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Europas Klima auf neuen Pfaden

Klimaforschung. - Extreme Wetterlagen werden häufiger - und heiße oder besonders feuchte Sommer fallen jedem direkt auf. Doch der Einfluss des Klimawandels zeigt sich weniger in traurigen Hitze- und Niederschlagsrekorden, sondern eher in einer Verschiebung der Wetterbrennpunkte.

Von Wolfgang Nitschke | 08.11.2005
    Der Mechanismus ist bekannt. Der Himmel öffnet seine Schleusen, es blitzt und donnert und nach wenigen Minuten können die Kanalsysteme die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Unterführungen laufen voll, Straßen werden unbefahrbar. In den Bergen ist das Szenario noch gewaltiger, denn innerhalb kurzer Zeit werden aus friedlichen Bergbächen reißende Ströme, die sich mit Wucht in die Täler ergießen. Ein Phänomen der letzten zehn oder 15 Jahre denken wir alle, aber das stimmt nicht. Dr. Bruno Rudolf, Hydrometeorologe beim Deutschen Wetterdienst:

    "Der heftigste Kurzzeitniederschlag, der je gefallen ist, der ist schon 1920 gefallen und das waren 126 Liter pro Quadratmeter in acht Minuten. Also wenn man diesen, extremen Ausnahmefall mit einbezieht, dann sind die Starkniederschläge heute auch nicht außergewöhnlich. Obwohl wir durchaus in den bisherigen Beobachtungsdaten eine gewisse Tendenz nachweisen können, statistisch, dass sowohl die trockenen, als auch die extrem nassen Perioden sich vermehren, wobei der Gesamtniederschlag eben sich nicht verändert."

    Grund dafür ist der Klimawandel, der durch den Treibhauseffekt verursacht wird. Der sorgt dafür, dass es im Sommer zukünftig immer trockener und heißer wird, meint Professor Wolfgang Seiler, Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen. Aber:

    "Es werden immer mehr so genannte 5B-Wetterlagen auftreten, das heißt, Tiefdruckgebiete, die über die Alpen dann zu uns stoßen. Und dann, je nachdem wo sich diese Tiefdruckgebiete festlegen, gibt es dann intensive Niederschläge, so dass es dann zu einer Situation kommt, es wird immer trockener, aber wenn es dann mal regnet so intensiv, dass alles überschwemmt wird."

    Das gab es vor wenigen Jahren noch nicht, aber die Ursache ist einfach erklärt.

    "Die Hoch- und die Tiefdruckgebiete ziehen andere Bahnen und der Niederschlag wird ja sehr sehr stark durch die Lage der Alpen bestimmt. Und je nachdem wie diese Tiefdruckgebiete jetzt ziehen, werden dann ganz bestimmte Gebiete mehr oder weniger stark in Mitleidenschaft gezogen."

    Erklären können die Wissenschaftler die Situation also durchaus, Sorge bereitet ihnen jedoch die Sorglosigkeit der Bevölkerung. Wenn es zum Hochwasser kommt, sind die Medien da und auch die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist groß. Nur die direkten Schäden etwa des Augusthochwassers zu sehen, hält Professor Seiler aber für kurzsichtig.

    "Es gibt bei uns die Veränderung der Zugbahnen der Orkantiefs. Das heißt Ökosysteme, Waldgebiete, die nie mit so starken Windgeschwindigkeiten in Berührung kommen, werden in der Zukunft immer stärker betroffen. Und das sieht man dann ja auch, wenn so einen Orkantief über das Gebiet zieht, dass dann die Ökosysteme - die Wälder - extrem stark geschädigt werden. Es werden die Gewitter immer stärker, intensiver werden, sie werden mit Hagel verbunden sein und das hat immer Auswirkungen auf die Gebäude, die Landwirtschaft. So gibt es eine ganze Reihe von anderen Dingen, die hier eine Rolle spielen. Die Gesundheit lassen viele außer Acht. Obwohl gerade 2003 Jahr ein klassisches Beispiel war, dort haben wir innerhalb von zwei, drei Wochen 35.000 Tote beklagen müssen - das sind mehr Tote als Verkehrstote im ganzen Jahr in Europa. Also sie sehen die Dimensionen dessen, was auf uns zukommt. Auch die Ausbreitung von Krankheiten: Die Anopheles-Mücke, die jetzt hier auch schon bei uns auftritt und Malariaüberträger ist. Also die tropischen Krankheiten breiten sich immer weiter aus und wenn wir nicht dieses hygienische System hätten, würden wir vielleicht auch mal wieder, zumindest einige Teile Deutschlands – Oberrhein-Graben - wieder zum Malariagebiet."

    Schuld ist aber nicht das Wetter – die Verantwortung für das, was momentan passiert, trägt der Mensch – das ist inzwischen wissenschaftlich bewiesen.