Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Europäisches Grenz-Puzzle

In der niederländischen Gemeinde Baarle liegt die belgische Enklave Baarle-Hertog. Das ist an sich noch nichts Ungewöhnliches, schließlich gibt es Enklaven in Europa häufiger. In Baarle jedoch existieren 22 belgische Enklaven. Und in einigen dieser 22 belgischen Enklaven sind wiederum sieben niederländische eingeschlossen - ein kompliziertes niederländisch-belgisches Puzzle.

Von Julius Stucke | 26.05.2009
    Es ist ein kurzer Spaziergang vom östlichen Rand der Gemeinde Baarle über die Kapelstraat ins Zentrum. Vorbei an plattem holländischen Land, an Wiesen und Äckern. Der Geruch einiger Bauernhöfe weht aus der Ferne herüber, links und rechts der Straße stehen Backsteinhäuser. Auf dem kurzen Fußweg von rund zehn Minuten, passiert man ganze fünfmal die niederländisch-belgische Grenze. Vorausgesetzt man läuft auf der rechten Straßenseite - links wechselt das Staatsgebiet nur einmal.

    Auf dem Singel, dem länglichen Platz im Zentrum, erklingt das Glockenspiel des Gemeindehauses. Hier arbeitet Jan Hendrikx, Bürgermeister des holländischen Teils Baarle-Nassau. Er nennt den Grenzverlauf in Baarle launisch:

    "Die Grenzen gehen durch Häuser, Gärten, Straßen. Es ist möglich mit dem Kopf in Belgien zu schlafen und mit den Füßen in Holland."

    Die Grenze verläuft kreuz und quer ist jedoch deutlich gekennzeichnet. Mal durch weiße Kreuze auf dem Boden, mal durch silberne Metallplättchen auf der Straße. Zu welchem Land ein Gebäude gehört, zeigt das Schild mit der Hausnummer: Es trägt eine belgische Flagge oder die holländischen Nationalfarben. Die Nummerierung verwirrt: Steht man eben noch vor dem belgischen Haus Nummer 7, kann das nächste Gebäude bereits die holländische Nummer 20 sein. Die Lage der Eingangstür entscheidet über die Nationalität des Hauses.

    Eine Ausnahme: der Getränkemarkt, De Biergrens, die Biergrenze. Der Laden hat zwei Hausnummern, zwei Adressen, zwei Telefonnummern, eine niederländische und eine belgische. Die Grenze läuft quer durchs Geschäft. An der Kasse, auf holländischem Staatsgebiet, steht die belgische Verkäuferin Hilde van Bavel. Zwischen den Menschen in Baarle sagt sie lachend, gebe es keine Grenze. Alle teilten die Begeisterung für das belgische Bier. Das Geschäft zu führen sei jedoch kompliziert:

    "Wir kaufen unsere Produkte in zwei Ländern und zahlen Steuern in zwei Ländern, wir haben zwei Firmen unter einem Dach, zwei Buchhaltungen. Die Menschen in Europa wachsen zusammen aber die Steuern nicht. Zwei Länder, zwei Gesetze - da muss Europa noch etwas tun."

    Und auch für die beiden Bürgermeister ist die Situation nicht immer einfach. Müssen sie doch auf engem Raum zwei unterschiedliche Länder, verschiedene nationale Gesetzgebungen unter einen Hut bringen. Die Konsequenz: Das meiste existiert doppelt. Polizei, Feuerwehr, Müllabfuhr.

    Die Einwohner von Baarle jedoch wussten stets aus der Situation zu profitieren: bis sich Belgien, die Niederlande und Luxemburg durch den Benelux-Vetrag auf einen weitgehend freien Warenaustausch einigten - bot der komplizierte Grenzverlauf hervorragende Bedingungen für Schmuggler:

    "Ja, das war unsere größte Industrie, der Schmuggel."

    Sagt Jan Van Leuven, Bürgermeister des belgischen Teils, Baarle-Hertog. Das große Schmuggeln ist Vergangenheit. Aber vom täglichen Grenzübertritt profitieren die Bewohner bis heute. Benzin kostet an den belgischen Tankstellen weniger, Lebensmittel sind in Holland billiger. Und nicht zuletzt lockt das Puzzle von Baarle Touristen in den Ort. Es gibt also keine Bestrebungen, die Grenzziehung zu vereinfachen. Auch nicht über die Gemeinde hinaus:

    "Baarle-Hertog, das ist kein großes politisches Problem. Das ist Mikroskopie. In Brüssel weiß man nicht, dass eine Enklave besteht. Unser König, Albert II. weiß nicht, dass wir bestehen. Er weiß nicht, dass er noch 22 Kolonien in Ausland hat. So - man ist vergessen. Eine andere Seite der Geschichte: Unsere einzige Sache die wir haben ist unsere Grenze. Das ist unser Reichtum!"

    Und diesen Reichtum pflegt Baarle. Bürgermeister Van Leuven plant gerade ein neues belgisches Gemeindehaus - mit einer weltweit einzigartigen Besonderheit: Die Staatsgrenze wird quer durch den Rathaussaal verlaufen.