Samstag, 20. April 2024

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Schäden durch illegalen Handel
"Wir haben Sanktionierungslücken beim Verbraucher"

Beim Erwerb eines gefälschten Produktes muss der Verbraucher keine Strafe zahlen, darin sieht der Strafrechtler Arndt Sinn eine Sanktionslücke. Der Erwerb eines gefälschten T-Shirts sei nicht nur kein Schnäppchen. Damit werde organisierte Kriminalität finanziert, sagte Sinn im DLF - "im schlimmsten Fall sogar Terrorismus".

Arndt Sinn im Gespräch mit Peter Sawicki | 16.05.2017
    Ein gestohlenes Motorrad steht am 13.08.2013 in Dannenwalde (Brandenburg) in einer Lagerhalle. Die Polizei durchsuchte im Rahmen der Ermittlung gegen eine deutsche Autoschieberbande 27 Objekte in mehreren Bundesländern.
    "Die OECD geht im Jahre 2016 in einer aktuellen Studie davon aus, dass ungefähr jährlich die organisierte Kriminalität 870 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet", so der Strafrechtler Sinn. (dpa-Zentralbild/Bernd Settnik)
    Peter Sawicki: Freihandelsabkommen sind ja einige der Instrumente, um die Weltwirtschaft in einen rechtlichen Rahmen zu lenken. Im Schatten der geregelten wirtschaftlichen Abläufe gibt es aber auch einen großen illegalen Bereich. Die Rede ist von organisierter Kriminalität. Dahinter stehen mafiöse Banden und Kartelle, die häufig weltweit ihre Geschäfte unterhalten, und das in zahlreichen Feldern: Schlepperwesen, Drogenhandel und Produktpiraterie, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch wie kann man organisierter Kriminalität effektiv begegnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Strafrechtler Arndt Sinn und der hat heute eine Studie mit dem Titel "Wirtschaftsmacht organisierte Kriminalität" veröffentlicht. Wir haben vor der Sendung mit ihm gesprochen und die erste Frage war, auf welche Summe sich das Bruttoinlandsprodukt der organisierten Kriminalität belaufen würde, wenn diese ein Staat wäre.
    Arndt Sinn: Wir können natürlich nur Schlaglichter auf die Gewinne der organisierten Kriminalität werfen, denn das liegt in der Natur der Sache. Organisierte Kriminalität arbeitet verdeckt und damit sind auch das, was wir an Gewinnen sehen, immer nur Schätzungen. Die OECD geht im Jahre 2016 in einer aktuellen Studie davon aus, dass ungefähr jährlich die organisierte Kriminalität 870 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt hat im Jahr 2017 ein Volumen von 329,1 Milliarden Euro.
    Sawicki: Sie haben in der Studie auch das Stichwort Maschinenbau erwähnt mit Blick auf Deutschland. Wie entsteht der Schaden denn hier für die deutschen Firmen?
    Sinn: Das sind Innovationsverluste. Das sind Arbeitsplatzverluste, die entstehen können. Das sind Reputationsverluste und natürlich auch finanzielle Einbußen, die durch den Verlust von Produkten, die nicht am Markt abgesetzt werden können, entstehen können. Beispielsweise bei den Automobilteilen: Der Verbraucher wird darüber getäuscht, dass er Bremsbeläge kauft. Dann ist natürlich klar, dass dann der Bremsbelag nicht von der Originalfirma abgesetzt wird, sondern von einer Firma oder einem illegalen Unternehmen, das dies gefälscht hat.
    Sawicki: Wie kann das dem Verbraucher denn tatsächlich klar sein, dass er möglicherweise ein gefälschtes Produkt erwirbt?
    Sinn: Da gibt es vielfältige Anhaltspunkte. Zunächst die Quelle, wo kaufe ich. Andere Anhaltspunkte sind, wenn der angebotene Preis und der tatsächliche Preis, den ich im Blick habe, wenn der so stark auseinander liegt, dass hier ich davon ausgehen muss, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht. Dann kann es beim Arzneimittelmarkt sein; da hat die Europäische Union ja ein Sicherheitslogo verpflichtend für die Online-Apotheken vorgesehen, dass dieses Logo nicht auf der Seite drauf ist. Aber das setzt alles voraus, dass der Verbraucher das weiß. Das heißt, wir bräuchten Aufklärung beim Verbraucher.
    "Ich muss beim Erwerb eines gefälschten Produktes überhaupt nichts bezahlen"
    Sawicki: Sie haben als mögliche Gegenmaßnahmen härtere Strafen vorgeschlagen. Wen sollte man denn wie bestrafen, jetzt möglicherweise auch die Erwerber, die wissentlich möglicherweise gefälschte Produkte gekauft haben?
    Sinn: Wir haben Sanktionierungslücken beim Verbraucher. Während ich, wenn ich falsch parke, eine Ordnungswidrigkeit begehe und dort ein gewisses Geld bezahlen muss, muss ich bei einem Erwerb eines gefälschten Produktes überhaupt nichts bezahlen. Ich bleibe sanktionslos. Aber mein gutes Geld ist schon an die kriminellen Akteure geflossen und die finanzieren damit weiteres kriminelles Verhalten, und das ist das große Problem. Wir müssen auch beim Verbraucher Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass der Erwerb eines gefälschten T-Shirts nicht nur ein Schnäppchen ist, sondern dass er damit organisierte Kriminalität finanziert, im schlimmsten Fall sogar Terrorismus.
    Sawicki: Sie schreiben in der Studie, dass diese Umsätze, wenn man so will, der organisierten Kriminalität steigen, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Grenzkontrollen nicht hinterher kommen. Gleichzeitig steht in der Studie, dass sich die Zahl der beschlagnahmten Waren an den Außengrenzen der EU verzehnfacht hat seit Ende der 90er-Jahre. Wie passt das zusammen?
    Sinn: Na ja. An den EU-Außengrenzen wird natürlich noch mehr kontrolliert. An den EU-Innengrenzen haben wir Freiheit des Warenverkehrs und deshalb wird da nicht mehr so kontrolliert. Das ist auch im Grunde ja richtig, denn wenn wir einen liberalen Markt haben wollen, dann müssen natürlich diese Hemmnisse für den liberalen Markt auch beseitigt werden, und dazu gehören solche Kontrollmechanismen. Also muss man neu überlegen, wie kann ich denn den liberalen Markt aufrecht erhalten, ohne die Kontrolle einzuschränken, und da, glaube ich, kann Technik helfen. Wir wissen, dass die größte Anzahl an gefälschten Artikeln über die Post versandt wird und dass bei einem Kontrollvolumen von zwei bis fünf Prozent natürlich 95 Prozent der gefälschten Produkte auf den Markt kommen. Und wenn man hier mit technischen Detektionsmöglichkeiten im Vorhinein schon auffällige Sendungen aus dem Verkehr ziehen könnte, wäre schon viel geholfen.
    Sawicki: Und diese Technik, ist sie aus Ihrer Sicht schon da, aber noch nicht weitflächig verbreitet, oder muss sie erst entwickelt werden, weiterentwickelt werden?
    Sinn: Es gibt natürlich Detektionsmöglichkeiten. Da muss niemand vor dem Bildschirm sitzen und muss den ganzen Tag Postsendungen sich anschauen. Das würde auch gar nicht funktionieren, weil das viel zu langsam gehen würde. Aber natürlich ist auch hier die Wirtschaft und sind die Logistikunternehmen in der Pflicht. Sie müssen auch daran mitwirken, dass diese Kontrollmaßnahmen in ihrem Bereich, wo sie zugreifen können, auch dann greifen.
    "'Know your Customer' sollte zu einem Leitprinzip der Wirtschaft werden"
    Sawicki: Wenn nachgewiesen wird, dass Unternehmen, dass die legale Wirtschaft an der organisierten Kriminalität beteiligt ist oder das unterstützt, was für Strafmaßnahmen empfehlen Sie denn da?
    Sinn: Das ist ein schwieriger Punkt. Solange illegale Güter, gleich ob es Drogen sind oder Waffen oder andere Produkte, nicht per E-Mail verschickt werden können, so lange muss es Logistikunternehmen geben, die diese Produkte transportieren. Und nun müssen wir von Produkt zu Produkt das natürlich unterscheiden. Ein Unternehmen, das sich mit dem Transport von Briefsendungen und Paketen beschäftigt, kann nicht mehr tun, als vielleicht diese Detektion, von der ich gesprochen habe, einzusetzen. Aber andere Logistikunternehmen, die möglicherweise in den Transport von Kulturgütern, Kunst und so weiter involviert sind, die haben natürlich größere Prüfpflichten – Prüfpflichten hinsichtlich der Frachtpapiere und Prüfpflichten auch hinsichtlich, wer ist denn mein Kunde. Ich meine, dieses Prinzip, wer ist mein Kunde, 'Know your Customer', sollte zu einem Leitprinzip der Wirtschaft werden. Denn wenn ich weiß, mit wem ich es zu tun habe, dann kann ich vielleicht auch die schwarzen Schafe herausfiltern und sagen, mit Dir will ich nichts zu tun haben, Deine Sachen transportiere ich nicht, weil ich davon ausgehen muss, dass diese nicht legal erwirtschaftet wurden. Das ist meine Forderung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.