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Europäische Union
An Einfluss verloren?

Der Bürgerkrieg in Syrien, die Massenflucht, Terroranschläge des IS: Die Aufgaben an ein internationales Krisenmanagement sind so zahlreich wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Auf dem G20-Gipfel wollen die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer darüber beraten. Welche Rolle spielt dabei die EU?

Von Jörg Münchenberg | 13.11.2015
    Keine Frage: Das bisherige Erfolgsmodell Europäische Union hat in den letzten Monaten hässliche Kratzer abbekommen. Erst die monatelange Hängepartie um die griechische Schuldenkrise, dann das tiefe Zerwürfnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, bei der eine Lösung bislang nicht in Sicht ist.
    Jeder ist sich erst einmal selbst der nächste, weshalb erst vor wenigen Tagen der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn vor einem Zerfall der EU gewarnt hat. Und nicht viel anders klang das bereits im Herbst bei EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament in Straßburg:
    "Unsere Europäische Union, obwohl ich nicht zum Pessimismus tendiere, befindet sich in keinem guten Zustand. Es macht keinen Sinn, dass der Kommissionspräsident hier in Schönmalerei macht. Die Europäische Union ist nicht in einem guten Zustand".
    Dabei ist es gerade einmal drei Jahre her, da wurde diese Union mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch als globales Vorbildmodell, so ist in diesen Tagen und Woche vielfach zu hören, taugt diese Union angesichts fehlender Solidarität und Geschlossenheit herzlich wenig. Aber es gibt auch andere Stimmen - Manfred Weber, der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament:
    "Wenn wir Europäer auf uns selbst blicken, dann schauen wir meist mit Sorgenfalten auf das, was wir diskutieren. Weil wir oft nur den Blick für die aktuellen Herausforderungen haben. Zum Beispiel jetzt die Migrationsfrage. Wenn man jetzt allerdings einen größeren Blick darauf wirft, muss man sehen - wir haben die letzte große Krise hervorragend gemanagt. Europa hat für das nächste Jahr ein Wachstum von fast zwei Prozent Wachstum zu erwarten. Wir haben um 1,6 Millionen die Arbeitslosenzahl in der EU-Zone reduziert. Das heißt, wir sind zurück auf dem Wachstumspfad. Die Eurokrise, die Wirtschaftskrise ist überwunden für unseren Kontinent".
    Globale Führungsrolle zusammen mit den USA
    Trotzdem, die Krise hat tiefe Spuren hinterlassen. Noch immer ächzen die Länder im Süden Europas unter schwachem Wachstum- und hohen Arbeitslosenzahlen. Bei der Wettbewerbsfähigkeit sind Portugal, Griechenland, aber auch selbst Frankreich gefährlich ins Hintertreffen geraten.
    Gleichzeitig aber konnte die EU gemessen am Bruttoinlandsprodukt ihre globale Führungsrolle zusammen mit den USA behaupten - dieser Machtfaktor dürfte nicht unterschätzt werden, meint Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Breugel, auch wenn sich langfristig die Gewichte in Richtung Schwellenländer verschieben dürften:
    "Die EU ist die zweigrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Problem ist jedoch, dass der Anteil an der globalen Produktion zurückgeht. Das sagen die Projektionen. Das gilt auch für die Bevölkerungsentwicklung. Der Anteil der EU ist vergleichsweise gering und geht weiter zurück. Das heißt, früher oder später wird die Bedeutung der Schwellenländer wichtiger werden als bisher".
    Und dennoch gibt es keine klare Tendenz - im globalen Handel beispielsweise gilt die EU weiterhin als Führungsmacht, daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Zumal, wenn das geplante wie umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA tatsächlich abgeschlossen wird. Aber auch politisch, so ergänzt EVP-Chef Weber, habe die EU in den letzten Jahren merklich dazugelernt:
    "Wir schaffen es immer mehr, in den außenpolitischen Fragen gemeinsame aufzutreten. Jetzt in der Syrien-Frage oder in dem gemeinsamen Auftreten gegenüber Russland und Putin, wo wir gemeinsam Sanktionen beschlossen haben. Europa kommt stärker in eine politische Führungsrolle rein. Schritt für Schritt sind wir da auf einem guten Weg.
    Zweckoptimismus in schweren Zeiten
    Das klingt nach Zweckoptimismus in schweren Zeiten. Und passt so gar nicht zu den aktuellen Kassandrarufen angesichts der Zerstrittenheit der EU in der Flüchtlingskrise. Letztlich aber, so meint auch Breugel-Experte Darvas, habe das Modell der Europäischen Union - global gesehen - nicht an Attraktivität verloren, allen Verwerfungen und Krisen zum Trotz:
    "Natürlich ist Griechenland noch nicht über den Berg. Es gibt diese massive Flüchtlingskrise. Da ist der Volksentscheid in Großbritannien über den Verbleib oder Austritt aus der EU. Also es gibt jede Menge kritische Punkte. Aber das die EU beispielsweise in der Lage war, die gefährliche Krise der Eurozone anzupacken und ein Stück weit auch zu lösen. Das hat dem Rest der Welt gezeigt: Wenn es ein wirklich ernsthaftes Problem gibt, dann ist die EU in der Lage, eine Lösung zu finden".