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Europäische Zentralbank
"Es wäre richtig, die Nullzinspolitik langsam zu beenden"

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Michael Kemmer, sagte im DLF, solange die Zinsen in Europa bei Null stünden, bleibe der Reformdruck niedrig. Die Länder Südeuropas müssten jedoch Reformen einleiten und die EZB gleichzeitig mutige Maßnahmen ergreifen, um wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk Müller | 28.09.2016
    Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, Michael Kemmer.
    Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, Michael Kemmer. (Imago / Horst Galuschka)
    Es sei Fakt, dass die Niedrigzinspolitik der EZB den deutschen Banken mit klassischem Geschäftsmodell Schwierigkeiten mache. Für sie sei das Zinsgeschäft in Deutschland eine tragende Säule. Bei Zinsen von null oder unter null sei es für Banken demnach sehr schwer, noch ertragreich zu sein. Allerdings gehe davon auch keine Existenzgefährdung aus. Die Institute stellten sich darauf ein, dass die Niedrigzinspolitik noch einige Jahre bleibe, so Kemmer. Angesichts der wirtschaftlichen Situation in Europa fügte er jedoch hinzu: "Es wäre absolut richtig, die Nullzinspolitik langsam zu beenden."
    Reformdruck auf Südeuropäer durch Niedrigzinspolitik nicht gegeben
    Es sei wichtig, dass die Staaten im Süden Europas Reformen durchführten. Nur - solange die Niedrigzinspolitik anhalte, sei der Druck, Reformen durchzuführen, für sie niedriger.
    "Die EZB hat ihr Pulver im Grunde genommen schon verschossen", kritisierte Kemmer weiter. Zwar könne die EZB nicht politisch kontrolliert werden, aber vielleicht sei die EZB "gar nicht so unabhängig" wie sie sein muss". Jedenfalls gleiche sie das Nichthandeln einiger Regierungen in Europa aus, und das sei sicherliche "keine gute Politik für Deutschland".

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Mario Draghi sei Dank - das sagen viele in Europa und meinen das äußerst zynisch, meinen also genau das Gegenteil. Denn die gesamte Bankenbranche jongliert durch äußerst harte Zeiten. Hierzulande ist das durch die Rekordtiefs der Deutschen Bank und auch der Commerzbank gerade in diesen Tagen deutlich geworden. Die Deutsche Bank verliert in diesem Jahr über die Hälfte ihres Aktienwertes und die Commerzbank verliert ebenfalls dramatisch, will nach Informationen des Handelsblatts mehr als 9.000 Arbeitsplätze streichen, viele davon auch in Deutschland.
    Wir reden über die zwei größten Banken unseres Landes, die tief in den roten Zahlen stecken, und so kommen wir wieder zurück zu Mario Draghi, der heute im Europaausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen muss. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, kritisiert den EZB-Chef inzwischen ganz offen und wirft ihm eine aggressive, unkonventionelle und völlig unerprobte Geldpolitik vor, die den Euro und damit auch die Banken in ihrer Existenz gefährden.
    Am Telefon ist nun Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Guten Morgen!
    Michael Kemmer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Ist Mario Draghi an allem schuld?
    Kemmer: So würde ich das nicht sagen. Aber Fakt ist auf jeden Fall, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank schwierig ist und dass sie den Banken große Schwierigkeiten macht, insbesondere denen mit klassischem Geschäftsmodell, das heißt den Banken, die sehr stark zinstragendes Geschäft haben, das heißt die Einlagen von Kunden entgegennehmen und Kredite vergeben. Für die ist es sehr schwierig, und in Deutschland ist das Zinsgeschäft traditionell die entscheidende Ertragssäule. Der Zinsüberschuss macht etwa 70 Prozent des Ertrages aus. Und wenn die Zinsen bei null oder unter null sind, ist es einfach für Banken mit einem solchen klassischen Geschäftsmodell extrem schwer, noch profitabel zu sein, und darunter leidet die Branche im Moment.
    "Wo gehobelt wird, fallen Späne"
    Müller: Herr Kemmer, jetzt sagen Sie schwierig. Schwierig ist ja vieles. Heißt schwierig jetzt in Ihren Worten klar und deutlich übersetzt existenzgefährdend?
    Kemmer: Nein, das heißt nicht existenzgefährdend. Das heißt nur, dass die Profitabilität der Häuser unter Druck ist und dass die Häuser sich anpassen müssen. Das ist in einer Marktwirtschaft nichts Ungewöhnliches. Wenn sich das Umfeld ändert, muss man auch die Geschäftsmodelle ändern. Die Umfeldänderung ist für die Banken sicherlich im Moment etwas dramatischer als für andere Branchen und da müssen die Banken drauf reagieren. Sie müssen sich anpassen. Das fordert auch die Aufsicht von ihnen. Und dieser Umbauprozess braucht Zeit. Die muss man den Banken gewähren. Und wir hoffen alle, dass sich die Umfeldbedingungen ändern. Wir gehen aber nicht davon aus. Wir gehen davon aus, dass die Niedrigzinspolitik noch einige Jahre anhält, und darauf müssen sich die Institute einstellen und die sind momentan auch dabei, sich darauf einzustellen. Und die Niedrigzinsphase ist ja nicht die einzige Herausforderung, die aus dem Umfeld kommt.
    Müller: Darüber reden wir gleich noch. - Sie sagen, die sind dabei, sich darauf einzustellen. Der Deutschen Bank gelingt das ja offenbar nicht, der Commerzbank auch nicht.
    Kemmer: Die beiden Häuser sind in einem Umbauprozess. Dieser Umbauprozess ist schwierig und langwierig und da muss man den Häusern auch entsprechend Zeit geben. Bei der Commerzbank gibt es ja im Moment nur Spekulationen, was da kommen wird.
    Müller: Sie wissen da auch nicht mehr?
    Kemmer: Bitte?
    Müller: Sie wissen da auch nicht mehr? Es sind Spekulationen?
    Kemmer: Es sind Spekulationen. Aber ich gehe davon aus, dass da sicherlich was dran ist, und es wird zum Ende der Woche wohl auch verkündet werden. So habe ich das zumindest in der Zeitung gelesen. Und das ist, wie ich gesagt habe, eine Anpassung des Geschäftsmodells, die aus verschiedenen Gründen notwendig ist, die sicherlich auch schmerzhaft ist. Die Banken müssen sehr stark darauf achten, ihre Kosten zu senken, weil zum Beispiel durch die Digitalisierung das Kundenverhalten sich auch massiv geändert hat - Stichwort Online-Banking. Die Banken haben neue Wettbewerber bekommen, die sogenannten Fintech-Unternehmen. Das heißt, das sind kleine junge Start-ups, die sich mit Finanztechnologie beschäftigen. Mit denen muss man kooperieren, da muss man schauen, wie man damit zurechtkommt, wie man die neuen technischen Herausforderungen einbaut, da sind Investitionen erforderlich. Das ist alles keine einfache Situation, aber die Banken nehmen die Herausforderungen an und sie werden diese Herausforderungen auch bestehen.
    Müller: Dann reden wir noch mal kurz über die Deutsche Bank. Sie sagen, das sind Anpassungsprozesse, man muss den Banken Zeit geben. Das ist ja jetzt alles, was Sie beschrieben haben, nicht vom Himmel gefallen, weder die Null-Zins-Politik, noch die Anpassung an neue digitale Gewohnheiten und an die Schwierigkeiten, Zinsen seit geraumer Zeit nicht mehr dementsprechend gewinnträchtig ausgeben zu können. Hat die Deutsche Bank das alles komplett verschlafen?
    Kemmer: So können Sie das nicht sagen. Das ist ein vielfältiges Geflecht von Ursachen. Das hat zum Teil auch noch mit Dingen zu tun, die in der Finanzkrise liegen. Das hat zum Teil mit Umfeldbedingungen in Deutschland zu tun. Das hat zum Teil mit dem alten Geschäftsmodell zu tun. Da kommen viele Sachen zusammen und die Bank geht diese Dinge energisch an. Wo gehobelt wird, fallen Späne, das ist ein Allgemeinplatz, aber der trifft hier auf jeden Fall zu.
    Müller: … und verliert die Hälfte des Aktienkurses.
    "Die EZB hat ihr Pulver im Grunde genommen schon verschossen"
    Kemmer: Ja, das ist überhaupt nicht schön. Das darf man auch nicht bagatellisieren. Aber das ist in erster Linie dem Markt geschuldet, der einfach sagt, wir sehen im Moment für die Banken keine Wachstumspotenziale, weil die Umfeldbedingungen schwierig sind, wir glauben nicht, dass die Banken langfristig sehr gut und sehr profitabel sein können. Und es liegt nun an den Häusern zu beweisen, dass das anders ist, und solange so ein Umbauprozess andauert, gibt es große Unsicherheit und Unsicherheit ist Gift für die Aktienmärkte und deshalb sind die Kurse unter Druck. Wie gesagt, man darf das nicht bagatellisieren, das ist keine einfache Situation. Man darf es aber bitte auch nicht überdramatisieren.
    Müller: Dann reden wir noch mal über die Notenbankpolitik der Europäischen Zentralbank beziehungsweise über die Geldpolitik von Mario Draghi. Das ist umstritten, besonders umstritten auch in Deutschland. In Brüssel wird er mit offenen Armen empfangen - darüber haben wir im Deutschlandfunk heute Morgen auch schon berichtet -, weil viele Staaten (nehmen wir mal Frankreich an vorderster Front) ganz gut damit zurechtkommen, mit der lockeren Geldpolitik, einfach immer mehr Geld aufnehmen kann. Das kostet nicht viel Geld. Die Reformen werden aufgrund dessen storniert oder nicht energisch genug angegangen. Geht diese ganze Null-Zins-Politik völlig nach hinten los?
    Kemmer: Das ist ein Problem. Man muss natürlich einräumen, dass die EZB ihre Politik nicht nur für Deutschland macht, sondern für ganz Europa, und da gibt es natürlich Länder, Sie haben nur einen Namen genannt, die in einer etwas anderen wirtschaftlichen Situation sind als Deutschland. Aber Sie haben den entscheidenden Punkt auch schon genannt: Wichtig ist, dass die Staaten ihre Hausaufgaben machen, dass sie wirtschaftliche Strukturreformen angehen, dass sie den Arbeitsmarkt öffnen und und und. Und solange diese Niedrigzinspolitik anhält, ist natürlich der Anreiz oder der Druck zu solchen Reformen deutlich niedriger. Deswegen ist einfach der Grenznutzen, der zusätzliche Nutzen, den Zinssenkungen spenden oder in der jüngeren Vergangenheit gespendet haben, extrem begrenzt. Das heißt, die EZB hat ihr Pulver im Grunde genommen schon verschossen. Und selbst wenn wir auf ganz Europa schauen, also auch auf die Länder, die schwächer sind, insbesondere auch Länder im Süden Europas, müssen wir sehen, dass es an der Zeit wäre, hier vorsichtig eine Wende einzuleiten und einzuläuten.
    Müller: Herr Kemmer, das hört sich so an, als sei das ein ganz klarer Fehler, an dieser Null-Zins-Politik festzuhalten.
    Kemmer: Ich will da nicht urteilen über die Europäische Zentralbank.
    Müller: Aber können Sie doch machen. Sie verstehen doch so viel davon.
    Kemmer: Draghi macht im Grunde genommen schon einen vernünftigen Job. Aber er kann der Politik nur Zeit kaufen und die Politik muss reagieren, und das tut sie nicht in ausreichendem Maße. Das heißt, die EZB sitzt ein Stück weit in der Falle. Sie hat sich allerdings in die Falle auch selbst hineinmanövriert. Das heißt, sie trägt sicherlich eine gewisse Mitschuld an dem Dilemma, in dem wir momentan stecken. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die hier ein Draghi-Bashing betreiben und die Schuld alleine bei ihm sehen.
    "Wir sitzen alle und die EZB an erster Stelle im Moment in der Falle"
    Müller: Brauchen Sie ja nicht. Aber ich verstehe das nicht? Was Sie gerade argumentiert haben, dass die EZB mit ihrem Latein am Ende ist und im Grunde ja auch Stabilität und Wachstum gefährdet. Da verstehe ich nicht, warum Sie dann nicht sagen, dass die Null-Zins-Politik möglichst schnell zumindest verändert werden sollte, abgeschafft werden sollte, und Draghi gar nicht vernünftig ist, sondern diejenigen unterstützt in Europa, die keine Lust haben, ihre Hausaufgaben zu machen.
    Kemmer: Es wäre absolut richtig, wenn man die Null-Zins-Politik langsam beenden würde. Nur wie gesagt: Wir sitzen alle und die EZB an erster Stelle im Moment in der Falle, denn wenn Sie jetzt schnelle Zinserhöhungen machen, ist das für die Märkte auch schwierig. Dann haben Sie Abschreibungen auf festverzinsliche Wertpapiere, Sie kriegen möglicherweise konjunkturelle Probleme, Sie kriegen möglicherweise Probleme an den Finanzmärkten. Das heißt, wir sitzen jetzt ein bisschen im Schlamassel drin, und da gibt es nun keine ganz einfachen und ganz schnellen Lösungen. Das heißt, da muss man versuchen, sich langsam, Schritt für Schritt rauszuarbeiten, und die Hauptverantwortung liegt hier bei der Politik, insbesondere in den südlichen Ländern, und sie muss aber auch begleitet werden von mutigen Maßnahmen in der Europäischen Zentralbank. Die müssen beide hier gut zusammenspielen und da gibt es sicherlich noch ein bisschen Potenzial für eine bessere Kooperation.
    Müller: Ist das aus deutschem Interesse nach wie vor richtig und wichtig, dass die Europäische Zentralbank machen kann, was sie will, dass sie unabhängig ist, dass sie nicht politisch kontrolliert werden kann?
    Kemmer: Absolut! - Absolut! - Die Europäische Zentralbank ist ja dem Modell der Bundesbank nachgebildet. Wir haben in vielen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr, sehr gute Erfahrungen mit der Unabhängigkeit der Bundesbank gemacht. Für meinen Geschmack ist die Europäische Zentralbank vielleicht sogar gar nicht so unabhängig, wie sie eigentlich sein sollte, weil sie letztendlich auch, ich will jetzt nicht sagen, unter politischen Pressionen steht, aber schon ein bisschen das nicht Machen der Hausaufgaben der einzelnen Regierungen ausbügeln muss.
    Müller: Italienischer Druck, französischer Druck?
    Kemmer: Ich würde das jetzt nicht auf bestimmte Nationen fokussieren wollen.
    Müller: Können Sie doch tun, damit wir ein klareres Bild haben.
    Kemmer: Es ist sicher kein Thema von Deutschland. So viel kann man sagen. Für welche anderen Länder die Notenbankpolitik im Moment sehr günstig ist, da kann man drüber spekulieren, da gibt es unterschiedliche Ansichten. Aber möglicherweise wäre eine noch unabhängigere Zentralbank, die auch mit etwas mehr Härte durchsteuert, so wie es ja auch immer wieder Bundesbankpräsident Weidmann eingefordert hat, vielleicht etwas effektiver. Ich räume aber ein: Es ist da schon einfach, vom grünen Tisch aus gute Ratschläge zu geben. Der Draghi hat hier keine einfache Position. Wie gesagt, ich gehöre auch nicht zu denjenigen, die sagen, der müsste jetzt mal nur und dann wäre ganz schnell alles in Ordnung. Es ist schon eine sehr vertrackte Situation.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Danke, dass Sie wieder für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Kemmer: Gerne! Danke gleichfalls. Auf Wiederhören, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.