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Europapremiere: Erste Ausstellung über die Inka-Kultur

Seine größte Ausdehnung hatte das indigene Reich der Inka im 15. und 16. Jahrhundert. Es erstreckte sich entlang der Andenküste von Kolumbien bis Chile. Von den Anfängen bis in die Kolonialzeit zeigt das Linden-Museum Stuttgart alles über Macht, Wirtschaft, Religion und Alltag der Inka.

Von Christian Gampert | 14.10.2013
    In den 1970er-Jahren gehörte es für Dritte-Welt-Engagierte zum guten Ton, wenigstens einmal in der Ruinenstadt Machu Picchu in Peru gewesen zu sein. Es ist deshalb verwunderlich, dass diese Stuttgarter Ausstellung über die Inka die Erste in Europa ist. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass vieles an der Inka-Kultur noch nicht ausreichend erforscht ist: Zum Beispiel vermutet man, dass die wunderbaren Muster auf den Kleidungsstücken der Inka eine Art Sprachsystem darstellen – aber wirklich lesen kann man diese Zeichen nicht.

    Vieles, was wir über die Inka wissen, basiert auf den schriftlichen Zeugnissen der spanischen Eroberer, und das ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Der spanische Eindringling Pizarro profitierte vom Konflikt der feindlichen Brüder Huascar und Atahualpa um die Königswürde, und danach wurden nicht nur die einheimischen Unterschichten in den Minen versklavt, sondern auch die indigene Kultur christianisiert.

    Die schön inszenierte Ausstellung versucht, die Geschichte der Inka aus ihren Vorläufer-Kulturen in den Anden zu verstehen: Sonne und Mond als Gottheiten, die kosmische Zahl vier, der Schöpfergott Viracocha, Lama und Al Paca als Lasttiere, als Woll- und Fleischlieferanten – solche Elemente gab es auch bei den Huari oder Chimú. Ein straff organisiertes Staatswesen erfanden dann erst die Inka. Entgegen den eigenen Ursprungsmythen, in denen sie sich als Höhlenmenschen auf der Flucht vor der Sintflut sahen, waren die Inka aber Klimaflüchtlinge: Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert verließen sie die kalte Region um den - fast 4000 Meter hoch gelegenen - Titicacasee und wanderten in das Hochtal um Cusco ein.

    Die Ausstellung erzählt entlang der wesentlichen Herrscher, die das Inka-Gebiet enorm erweiterten, die Bevölkerung vor allem im Sinne von Arbeitsleistung tributpflichtig machten und zum Teil auch umsiedelten. Das landwirtschaftliche Terrassensystem in fantastischer Berglandschaft verführt manch europäischen Betrachter, die Inka als Zeitgenossen der alten Ägypter zu sehen oder jedenfalls für sehr alt zu halten. Nichts ist falscher als das: Der Höhepunkt der Inka-Kultur liegt im Mittelalter. Manch grausame und bizarre Ritualpraxis wie zum Beispiel das Opfern kleiner Kinder wird im historischen Vergleich relativiert: Während in Europa die Hexen brannten, erschlugen die Inka ausgewählte Kinder oder ließen sie erfrieren, um die Götter gnädig zu stimmen.

    Mit Fotos, Filmen und Animationen begleitet die Schau die hochkarätigen Exponate, die uns vor allem Keramik und Kleidung näher bringen, aber auch die animistischen Vorstellungen dieser Kultur erläutern: Alles ist beseelt, und wer nimmt, muss auch geben. Andererseits baute die Elite sich prächtige Städte in unwirtlichem Klima – und war straff organisiert, sagt Kuratorin Doris Kurella.

    "Was mich an der Inka-Kultur fasziniert, ist die fast perfekte Organisation des Staates, die sehr hohe Standardisierung in der materiellen Kultur, die Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion – ein derart großes Gebiet, das aus so vielen unterschiedlichen ethnischen Gruppen bestanden hat, erfolgreich in eine große politische Einheit zu integrieren, das, finde ich, ist eine ganz kolossale Leistung."

    "Inka" nannten sich übrigens nur die Adligen, der große Rest waren Bauern und auch Sklaven. Die Städte hatten einen fast einheitlichen Grundriss, bestimmte Elemente mussten pflichtgemäß vorkommen.

    Gold und Silber hatten keinen materiellen Wert, das hatten sie erst später für die Spanier; die soziale Hierarchie wurde vor allem über Kleidung mitgeteilt.

    "Wir wissen, dass die Muster auf einem solchen Hemd den sozialen Status des Trägers, seine ethnische Zugehörigkeit und seine berufliche Funktion kommuniziert haben. Nur wir können nicht genau sagen, welches Muster welchen Beruf beispielsweise kommuniziert hat."

    Numerische Informationen wurden in dieser ansonsten schriftlosen Kultur über ein System von Schnüren weitergegeben, und das mehrere Tausend Kilometer umfassende Straßennetz wurde von geschulten Läufern, die alle 30 Kilometer einen Standort hatten, zu einem Nachrichtensystem ausgeweitet. Dann, im 16. Jahrhundert, kamen die Spanier und ihre Missionare; deren Sicht auf den Erdteil wird von dieser Ausstellung durch eine Binnen-Geschichte der Inka fein konterkariert.