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Israelische Einwanderer
Wunschland Deutschland

Israelis zieht es nach Deutschland. Eine neue Studie beschäftigt sich mit ihrem Leben hier. Eine der Erkenntnisse: Die Mehrheit der Zugewanderten bezeichnet sich als nicht religiös, jüdische Traditionen werden jedoch wichtiger, je länger man hier lebt. Rund ein Fünftel der Befragten berichtet von antisemitischen Erfahrungen.

Von Thomas Klatt | 08.05.2017
    Teilnehmer der Kundgebung "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" des Zentralrats der Juden in Deutschland stehen am 14.09.2014 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Zusammen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten demonstrieren mehrere tausend Menschen gegen Antisemitismus.
    Die meisten Israelis leben zwischen ein bis sechs Jahre in Deutschland, zeigt die Studie. Manche nehmen an Kundgebungen teil, wie die des Zentralrats der Juden in Deutschland gegen Judenhass vor dem Brandenburger Tor in Berlin. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Eine Party mitten in Berlin. Manche Israelis tanzen und feiern zum ersten Mal zusammen mit Arabern. Was ihnen in ihrer Heimat unmöglich und unnötig erschien, ist in Deutschland für sie plötzlich attraktiv. Die Sozialanthropologin Dani Kranz erklärt dazu: "Dann hat man ein Hervorheben der levantinischen Identität bei einigen Israelis. Man sieht sich als Teil der größeren Levante. Und dementsprechend gibt es dann Partys, die heißen Hafla. Hafla ist arabisch für Party. Das heißt, man benutzt also das arabische Wort und nicht das hebräische messiba. Und da gibt es durchaus ein Interesse an eine Annäherung an Palästinenser, andere Levantiner oder Araber. Das ist also eine gegenseitige Neugier".
    Eines der überraschenden Ergebnisse der Wissenschaftlerin von der Bergischen Universität Wuppertal. Zusammen mit der Fotografin Katja Harbi hat sie die erste breit angelegte ethnografische Studie über Israelis in Deutschland erstellt. Denn Deutschland wird für viele immer attraktiver.
    "Womit wir nicht gerechnet hatten, das ist die Rolle der Religion im Privatleben, die wird also als ein wichtiger Auswanderungsgrund, also ein push-Faktor aus Israel heraus empfunden. Allerdings sind das hier über 45 Prozent, die die jüdische Religion im jüdischen Staat als Juden als übergriffig empfinden", sagt Kranz.
    "Generell willkommen"
    Denn Heirat oder Scheidung ist in Israel nur vor einem Rabbinatsgericht möglich. Und auch der zunehmende Einfluss der Orthodoxen wird immer mehr als Belastung empfunden. Allerdings hat Dani Kranz so gut wie keine Israelis gefunden, die vor dem Militärdienst flüchten. Vielmehr sind Weiterbildung und berufliches Fortkommen Gründe, um nach Deutschland zu kommen. Andersherum sind Israelis hier hoch willkommen.
    "Israelis werden als 'gute Migranten' gesehen, teilweise als etwas laut, aber generell sind sie willkommen. Also die Behörden waren ganz happy mit den Israelis, die finden, die sind auch voll fleißig. Also den Israeli, der auf Hartz IV lebt, den gibt es eigentlich so nicht."
    Die meisten sind jung, ledig, hoch gebildet und qualifiziert. Sie leben mittlerweile zwischen ein bis sechs Jahre hier, teils auch der Liebe willen. Dani Kranz rechnet damit, dass es immer mehr deutsch-israelische Paare geben wird. Wenn sich Kinder einstellen, werden viele Israelis dauerhaft hier bleiben wollen.
    Warum aber ausgerechnet Deutschland, ausgerechnet das Land, das die Shoah zu verantworten hat? Diese Frage wurde Israelis, die auswandern wollten, lange gestellt. Auch jetzt ist sie nicht verschwunden, aber die Vergangenheit sei für viele weit weg, fand die Studie heraus.
    Die Frage nach dem Nahost-Konflikt nervt
    Aber es nerve viele Israelis, wenn sie sich ständig zum Nahost-Konflikt positionieren müssten. Zumal die meisten von ihnen regierungskritisch eingestellt seien. 70 Prozent der hier lebenden Israelis bezeichnen sich als säkular und nichtreligiös. Kaum einer von ihnen hat Kontakt zu einer jüdischen Gemeinde. Doch je länger sie jedoch hier leben, umso wichtiger werde die Tradition.
    "Mit der Dauer des Aufenthaltes wächst das Investment in das eigene Jüdischsein", sagt Kranz. "Weil, wenn ich dann irgendwas mache, so einen Feiertag, dann ist es doch wieder ein jüdischer Feiertag, weil der einzige säkulare, den ich habe, ist eben der Unabhängigkeitstag. Dass man im Grunde sagen kann, es ist eine symbolische, religiöse Praxis. Das kann man bei Israelis dann im jüdischen Rahmen sehen. Dann wird eben eine Chanukkia angezündet, auch wenn man die Lieder kaum selber noch kennt, aber das ist so ein bisschen Traditionspflege."
    Auch wenn die "christlich-jüdische Leitkultur" in politischen Reden beschworen wird, ist erkennbares "Jüdischsein" nicht allgemein akzeptiert. Rund jeder fünfte Israeli in Deutschland hat bereits antisemitische Anfeindungen und Beleidigungen erfahren müssen. Das israelische Wunschland Deutschland hat eben auch seine Schattenseiten.
    "Pegida und die AfD werden als viel gefährlicher eingestuft als Flüchtlinge. Also da ist wirklich einiges im Argen und das ist also was, wo man auch Befürchtungen hat."