Aus den Feuilletons

Das Glück des Pianisten

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Igor Levit bei der lit.Cologne 2019 Veranstaltung Warlam Schalamow - Wie davon erzählen? im WDR Funkhaus. Köln, 25.03.2019 *** Igor Levit at the lit Cologne 2019 event Warlam Schalamow How to tell about it at the WDR Funkhaus Köln 25 03 2019 Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage
Der Pianist Igor Levit kann sich nicht satthören an Beethovens "Mondscheinsonate". © www.imago-images.de
Von Hans von Trotha · 15.04.2019
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Wie schafft es ein Pianist, nachdem er ein Stück Tausende Male gespielt hat, noch Freude daran zu finden, fragt der "TAGESSPIEGEL". "Jedes Mal klingt anders", kontert Igor Levit. Und Levit ist nicht der einzige Musiker, der die Feuilletons bewegt.
Reden wir über Glück. Der englische Schriftsteller Laurence Sterne hat vor 250 Jahren geschrieben: "Fliegt das Herz dem Verstande voran, so erspart es der Urteilskraft unsägliche Mühe." Und – sind die Feuilleton-Seiten nicht das Herz der Zeitung, der Bereich fürs Gefühl und vielleicht auch fürs Glück zwischen all der Urteilskraft?
Manchmal schon. Manchmal überwältigt da das Gefühl die Urteilskraft. So beschreibt Lotte Thaler in einer Konzert-Kritik für die FAZ "Die Angst, beim Hören zerrissen zu werden", wenn Riccardo Muti und die Berliner Philharmoniker Verdis Requiem geben: Da "tut sich der Himmel auf, und das Baden-Badener Festspielhaus verwandelt sich in eine Kathedrale. … Beim Hereinbrechen des "Dies irae" dürfte es", so Thaler, "auch überzeugten Atheisten kalt über den Rücken gelaufen sein, aus Angst, bei dieser Eruption … zerrissen zu werden."

Wie Musik, Gefühl und Glück zusammenhängen...

Um Musik und Gefühl und ums Glück, das daraus am Ende werden kann, geht es auch in Franziska Dürmeiers Porträt des 83-jährigen Komponisten Terry Riley in der Süddeutschen:
"Vor mehr als einem halben Jahrhundert", schreibt Dürmeier, "als Terry Riley in Kalifornien vor dem Radio saß und die Standards der 40er Jahre auf dem Klavier nachspielte und nachsang, wurde der Grundstein für das gelegt, was folgen sollte: Der junge Riley lernte sein Spiel nach Gehör, nach Gefühl. Er sträubte sich von Beginn an gegen eine strenge klassische Ausbildung, erzählt der 83-Jährige .
"Ich habe (sagt er) zwar später gelernt, Musik zu lesen und zu schreiben, aber was ich wirklich fühlte, wohin ich wirklich wollte, war nicht die klassische Form. Ich wollte keine Musik nach Rezept machen." Sondern beim Hören, wenn schon nicht fast zerrissen, so doch glücklich werden. Und das scheint irgendwie dauerhaft gelungen zu sein: "Lachfalten", lesen wir in der Süddeutschen, "haben seine Augen umzeichnet und zeugen von den "Momenten des vollkommenen Glücks", die er empfinde(t), wenn er Musik macht."
Dazu passt, dass der Soziologe Hartmut Rosa uns im Tagesspiegel-Interview zwar eigentlich von dem eher sperrigen Begriff "Unverfügbarkeit" überzeugen möchte, über den er ein Buch geschrieben hat, dabei aber genau zu dem Punkt kommt, um den es hier geht, nämlich zur "Sehnsucht der Menschen, berührt zu werden".

Und wie das Glück wieder geht

Auch Rosa kommt mit einem Beispiel aus der Musik: "Der Pianist Igor Levit wurde gefragt, ob er die Mondscheinsonate überhaupt noch hören könne, weil er sie Tausende Male gespielt hat. Und er antwortete: Jedes Mal klingt es anders. Denn das Stück entzieht sich ihm fortwährend. Dadurch macht er immer neue Erfahrungen. Das ist sein Glück."
Das Glück des Pianisten steht Hörerinnen und Hörern allerdings nicht unbedingt zur Verfügung, denn so Hartmut Rosa: "Wir haben das verlernt. Und sagen: Von Beethoven kenne ich alles. Oder: In Italien war ich schon." – Und das war´s dann natürlich mit dem Glücksgefühl.
Wie wenig selbstverständlich die großen Glücksmomente auch in der Kunst und damit im Feuilleton sind, belegt die aktuelle NZZ, die aus demselben Baden-Baden, in dem es die Zuhörerin fast zerreißt, über eine Otello-Inszenierung von Robert Wilson zu berichten weiß, wie Gefühle aussehen, die sich nicht einstellen:
"In sanftem Blau schimmert der Horizont", schreibt Michael Stallknecht. "Die Nebelmaschinen versprühen während des eröffnenden Sturms ihre Schwaden … Maskenhaft bleiben die Gesichter gefangen im engen Lichtkreis der punktgenauen Scheinwerfer, ihre Körper in Wilsons Bewegungsrepertoire, das den Sängern jede konkrete Regung aus dem Affekt heraus versagt."
Die Regung aus dem Affekt aber scheint zum Glück zu gehören. Zumindest wenn wir Hartmut Rosa glauben. "Alles was wir tun", meint er im Tagesspiegel, "entspringt einer Sehnsucht nach Resonanz. Wir möchten uns als lebendig erfahren, indem wir uns berühren lassen." Jedoch: "Menschen stehen heute immer unter Zeitdruck und in einem Konkurrenz-verhältnis. Wir dürfen uns dabei oft nicht berühren lassen", meint Rosa, und: "Eine solche Gesellschaft erzeugt die Sehnsucht nach Resonanz, macht sie aber immer unwahrscheinlicher."
Was so ziemlich das Gegenteil von dem zu sein scheint, was Laurence Sterne gemeint hat, als er das Herz dem Verstand voranfliegen lassen wollte. Und sicher das Gegenteil von der erhabenen "Angst, beim Hören zerrissen zu werden".
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