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Europas Feinde
Von Terroristen und Radikalen

Das liberale Europa wird derzeit von vielen Seiten bedroht. Von rechts und links, von Islamisten, und Identitären, von Populisten und selbst ernannten Eurasiern. Wer die Wortführer dieser verschiedenen Bewegungen sind und was sie wollen, beschreibt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie in seinem neuen Buch "Anti-Europäer".

Von Paul Stänner | 02.01.2017
    Putin-Freund Alexander Dugin ist keiner, der eigenhändig tötet, er ist ein Theoretiker des Umsturzes.
    Er gilt als Chefideologe der "Eurasischen Bewegung": Alexander Dugin während einer Demonstration in Moskau ( dpa / ITAR-TASS / Zurab Dzhavakhadze)
    "Europa hat Feinde, und dieses Buch benennt sie."
    Anders Breivik, Alexander Dugin und al-Suri zählt Claus Leggewie namentlich auf, und fügt noch ein "und Co." an, denn mit diesen drei Personen ist die Liste nicht vollständig, sondern nur eröffnet.
    "Gemeinsam ist ihnen das Feindbild: Europa in seiner dreifachen Gestalt als Wertegemeinschaft, gemeinsamer Markt und politische Union - und die Zielsetzung: ...die Stärkung des 'Eigenen' gegen das 'Fremde', die Politisierung des Raums und die religiöse 'Verschärfung' des Politischen."
    Eurasische Union unter russischer Führung?
    Anders Breivik, der norwegische Attentäter, der im Juli 2011 mit einer Bombe acht Menschen tötete und anschließend auf der Ferieninsel Utøya 69 zumeist jugendliche Menschen erschoss, ist ein Mann, der für seine wirre Theorie mordete.
    Putin-Freund Alexander Dugin ist ein russischer Theoretiker, der nach Liberalismus, Kommunismus, Kapitalismus eine sogenannte vierte Theorie ausgearbeitet hat, die eine sogenannte eurasische Union unter russischer Führung vorsieht, die sich gegen die vermeintliche westliche Dekadenz richten will. Dugin ist keiner, der eigenhändig tötet, er ist ein Theoretiker des Umsturzes.
    Abu Musab al-Suri gilt als Architekt des globalen Dschihad und als geistiger Drahtzieher islamistischer Terrorakte.
    Narzisstisch übersteigerte Eigenliebe
    Claus Leggewie, Direktor des kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Professor in Gießen, konstruiert keine Verschwörungstheorie, sondern er vergleicht die Äußerungen dieser Anti-Europäer: Breivik versteht sich selbst als wahrer Europäer - Dugin als Eurasier. Al-Suri ist - kaum verwunderlich - alles Westliche verhasst.
    Leggewie versucht, die Persönlichkeit eines Attentäters zu entschlüsseln und findet als ganz zentralen Faktor eine narzisstisch übersteigerte Eigenliebe, die die eigene Person über alles stellt. Verbunden mit einer Märtyrerhaltung, die das eigene blutige Handeln einem übergeordneten Glaubensgut weiht: "Ich handelte im Auftrag meines Volkes, meiner Kultur, meiner Religion, meiner Stadt und meines Landes in Notwehr."
    Feinde europäischen Denkens
    Mit diesen Worten rechtfertigte sich Anders Breivik in seinem Prozess. Ähnlich verteidigte sich auch jener Attentäter, der die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker niederstach und beinahe tödlich verletzt hätte. – "Ich tue das für euch", hatte er den entsetzten Augenzeugen zugerufen.
    Was Leggewie aber weniger interessiert, sind die oft prekären psychischen Zustände von Attentätern der rechten Szene oder des islamistischen Terrors. Er versucht hinter die Denkmuster zu kommen und die gemeinsamen Visionen der unterschiedlichen Feinde europäischen Denkens und der damit verbundenen Lebensweisen aufzuzeigen.
    Der gemeinsame Hass eines Breivik oder Dugin gilt dem Islam als der vermeintlich ultimativen Form des Fremden, das sie bekämpfen. Wobei Leggewie nicht vergisst zu erwähnen, dass der islamistische Terror es den Anti-Europäern leicht macht, den Islam insgesamt in Bausch und Bogen abzulehnen.
    Hass auf Fremde, Homosexuelle und die "Lügenpresse"
    Neben der Islamfeindlichkeit, die in vielen Fällen den traditionellen Judenhass einer fremdenfeindlichen Klientel abgelöst oder ergänzt hat, gelten der Gender-Liberalismus, die Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen, ebenso als zu bekämpfendes gemeinsames Ziel wie die Wut auf kritische Medien, nach ihrem Sprachgebrauch: die sogenannte Lügenpresse.
    "Identität" ist das Schlüsselwort. Ein verengter Volksbegriff, der alles, was irgendwie anders ist, ausschließt. Wie schnell so etwas geht, zeigt Leggewie an der Wandlung des Demonstrationsslogans "Wir sind das Volk", der ehemals demokratisch unterlegt, schnell zum ethnokratischen Schlagwort "Wir sind ein Volk" mutiert ist, das den Ausschluss all dessen impliziert, was nach einer willkürlichen Bestimmung nicht zum Volk gehört: den Ausschluss des Fremden sowieso und auch alles ihren Normvorstellungen Widersprechenden wie etwa des Homosexuellen.
    Europa steht unter Druck
    Leggewie hat keinen nüchtern-abstrakten, wissenschaftlichen Aufsatz ausgearbeitet, sondern einen Essay geschrieben - durchaus mit Eifer und Zorn. Er leistet sich gelegentliche Ausflüge in den Sarkasmus und in die Polemik.
    Auf Seite 90 berichtet Leggewie über ein Treffen der europäischen Rechten, das im Januar 2016 in Mailand stattgefunden hat. Die lange Liste der Teilnehmer, für die politische Macht nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus den Wahlurnen kommen soll, ist so beeindruckend wie erschreckend. Sie reicht von Spanien über Deutschland und Frankreich bis nach Russland.
    Leggewies Arbeit legt den Schluss nahe: Europa, das freiheitliche, liberale, aus der Aufklärung und dem Erbe verheerender Kriege entstandene Europa, steht massiv unter Druck. Leggewie schlägt einige Maßnahmen vor, die Europa vor den militanten Angreifern schützen könnten:
    "Angesichts derartig horrender Aussichten asymmetrischer Kriegsführung müssen die Staaten der Europäischen Union ihre Alleingänge aufgeben und wieder in die Offensive kommen. Ob 'gezielte Militärschläge' hilfreich sind, ist die schon aufgeworfene Frage; notwendig sind in Europa eher polizeiliche Operationen von Geheimdiensten, um einsatzfähige Zellen auszuschalten."
    Ebenso wichtig, sagt Leggewie, dürfte es sein, den Terror von seinen diversen Finanzquellen abzuschneiden. Diese Vorschläge seien nicht neu, aber eben bislang noch nicht konsequent und effizient genug umgesetzt worden. Noch wichtiger als diese konkreten behördlichen Maßnahmen sei es, Europa aus der Defensive zu holen und präventiv zukunftsorientiert zu denken.
    Politische Auseinandersetzung mit Europas Feinden
    Claus Leggewie hat einige, vielleicht die wichtigsten Gegner Europas ins Auge gefasst. Sein sehr informatives Buch verdichtet die Informationshappen aus den Abendnachrichten zu einem übersichtlichen Gesamtbild, das eine eindringliche Mahnung unterfüttert:
    "Europa muss mit originellen und innovativen Vorschlägen aufwarten, wie die Zukunft des Kontinents und der Weltgesellschaft egalitär, nachhaltig und kooperativ gestaltet werden kann. Den Erzählungen über Angst, Niedergang und Unterwerfung muss es Narrative der Hoffnung und der Zivilcourage entgegensetzen."
    Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri& Co
    Edition Suhrkamp, 176 Seiten, 15 Euro