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Europäische Jugendgarantie
Suche nach Wegen aus der Jugendarbeitslosigkeit

Ängste gehen in der EU um, dass die Corona-Krise eine neue "Lost Generation" hervorbringen könnte. Bereits jetzt sind 17 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos – Tendenz steigend. Dieser Entwicklung will die EU mit der europäischen Jugendgarantie gegensteuern.

Von Tonia Koch | 12.09.2020
Group of teenagers in the street Credit © Gruppe Teenager auf der Straße
Gruppe Teenager: Jugendarbeitslosigkeit führt in die Perspektivlosigkeit (picture alliance / Photoshot / Luigi Innamorati/Sintesi)
"Wir brauchen ein Europa, das sich um seine Jugend kümmert", sagt der für Beschäftigung zuständige EU-Kommissar Nicolas Schmit. Und zwar ganz besonders jetzt, mahnt der Kommissar. "Die Betriebe stellen keine Jugendlichen ein. Und das ist keine Kritik an den Unternehmen. Die Unternehmen sind in einer totalen Unsicherheit. Keiner weiß so richtig, wie es weitergehen soll. Und da sind die Jugendlichen die ersten, die betroffen sind."

Es stehe zu befürchten, dass die Jugend in Europa, vor allem jene, die an der Schwelle zwischen Schule und Beruf oder Schule und Ausbildung stünden, Opfer der wirtschaftlichen Auswirkungen der weltweiten Gesundheitskrise werden.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Besonders für Jugendliche ist Langzeitarbeitslosigkeit eine reelle Gefahr, wie eine Krankheit. Eine Krankheit, die sich einnistet. Und deshalb müssen wir jetzt aktiv werden, um eben so weit wie möglich diese Langzeitarbeitslosigkeit auch bei Jugendlichen zu verhindern."
Europäische Jugendgarantie wird reaktiviert
Damit die jungen Leute einen Fuß in die Tür bekommen, will die EU ein altbekanntes Instrument wiederbeleben, die sogenannte Jugendgarantie. Sie verspricht jedem Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren, der einen Arbeits- oder einen Ausbildungsplatz sucht, dass ihm innerhalb von vier Monaten ein Angebot unterbreitet wird. Das muss nicht immer der Traumjob sein, das kann auch ein Praktikum oder eine Weiterbildungsmaßnahme sein.
Darauf haben sich die EU-Mitgliedsstaaten im Juli dieses Jahres verständigt. 2013, als in Folge der Finanzkrise die Jugendarbeitslosigkeit in Europa stark anstieg, wurde die europäische Jugendgarantie erstmals aufgelegt. Auch dieses Mal sei der Ansatz grundsätzlich richtig, sagt Professor Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):
"Man darf bei Jugendlichen keinen Stillstand riskieren. Wir wissen aus vergangener Forschung, dass Jugendliche, die sozusagen im Übergang von Ausbildung in das Berufsleben ein Leben lang benachteiligt bleiben, wenn dieser Übergang schlecht klappt. Wenn sie Monate oder vielleicht auch Jahre keinen Job haben. Man spricht hier einfach von Humankapitalverlust. Insofern ist es tatsächlich von zentraler Bedeutung, dass man alles tut, um Jugendarbeitslosigkeit zu verhindern."
Die Entwicklung in Europa ist nicht einheitlich. Im Schnitt hatten Ende Juli 17 Prozent der erwerbsfähigen jungen Leute in der EU keinen Job. In Spanien etwa stieg die Jugendarbeitslosigkeit im Sommer auf 42 Prozent. In Griechenland sind fast 38 Prozent der jungen Leute betroffen. Und auch in Finnland oder Frankreich hat jeder fünfte Jugendliche momentan keine Aussicht auf eine Beschäftigung.
Duales System schützt vor hoher Jugendarbeitslosigkeit
Andere Länder, darunter Deutschland mit 5,7 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, scheinen besser durch die Krise zu kommen. DIW-Forscher Kritikos sieht darin in erster Linie einen Erfolg des dualen Ausbildungssystems. Es sei besser in der Lage, die Jugendlichen beruflich neu auszurichten. Denn in der aktuellen Umbruchphase müssten die Branchen definiert werden, die künftig Bedarf hätten. Und das könne ein mit der Wirtschaft verzahntes System besser als rein staatliche Ausbildungssysteme, wie sie in den meisten EU-Ländern vorzufinden sind.
"Wir kriegen hier über die Unternehmen eben auch direkt Signale aus dem Markt, wo Bedarfe sind und wo nicht. Und dadurch wird aus meiner Sicht der Anpassungsprozess in Deutschland besser funktionieren, auch wenn es jetzt vielleicht von der Zahl her jetzt etwas weniger Angebote gibt. Aber die Ausrichtung in zukünftige Märkte dürfte in Deutschland besser sein als bei einem rein staatlichen Angebot."
Junge Erwachsene mit Atemschutzmaske arbeitet stehend an einem Tisch in einer Werbefirma
Coronakrise: 3.000-Euro-Ausbildungsprämie erntet Lob und Kritik
Damit sich der Fachkräftemangel durch die Coronakrise nicht zusätzlich verschärft, hat die Bundesregierung eine Ausbildungsprämie beschlossen. Sie soll Betriebe mit bis zu 3.000 Euro pro Azubi bezuschussen, wenn sie die Zahl ihrer Ausbildungsplätze stabil halten oder sogar steigern können.
Ob der Markt es tatsächlich regeln kann, dass kein ausbildungsfähiger oder erwerbsfähiger Jugendlicher durch den Rost fällt in der Corona-bedingten wirtschaftlichen Schwächephase, daran gibt es auch Zweifel. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) weist darauf hin, dass die Zahl der Betriebe, die noch ausbilden, mittlerweile unter 20 Prozent liegt und bereits jetzt viele junge Menschen in Deutschland die Schulen ohne Abschluss verlassen. Der DGB fordert deshalb eine gesetzliche Ausbildungsgarantie. Matthias Anbuhl, zuständig für Bildungspolitik im DGB-Bundesvorstand:
"Dieses System hat seit zwei Jahrzehnten ein Problem. Wir schaffen es nicht, Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss oder mit schlechtem mittlerem Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss zu integrieren. Und wir schaffen es zu schlecht, Kinder aus Einwandererfamilien zu integrieren. Und die Folge ist, dass wir seit Jahren eine hohe Zahl an Jugendlichen ohne Berufsabschluss haben. Das sind 1,4 Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren. Und da schaffen wir es mit den Marktmechanismen nicht, diese Zahl abzubauen. Und deswegen brauchen wir eine Ausbildungsgarantie, die dieses duale System ergänzt."
DGB: Europäische Jugendgarantie keine Option für Deutschland
Eine europäische Jugendgarantie als eine Art Brücke ins Arbeitsleben sei für Deutschland keine Option glaubt Anbuhl. Deutschland brauche keine Mittel zur Finanzierung von Projekten, sondern strukturelle Veränderungen.
"Deswegen sind wir in diesem Fall für die Ausbildungsgarantie, die in Deutschland vom Staat mitgetragen wird. Und wir schlagen auch vor, dass man regionale Ausbildungsfonds bildet, in denen eben auch Unternehmen miteinbezahlen und aus denen auch die außerbetriebliche Ausbildung finanziert wird. Eine Jugendgarantie der EU, die auf projektfinanzierte Mittel setzt, die könnte eine Ausbildungsgarantie, eine gesetzlich verankerte, nicht ersetzen."
Weder das Modell einer Ausbildungsgarantie, das Österreich bereits seit Jahren praktiziert, noch das Modell einer europäischen Jugendgarantie schaffen neue Arbeitsplätze. Das weiß auch EU-Kommissar Nicolas Schmit:
"Die Jugendgarantie ist kein Allheilmittel, aber das Signal, okay, wir versuchen dir jetzt beizustehen. Aber am Ende brauchen wir Arbeitsplätze."
Schmit redet aus Erfahrung. Vor ein paar Jahren, als die Finanzkrise die europäische Jugendarbeitslosigkeit auf traurige Rekordhöhen von EU-weit über 25 Prozent schraubte, war der Sozialdemokrat Arbeitsminister in Luxemburg. Er setzte damals um, was nun mit geringfügig veränderten Vorzeichen erneut EU-weit versucht werden soll. 24 Millionen jungen Menschen in der EU sei der Zugang zum Arbeitsmarkt über die Jugendgarantie zumindest erleichtert worden, erläutert Schmit. Auch in Luxemburg habe die Jugendarbeitslosigkeit dadurch deutlich gesenkt werden können.
Krisenszenario wiederholt sich
Heute wiederholt sich jedoch selbst für ein reiches Land wie Luxemburg das Krisenszenario vergangener Tage. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land liegt aktuell bei 26 Prozent - ein europäischer Spitzenwert. Die Übergänge funktionierten nicht in der Krise, sagt Ariane Toepfer, Leiterin des gemeinnützigen Arbeitsvermittlungsinstituts Youth & Work.
"Ich glaube, dass es ein grundsätzlich strukturelles Problem ist. Und dass die COVID-Krise die Probleme, die da waren, massiv verstärkt haben und an die Oberfläche gebracht haben."
Bei den privaten luxemburgischen Vermittlern landen inzwischen weit mehr als nur die vermeintlich aussichtlosen Fälle. Denn die Tatsache, dass Unternehmen keine jungen Leute einstellten oder die Jugendlichen kündigten, beleuchte nur eine Seite der Medaille. Problematisch sei auch der allgemeine Zustand der jungen Bewerber, argumentiert Toepfer.
"Wir erleben den Gesamtzustand der Jugendlichen als wesentlich desolater als noch vor einem halben Jahr. Das heißt, wir merken, dass sie gesundheitliche Probleme haben, dass sie sehr viel Angst haben, sehr frustriert sind und sich passiv verhalten, dass sie häufig große finanzielle Probleme haben, dass sie Wohnungsnot haben, dass sie Krisen haben im familiären Umfeld, dass sie Tendenzen der Abhängigkeit, gerade der Spielabhängigkeit entwickelt haben. Und dass sie häufig völlig orientierungslos sind. Und dann werden die Probleme sehr komplex, dann geht es weit über eine reine Arbeitsberatung hinaus."
Wer Youth & Work aufsucht, kommt freiwillig und will arbeiten. Die Erfolgsquote des individuellen Coachings, das für die Teilnehmer gratis ist, könne sich sehen lassen. Für dreiviertel der Kandidaten zahle sich die Anstrengung aus, so Toepfer.
"Am Schluss steht immer bei uns ein Ausbildungs- und ein Arbeitsvertrag. Und wir versprechen den Jugendlichen, dass wir dabeibleiben, bis er das erreicht hat. Das kann sein, dass das drei Monate dauert. Und es kann auch bei sehr komplizierten Fällen anderthalb Jahre dauern. Deshalb auch die hohe Anzahl der Jugendlichen, die das schafft."
Das Beispiel Luxemburg zeigt, dass der Erfolg staatlich gestützter Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen im Wesentlichen von zwei Voraussetzungen abhängt. Es braucht zum einen eine anziehende Konjunktur, die für Zuversicht bei den Unternehmen und damit für mehr Beschäftigung sorgt. Zum anderen ist die Qualität der Angebote entscheidend. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Arbeitsplatz, um Praktika oder Fortbildungen handelt.
Europäischer Rechnungshof rügte 2017 die Jugendgarantie
2017 hat der europäische Rechnungshof das erste Programm der EU-Jugendgarantie unter die Lupe genommen. Das Urteil der europäischen Prüfer fiel nicht eben schmeichelhaft aus. Die Jugendgarantie sei den ursprünglich an sie geknüpften Erwartungen nicht gerecht geworden, heißt es im Bericht. Einschränkend müsse jedoch drauf hingewiesen werden, dass die meisten EU-Länder mit den Fördermaßnahmen, die sie aufsetzen sollten, völliges Neuland betreten hätten, sagt der zuständige Berichterstatter des Europäischen Rechnungshofes, Emmanuel Rauch.
"Es war eine ganz neue Initiative, ein wirklich ehrgeiziges Projekt, bei dem sehr viel Geld im Spiel war und das von den Verwaltungen verlangte, sich neu aufzustellen und die Probleme am Arbeitsmarkt neu zu denken, sich ihnen anders zu nähern. Es ist daher schwierig, in kurzer Zeit eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen. Vor allem, weil wir sehr früh geprüft haben, und zwar bereits drei Jahre nachdem das Programm gestartet wurde. Und da standen nur wenige belastbare Ergebnisse zur Verfügung."
Jugendliche ohne Perspektive wurden nicht genügend gefördert
Versagt hätten die geprüften Mitgliedsstaaten insbesondere bei der zentralen Aufgabenstellung, jungen Erwachsenen, die keiner Beschäftigung, Ausbildung oder Fortbildung nachgehen, unter die Arme zu greifen. Die EU fasst diese Gruppe unter dem Sammelbegriff NEETS zusammen und die Gruppe ist überaus heterogen. Dazu zählen neben jenen, die arbeitssuchend gemeldet sind und gute Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt haben, auch junge Frauen, die sich der Familie widmen und im Hinblick auf den Arbeitsmarkt als inaktiv gelten. Besonders hilfsbedürftig aber seien – so Rauch - junge Menschen mit gebrochener Schul- und Erwerbsbiografie.
"Dieser Personenkreis ist sehr schwer zu erfassen. Und selbst wenn es gelingt, sie zu erreichen und sie im System zu registrieren, ist es äußerst schwer, sie zu überzeugen, sich auf eine Ausbildung einzulassen. Sie sind völlig entmutigt und gehen davon aus, dass, egal was sie auch tun, sie keine Chance am Arbeitsmarkt haben werden. Mit dieser Gruppe zu arbeiten ist richtig schwer, kostet das meiste Geld und fordert von den Verwaltungen viel Engagement."
Mit der Mund- und Nasen-Bedeckung als ständigem Begleiter geht eine junge Frau an aufgestapelten Papierrollen entlang. Der Hintergrund ist unscharf. 
Corona und Azubis – alles auf den Kopf gestellt
Anfang August startet traditionellerweise das neue Ausbildungsjahr. Aber in diesem Sommer ist alles anders und für so manchen Azubi platzen Träume. Denn durch die Corona-Pandemie ist der Weg zum Ausbildungsvertrag schwieriger geworden. Politik und Wirtschaft wollen gegensteuern.
6,5 Milliarden Euro hatte die EU zwischen 2013 bis 2020 denjenigen Regionen zur Verfügung gestellt, die am stärksten von Jugendarbeitslosigkeit betroffen waren. Aber in der Anfangsphase seien die Mittel verpufft, weil sie nicht zielgerichtet eingesetzt worden seien. Mittlerweile aber seien Fortschritte zu beobachten, sagt der Rechnungshofexperte.
"Positiv ist, dass alle EU-Länder inzwischen auf diese Gruppe schauen und die NEETS nicht länger sich selbst überlassen. Und die Länder haben sich vielfach organisatorisch so aufgestellt, dass sie den jungen Menschen auch Praktika, Weiterbildungen oder Ausbildungen anbieten, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Da hat sich viel bewegt auf administrativer Ebene. Und die Zahlen, die von der Kommission veröffentlicht wurden, zeigen, dass inzwischen 50 Prozent der NEETS tatsächlich ein Angebot innerhalb von vier Monaten erhalten. Und das ist schon ein enormer Fortschritt."
EU-Kommission kommt koordinierende Funktion zu
Die Umsetzung der Programme ist und bleibt Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Die EU-Kommission nimmt lediglich eine koordinierende Funktion ein. Es mache einfach keinen Sinn, alle über einen Kamm zu scheren, individuelle Lösungen seien gefragt, sagt EU-Kommissar Nikolas Schmit.
"Die Mitgliedsstaaten wurden jetzt aufgefordert, Pläne zu entwerfen, um eben auch an dieses Geld von Recovery-and-Resilience-Fund zu kommen. Und in diesen Plänen müssen sie natürlich auch darlegen, welche Maßnahmen sie treffen eventuell, um Arbeitslosigkeit und besonders Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und die Pläne werden natürlich auch unter die Lupe genommen, um zu sehen, ob das passt und ob damit die Zielsetzungen auch erreicht werden. Aber es ist klar, es gibt nicht "one size fits all," das kann es nicht geben. Wir müssen uns also immer auch an die präzisen Gegebenheiten der Mitgliedsstaaten anpassen."
Der europäische Wideraufbauplan ist der große finanzielle solidarische Rahmen. Er soll Investitionen in den Umbau der europäischen Volkswirtschaften ankurbeln, um diese krisenfest zu machen. Daneben stehen Soforthilfen bereit sowie die bekannten Finanzinstrumente wie beispielsweise der Europäische Sozialfonds. Insgesamt werde viel Geld benötigt, um diese drängenden Probleme in den Griff zu bekommen, sagt der Kommissar mit Verweis auf die Erfahrungen aus der Finanzkrise.
"Damals wurden 22 Milliarden freigestellt, um arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu finanzieren in den Mitgliedstaaten für die jungen Menschen. Und so, wie die Krise sich jetzt angebahnt hat, wir haben ja eine Rezession, die ja viel stärker ist als die Rezession bei der Finanzkrise, müssen wird zumindest mal davon ausgehen, dass wir 22 Milliarden bereitstellen müssen. Ich würde sagen, es könnte noch mehr sein. Und dass wir einen Teil dieses Geldes schnell lockermachen."
Kleine und mittlere Unternehmen sollten mehr unterstützt werden
Ergänzend wirbt Schmit auch für die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen. Die sogenannten KMU sollen – wie es bereits Beschlusslage in Deutschland ist – Zuschüsse bekommen, wenn sie sich dazu entschließen, in schwieriger Zeit doch auszubilden, ihre Auszubildenden zu halten oder von Unternehmen, die den Marktgegebenheiten nicht standhalten und aufgeben müssen, Auszubildende zu übernehmen.
"Davon verspreche ich mir, dass die KMU sich bewusst werden, dass sie diese Leute, die sie heute nicht ausbilden, morgen nicht auf dem Arbeitsmarkt finden werden."
Da in vielen EU-Ländern die Ausbildung nach wie vor staatliche Aufgabe ist und nicht in erster Linie bei den Unternehmen angesiedelt ist, sollte den kleineren Betrieben mit Einstellungsprämien, Lohn- und Gehaltszuschüssen sowie der befristeten Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen geholfen werden.
Auch der sogenannten europäischen Ausbildungsallianz will die Kommission neue Impulse verleihen. Es handelt sich dabei um eine Plattform von interessierten europäischen Regierungen und Interessengruppen, darunter Gewerkschaften, Unternehmen, Verbände und Kammern, die sich darüber austauschen, wie die Lehrlingsausbildung in Europa verbessert werden kann. Die Bundesregierung hat sich dabei zum Ziel gesetzt, das System der dualen Ausbildung zu exportieren. Aber das sei einfacher gesagt als getan, findet Alexander Kritikos vom DIW.
"Wir wissen aus Versuchen mit einzelnen Ländern, dass die Einführung eines solchen dualen Systems mit massiven Schwierigkeiten verbunden ist. In der Tat geht es eben darum, die Sozialpartner dauerhaft und verbindlich da miteinzubinden. Und das ist eben etwas, was sehr mühselig ist und eben über viele Jahre hinweg entwickelt werden muss. Da geht es eben auch darum, dass beide Seiten eines solchen Systems aufeinander zugehen müssen, Vertrauen gegenseitig entwickeln müssen, was in vielen südeuropäischen Ländern insbesondere nicht gegeben ist. Denn der Austausch etwa zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ist in sehr vielen Ländern sehr viel konfrontativer, als wir das eben aus Deutschland kennen."
MobiPro sollte ausländische Jugendliche zur Ausbildung nach Deutschland holen
Parallel startete die Bundesregierung 2013 das Sonderprogramm MobiPro-EU. Ziel war es, die Mobilität von ausländischen Jugendlichen zu fördern, die an einer Ausbildung interessiert waren. Überwiegend spanische Jugendliche sind dem Aufruf gefolgt.
Die Gangschaltung klemmt, Ivan Alcolea nimmt sich ihrer an. Der Mallorquiner hat zu Hause einen Deutschkurs absolviert, kam in ein Fahrradgeschäft, um ein Praktikum zu machen und ist geblieben. Für den 23-Jährigen war es wichtig, seinem Leben eine neue Wendung zu geben.
"Ich wollte auch nicht mehr so ein Jahr irgendwo arbeiten, so als Kellner, dann als Verkäufer in einem Geschäft. Ich habe auch an der Rezeption eines Fitnessstudios gearbeitet, so wie Minijobs. Aber man verdient kein richtiges Geld. Mit so etwas kann man nicht leben. Und bei mir ist es ganz schön wichtig, dass die Arbeit Spaß macht."
Seine Ausbildung zum Fahrradmechaniker hat der passionierte Fahrradfahrer inzwischen erfolgreich abgeschlossen und ist zurück auf Mallorca. Auch Ana Rocio Fernandez, eine junge Frau aus Cadiz, hat eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau in einem saarländischen Juweliergeschäft erfolgreich abgeschlossen.
"Die Eltern, sie sind ein bisschen traurig, aber sie verstehen, wir müssen arbeiten, wir müssen unser Leben haben, die Wohnung, ein Auto. Wir sind jung, und wir haben keine Arbeitsmöglichkeiten in Spanien. Sie verstehen die Situation."
Eine Pflegekraft misst den Blutdruck eines Patienten. Von beiden sind nur die Hände und Arme zu sehen.
Fachkräfte auf Wanderschaft
Fachkräfte werden mittlerweile in vielen Berufen gesucht und auch gezielt aus dem Ausland angeworben. Doch der Weg in den Arbeitsmarkt ist weder für Hochschul- noch für Berufsabsolventen leicht.
Ana ist in Deutschland geblieben. So gut geschlagen wie sie und Ivan Alcolea haben sich jedoch längst nicht alle. Martin Claus von der Bundesagentur für Arbeit zieht Bilanz.
"Die Frage der Abbrüche ist eines der großen Themen gewesen. Am Ende werden wir circa 80 Prozent der Menschen haben, die frühzeitig aus dem Programm ausgestiegen sind. Ich neige aber dazu, so ein bisschen zu gucken, wann sind die Leute ausgestiegen. Und da wissen wir, dass schon ein Drittel überhaupt gar nicht in Deutschland angekommen ist. Circa 30 Prozent haben im Sprachkurs das Projekt wieder verlassen."
Immerhin die Hälfte derer, die tatsächlich eine Ausbildung begonnen haben, haben diese auch abgeschlossen. Der Lerneffekt bei MobiPro EU, das von der Bundesregierung mit 500 Millionen Euro ausgestattet war, sei enorm gewesen, sagt Claus. Heute wisse man, dass nicht nur nach der formalen Qualifikation der Teilnehmer geschaut werden dürfe, sondern ebenso auf das Alter und die Persönlichkeit. Auch im Inland bei der Ortswahl sei Vorsicht geboten.
"Also Heimweh ist ein ganz entscheidender Faktor gewesen oder völlig falsche Erwartungen an den Arbeitsort. Jemand, der aus Madrid kommt und dann irgendwie in Pusemuckel landet: Auch das hat natürlich zu Schwierigkeiten geführt."
Ende des Jahres läuft das Programm aus. Dann wird die Bundesregierung in etwa 210 Millionen Euro für den Versuch ausgegeben haben, Lehrlingsimport nach Deutschland zu betreiben. Eine Neuauflage ist nicht geplant. Denn dieser strategische Ansatz eignet sich zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ebenso wenig wie der Export bewährter nationaler Ausbildungssysteme.