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Europäische Institutionen
"Demokratische Verantwortung nicht an Behörden abgeben"

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok steht den in der Diskussion stehenden Reformen der EU-Kommission skeptisch gegenüber. Über eine Art europäisches Kartellamt könne man reden, sagte er im DLF. Eine weitere Ausgliederung von wirtschaftspolitischen Belangen an Behörden hält er jedoch für falsch.

Elmar Brok im Gespräch mit Gerd Breker | 31.07.2015
    Der Europaparlamentarier Elmar Brok von der CDU vor der blauen Europa-Flagge.
    Der Europaparlamentarier Elmar Brok von der CDU. (DPA/EPA/JULIEN WARNAND)
    Gerd Breker: Die beiden sind glühende Europäer und gehören dem selben politischen Lager an. Zuletzt waren sie aber selten einer Meinung. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Griechenland-Krise zu weit gegangen. Nun fordert er von dem Luxemburger die richtige Balance in der Arbeit seiner Behörde. Da die Rufe nach einer Änderung der EU-Verträge ohnehin lauter werden, muss Juncker dies wohl als Warnschuss verstehen. Doch die Notwendigkeit einer Reform, die ergibt sich aus den Erfahrungen der Griechenland-Verhandlungen und aus dem Referendum der Briten über einen Verbleib in der der Europäischen Union.
    Und am Telefon sind wir nun verbunden mit Elmar Brok. Der CDU-Politiker aus dem Europaparlament, ein europäisches Urgestein und ebenfalls ein glühender Europäer. Guten Tag, Herr Brok!
    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Breker!
    Breker: Wie immer man den Schäuble-Vorstoß auch wertet, als Revanche-Foul, als Nachtreten gegen Juncker, in der Sache, in dem, was er da sachlich gesagt hat, ist das ein ernst zu nehmender Beitrag für die anstehende EU-Reform?
    Brok: Es kommt jetzt darauf an, wie es ausgelegt wird. Wenn wir nur über die Frage einer Kartellbehörde reden, das heißt, Wettbewerbspolitik auszugliedern in ein europäisches unabhängiges Kartellamt, wie wir das in Deutschland haben, dann kann man drüber reden. Diese Tradition gibt es nur in Deutschland, da muss man die anderen Länder überzeugen, aber es geht nur darum. Aber dann muss man der Kommission etwas geben, was man in Deutschland hat, nämlich den Ministervorbehalt, dass der Minister auch eine solche Entscheidung der Kartellbehörde überwinden kann. Ich glaube, sonst würden sich unsere Unternehmen sehr bedanken für einen Vorschlag, der eine rein bürokratische Auslegung von Wettbewerbsregeln oder eine rein juristische hat und nicht auch ökonomische Erwägungen letztlich mit einbeziehen kann.
    "Vieles davon hat die Kommission schon geregelt"
    Breker: Aber Exekutive und Kontrolle in getrennte Hände, das macht doch Sinn?
    Brok: Nein. Wer kontrolliert denn dann die Kontrolle? Rechtsaufsicht hat auch eine Bundesregierung oder eine Landesregierung. Es ist doch die Wirtschaftspolitik nicht ausgegliedert worden. Wenn wir eine politische Kommission haben wollen, dann wollen wir sie auch haben, damit der Binnenmarkt stärker kontrolliert wird. Das ist eine Regierung in den Anfängen, und die Gesetzgeber sind Parlament und Ministerrat. Und in Deutschland ist auch nicht die Rechtsaufsicht für viele Politikbereiche an auswärtige Ämter ausgegliedert worden, Ämter, die dann auch keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Was soll denn dann die Kommission noch machen, wenn sie nicht die Kontrolle auch hat, dass die Gesetze, die sie vorgeschlagen hat, ausgeführt werden.
    Breker: Nun ist es ja so, Herr Brok, dass die EU vor einem Dilemma steht. Die Briten wollen, dass Kompetenzen zurück an die Nationalstaaten gegeben werden, und das ist eine äußerst schwierige Angelegenheit. Da wäre es doch eigentlich eine kluge Kompromissidee zu sagen, lasst uns unabhängige Institutionen nehmen, denen Kompetenzen übertragen würden. Das wäre doch ein guter Kompromiss, der den Briten entgegen käme.
    Brok: Sie wollen insbesondere den Binnenmarkt stärken. Wenn man dann den Binnenmarkt aber noch einer Behörde gibt, die unkontrollierbar ist, die rein bürokratisch ist, wo ist dann der Gewinn dabei? Und ich glaube, dass Vieles davon schon die Kommission jetzt geregelt hat. Der Aufbau der Juncker-Kommission mit dem Vizepräsidenten führt dazu, dass wir in Zukunft 50 Prozent weniger Gesetzgebung haben. Viele dieser britischen Wünsche sind schon erfüllt. Und vor dem britischen Referendum wird man das ohnehin durch Vertragsänderungen, die, wenn man heute anfangen würde, was in der Krise schwierig ist, auch weil alle 28 Länder das ratifizieren müssen, doch nicht in den nächsten vier, fünf Jahren damit fertig werden. Und viele Länder werden diesem Vorschlag auch nicht folgen. Deswegen müssen wir bei den Briten einen anderen Weg gehen, um das Problem zu lösen. Das ist auch lösbar. Die Briten haben inzwischen selbst eingesehen, dass man weitestgehend ihren Forderungen gerecht werden kann unterhalb der Ebene der Vertragsänderung.
    "Wege suchen, wo wir mehr Europa hineinbringen können"
    Breker: Aber man muss den Briten etwas bieten, man muss dem Ministerpräsidenten Cameron etwas bieten, ansonsten geht das Referendum in Großbritannien schief, denn mit der Ankündigung des Referendums hat er ja die Wahl gewonnen.
    Brok: Ja, das mag ja sein. Aber wir können nicht deswegen das Gemeinschaftseuropa zerstören. Wir haben ein Gemeinschaftseuropa mit der klaren Definition, welche Rolle sie zu spielen hat. Und wenn man die Kommission aus dem Spiel herausnimmt, zur intergouvernementalen Veranstaltung wieder kommt, das sehen wir doch an der Eurokrise, es muss ständig einstimmig entschieden werden, weil hier noch nicht die Mehrheitsentscheidung im Rat gegeben ist in vielen Bereichen. Das führt doch dazu, dass das ein gegenseitiges Erpressen ermöglicht. Und ich glaube, man kann nicht demokratische Verantwortung von Parlamenten an unabhängige Behörden abgeben, die keiner parlamentarischen Überprüfung anheimgestellt sind. Man kann doch nicht den europäischen Binnenmarkt - das wäre, als wenn man den deutschen Markt an eine Behörde abgeben würde. Das geht bei der Kartellgesetzgebung so, Wettbewerbsgesetzgebung, aber doch nicht bei der normalen Wirtschaftspolitik.
    Breker: Die Rückübertragung von Kompetenzen, das ist die britische Forderung, das ist das eine. Andererseits hat ja die Griechenland-Krise gezeigt, Herr Brok, dass zumindest in der Eurozone die Finanzpolitik gleichförmiger, mehr koordiniert werden muss. Das ist ja auch etwas, was Frankreichs Präsident Hollande ins Gespräch gebracht hat.
    Brok: Deswegen gibt es das Fünf-Präsidenten-Papier, über das es zu debattieren gilt. Hier müssen wir Deutschen aber auch aufpassen, dass wir nicht für die Eurozone eine neue Institution ausrichten. Wollen wir dem französischen Wunsch folgen mit der Konsequenz, dass Polen zu einem Staat zweiter Klasse erklärt wird? Das kann nicht Wunsch deutscher Außen- und Europapolitik sein. Hier müssen wir Wege suchen, wo wir mehr Europa hineinbringen können. Die Kommission ist doch in manchen Bereichen nicht vorangekommen. Wir müssen doch sehen, dass die Einstimmigkeit im Rat eines der Probleme ist. Und das ist nur eine Frage der Griechenlands. Wir müssen das doch sehen, dass die Europäische Union funktioniert hat, aus dieser Finanzkrise, die aus Amerika kam, herauszukommen. Wenn ich mir die Entwicklung in Irland, in Portugal, in Spanien, in Lettland usw. anschaue. Deswegen sollte man das nicht nur an der Erfahrung Griechenlands ausmachen, wo hier nun eine Regierung im Amt ist, die nun alle Regeln brechen wollte. Und das Problem ist doch nicht in der Kommission entstanden, sondern das ist doch ein Bereich, nicht Fähigkeit der Eurozonenminister, dieses Problem zu lösen.
    Griechenland: "Der IWF muss mitmachen"
    Breker: Wenn die Eurozone nun enger zusammenwachsen würde, eine koordinierte Finanzpolitik betreiben würde, dann hätte man ja so was Ähnliches wie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, und die Frage ist doch, Herr Brok, was wäre daran so schlimm?
    Brok: Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Wir haben inzwischen 19 Mitglieder. Wenn wir aus der Krise rauskommen, werden wir schnell 22, 23, 24 Mitglieder sein. Und deswegen darf man nicht neue institutionelle Barrieren aufbauen. Dieses ist dann die klassische Avantgarde-Lösung wie auch bei Schengen. Sobald einer die Fähigkeit erworben hat, hineinzukommen, wird er aufgenommen. Und wenn man hier neue bürokratische Schienen aufbaut, wird das höchst schwierig. Es kann nicht sein, dass am Ende des Tages nur Großbritannien, das außerhalb der Eurozone stehen darf, weil es ein Opt-out hat, erzwingen kann, dass wir die Regeln des Gemeinschafts-Europas zerstören und zu neuen intergouvernementalen Veranstaltungen kommen, dass es dann die Mitgliedstaaten machen, die dann immer in das Prinzip der Einstimmigkeit fallen und dann es noch weniger vorangeht in Europa. Das ist doch der Weg. Die haben uns doch gehindert, diese Mitgliedsstaaten, bis 2010, dass die Zahlen von Eurostat maßgeblich sind. Das ist doch einer der Punkte, warum wir mit Griechenland hereingefallen sind. Und deswegen ist es doch besser, dass man hier mehr Europa macht, damit wir die Kontrollen ausüben können. Seit Eurostat, die europäische Institution zuständig ist, das zu kontrollieren, kennen wir die griechischen Zahlen. Das haben doch die Nationalstaaten nicht hinbekommen, weil sie meinten, Statistenämter seien Fragen der nationalen Souveränität.
    Breker: Beim Stichwort Griechenland, Herr Brok, da tut sich jetzt die Meldung auf, dass der IWF nicht so recht mitmachen will, sondern nur unter Bedingungen zum Beispiel eines Schuldenschnitts weiterhin bei der Griechenlandhilfe mitmachen will. Sollen wir das dann alleine tun?
    Brok: Nein. Ich glaube, dass der IWF mitmachen muss und dass man hier verhandeln muss. Ich kann mir auch vorstellen, dass man über die Fragen der Schuldentragfähigkeit Griechenlands eines Tages reden muss. Aber das kann man nicht am Anbeginn der Veranstaltung machen. Die haben schon einen Schuldenschnitt gehabt. Erst muss Griechenland die Reformen durchführen, dabei müssen wir ihnen helfen, und wenn sie das erfolgreich getan haben, kann am Ende dieses Prozesses auch über die Schuldenfrage diskutiert werden, wie man das auch in der Privatwirtschaft macht, wenn ein Unternehmen pleite ist irgendwo, dann gibt noch mal die Sparkasse Geld, aber unter der Bedingung, dass sie die Reformen durchführen, dass das Unternehmen wieder wettbewerbsfähig wird. Und wenn es das geschafft hat, kann man auch über die Fragen der Schulden reden. Und ich glaube, anders soll man das nicht machen, sonst glaube ich, dass Griechenland in zwei, drei Jahren wieder in derselben Situation ist. Die nehmen das kurzfristig als Erholungsmaßnahme und machen nichts an Reformen, dann sind wir wieder mitten drin in den Schwierigkeiten. Ich glaube, so leicht sollten wir uns das nicht machen.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das Elmar Brok, und wie Sie gehört haben, meine Damen und Herren, ein glühender Europäer. Herr Brok, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Brok: Ich danke Ihnen, Herr Breker!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.