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Europatrol fühlt der ukrainischen Politik auf den Zahn

Als einen Sieg der Propaganda bezeichneten hiesige Zeitungen die Wahl in der Ukraine. Und wo die Propaganda triumphiert, da hat der Journalismus versagt. Doch Europatrol, eine Gruppe junger Journalisten, will ihr Land an westeuropäische Standards heranführen.

Von Brigitte Baetz | 03.11.2012
    Mit der Europameisterschaft fing alles an. Die Ukraine hatte gemeinsam mit Polen den Zuschlag zum Fußballspektakel bekommen. Doch wie europatauglich ist ein Land, dass auch wohlmeinende Beobachter als strukturell zurückgeblieben bezeichnen und das zudem autoritär regiert wird? Nikolai Vorobiov, Journalist in Kiew, wollte darüber aufklären und gründete deshalb im Frühjahr mit einer Handvoll Freunden und Kollegen die Gruppe "Europatrol”.

    "Gut 75 Prozent der Ukrainer war noch nie im Ausland. Die muss man darüber informieren, was dort läuft, wie die Menschen dort leben, was Freiheiten zu haben wirklich bedeutet, was Menschenrechte. Wir versuchen mit möglichst einfachen Beispielen klar zu machen, wie die Europäische Gemeinschaft funktioniert. So sind wir vor der EM einfach mal in die Austragungsorte gefahren und haben uns als Ausländer ausgegeben und fragten auf Englisch nach Informationen."

    Bewaffnet mit einem speziellen "Europatrol”-Stahlhelm und einer Kamera unterzog Vorobiov sein Land einer Art EU-Härtetest - wie gut beispielsweise ist das Verkehrssystem - und stellte die Ergebnisse ins Internet. Ein Test, der nicht besonders positiv ausfiel. Immerhin, die Polizei verhielt sich mit einem Mal wesentlich freundlicher als sie es gemeinhin zu tun pflegt. Und Vorobiov nutzte die Zeit, um ausländische Journalisten, die in ihrer Mehrzahl zwar Fußball- aber nicht Ukraine-Experten waren, unter seine Fittiche zu nehmen und ihnen die Besonderheiten im politischen System seines Landes zu erklären. Europatrol soll also nicht nur nach innen wirken, sondern auch nach außen. Doch die Fußball-Europameisterschaft erwies sich nur als kurzer Frühling in einem ansonsten politisch eher vereisten Staatssystem. Das Land, so Nikolai Vorobiov, leide nicht nur unter seiner autoritären Führung, sondern auch unter einem Bewusstseinsmangel in der Bevölkerung über das, was demokratisch ist und was nicht.

    "Danach haben wir angefangen, die Qualität der Wahlen in der Ukraine zu berichten. Damit meine ich nicht die typischen Verletzungen der Standards. Das können viele besser beurteilen, zum Beispiel die internationalen Beobachter. Uns geht es zum Beispiel darum, dass viele Politiker ihre Wähler kaufen. Sie gründen beispielsweise Wohlfahrtsorganisationen und versorgen auf diese Weise ihre Wähler und sagen dann: Das bin ja nicht ich, aber mein Name kommt dort vor und meine Slogans."

    Die Mehrheit seiner Landsleute, so Vorobiov, wüsste überhaupt nicht, was die Europäische Union eigentlich im Kern ausmachen würde. Dass es nicht nur darum gehe, mehr Wohlstand zu erreichen.

    "Ich nenne das nicht die Europäische, sondern die zivilisierte Gemeinschaft. Für uns ist sie eine Brücke zur Zivilisation, eine der Brücken. Davon gibt es in der Ukraine leider nicht so viele."

    Den Journalisten käme in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu. Doch Journalismus sei schwierig in einem Land, dessen Medien zum größten Teil abhängig sind von Wirtschaftsinteressen und das in puncto Pressefreiheit im Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Platz 116 steht – knapp vor den Fidschi-Inseln. Vor allem in den ländlichen Gebieten der Ukraine, die immerhin der zweitgrößte Flächenstaat Europas ist, gäbe es kaum eine Möglichkeit unabhängigen Journalismus zu betreiben, so Voroviov.

    "Es passiert, dass die Offiziellen einfach kommen und die Stromverbindungen kappen. Das war es dann."

    Im Hinblick auf die mangelhafte Pressefreiheit in der Ukraine hat die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung es als fragwürdig bezeichnet, dass die Deutsche Welle gerade jetzt die Kurzwellenausstrahlung ihres russisch-sprachigen Programmes drastisch einschränkt. Das Internet sei für die Mehrzahl der Ukrainer keine Alternative. Dass viele Ukrainer gar keinen Internetanschluss haben, ist auch schlecht für aufklärenden Journalismus, wie ihn Europatrol in Eigenregie im Netz zu leisten versucht. Die Gruppe ist auf Spenden angewiesen und hofft auf westeuropäische Stiftungen, die das Projekt in Zukunft fördern sollen. Voroviov selbst arbeitet, bislang unbehelligt, freiberuflich für eine Oppositionszeitung und sieht nicht nur in politischer Repression oder dem Einfluss von Werbekunden das Hauptproblem für die Zukunft des ukrainischen Journalismus.

    "Die Gehälter sind so niedrig, dass wir sogar in leitenden Positionen in Presse oder im nationalen Fernsehen Journalisten haben, die gerade mal 22, 24 Jahre alt sind. Die sind zu jung, haben kaum Erfahrung. Spätestens mit 35 will man doch vernünftig verdienen, dann ist es lukrativer, in die PR zu gehen oder für einen Politiker zu arbeiten."

    Ein Problem, dass auch deutsche Nachwuchsjournalisten kennen. Zumindest in dieser Hinsicht scheint die Ukraine schon im Westen angekommen.