerkschaften sagen, dass es beispielsweise bei der NAFTA, als die Mexikaner enger hereingerückt sind in die amerikanische Volkswirtschaft, dass es zu massivem Stellenabbau gekommen ist, gerade auch in der Industrie?

    Otte: Gut. Ich meine, das haben wir jetzt natürlich nicht. Jetzt haben wir zwei annähernd gleich entwickelte Regionen. NAFTA war ja dann doch durch Mexiko eine Verlagerung auch in Billiglohnländer. Jetzt haben wir eben die anderen Problematiken, vor allem im Bereich Landwirtschaft, vor allem im Bereich Content, Inhalte, High-Tech, wo sich diesmal die Konflikte abspielen werden.

    Müller: Jetzt gucke ich auf die Uhr, eine halbe Minute haben wir noch. Das ist gestern auch in der Redaktion diskutiert worden, nämlich eine Frage. Wenn wir ein Freihandelsabkommen mit den USA schließen, haben wir das dann auch gleichzeitig mit Mexiko und Kanada?

    Otte: Im Prinzip ja, denn man muss ja dann im Prinzip diese Länder genauso begünstigen wie die USA, oder die Waren werden einfach durch die USA durchgeleitet. Natürlich können sich nationale Regierungen da was überlegen, das vielleicht ein bisschen zu konterkarieren, aber im Prinzip gehören die dann zur Freihandelszone dazu.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, für uns ganz spontan eingesprungen, der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte. Danke für die Spontanität und für das Interview.

    Otte: Guten Morgen.


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